Gesellschaft | Wohnbau

"Soziale Schweinerei"

Von der EEVE-Malaise bis zu leeren Gesetzesschachteln: Der Wohnbau entwickelt sich zu Ende der Legislatur zum Zankapfel. Fett bekommt besonders der Wohnbau-Landesrat ab.
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Foto: upi

Christian Peintner ist Wohnbau-Berater beim ASGB. Ein Bereich, den der autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund mit einem eigenen Dienstleistungszentrum ähnlich ernst nimmt wie das Arbeitsrecht. Das Ziel, Südtiroler Familien ihren Traum von den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, gehört für den ASGB zum „Tafelsilber der Autonomie“, wie Peintner unterstreicht. Spätestens seit vor einem Jahr auch für die Wohnbauförderung eine Einheitliche Einkommens- und Vermögenserklärung (EEVE) vorgelegt werden muss, ist man beim  „Hüter des Tafelsilbers“ aber in Alarmstimmung. Denn, wie Peintner aus seiner täglichen Beratungspraxis berichtet: „Die klassische Südtiroler Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern fällt zunehmend durch den Raster.“ Und zwar aus Gründen, die für den ASGB absolut nicht nahvollziehbar sind.  „Ein soziale Schweinerei“ statt sozialer Gerechtigkeit, konstatiert der Wohnbauberater, und reiht sich in den immer lauteren Chor all jener ein, die das aktuelle Bewertungssystem der wirtschaftlichen Lage einer Familie selbst innerhalb der SVP ankreiden.

„Der Patient Wohnbau liegt darnieder“, lautet die dramatische Diagnose des Wohnbauberaters. Christian Peintner kritisiert dabei nicht nur die langen Bearbeitungszeiten sowie die gestiegene Komplexität und Unsicherheit in Folge der Einführung der EEVE-Erklärung in der Wohnbauförderung. Den Klagen, dass beispielsweise Singles und Alleinerziehende teils aus fragwürdigen Gründen keinen Zugang zur Förderung mehr bekommen, fügt er eine weitere hinzu: „Gerade nach der Geburt eines Kindes schauen viele Familien nun bei der Wohnbauförderung durch die Finger.“ Und zwar nicht, weil sie zu viel, sondern zu wenig verdienen würden.

"Die soziale Ungerechtigkeit steckt tief in der DNA des Systems EEVE drinnen."

Hauptschuld daran hat laut Peintner weniger die vor zwei Jahren eingeführte Bestimmung, dass Familien auch ein bestimmtes Mindesteinkommen haben müssen, um Zugang zur Wohnbauförderung zu erhalten. „Das ist prinzipiell schon gut“, sagt der Wohnbauberater. Das Problem seien aber die langen Zeitbezüge der EEVE, die bei der Bewertung der Rückzahlungsfähigkeit oft verzerrte Ergebnisse liefere. Wer zum Beispiel 2017 um einen Beitrag ansuchte, werde anhand seines Einkommens aus den Jahren 2014 und 2015 bewertet, ob er in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren ein Darlehen zurückzahlen könne. Und allzu oft falle diese Bewertung genau dann negativ aus, wenn in der Zwischenzeit auch noch ein zusätzliches Familienmitglied  dazugekommen sei. Da die Familienzusammensetzung zum Zeitpunkt der Antragsstellung gilt, sei ein Neugeborenes allzu oft der Grund, dass Familien kein Anrecht mehr auf Wohnbauförderung hätten.

„Das kann es nicht sein. Die soziale Ungerechtigkeit steckt tief in der DNA des Systems EEVE drinnen“, kritisiert der ASGB-Berater. Und fordert nicht nur „jene, die die EEVE unbedingt wollten“ auf, nun „den Scherbenhaufen aufzuräumen.“ Vor allem von Wohnbaulandesrat Christian Tommasini erwartet man sich beim ASGB mehr Einsatz. „Solange die aktuellen Probleme mit der EEVE nicht gelöst sind, brauchen wir kein neues Wohnbauförderungsgesetz“, sagt Peintner. Vielmehr bräuchten die Familien im Land einen politischen Verantwortlichen, der sich „wirklich in die Materie hineinkniet statt Menschen schon am Schalter wegzuschicken, weil der Faktor ihrer wirtschaftlichen Leistung nicht stimmt“, so Christian Peintner. Der Wohnbauberater fordert alle Ansuchenden auf, sich auch dann nicht abwimmeln zu lassen, wenn ihnen gesagt wird, dass ihr Einkommen zu nieder sei. „Das ist ein Verstoß gegen die Bürgerrechte“, sagt der Wohnbau-Berater. „Es gibt das Recht, dass Ansuchen angenommen und behandelt werden.“

"Heute befinden wir uns in Südtirol in machen Bereichen schon in einer ähnlichen Situation wie in Deutschland vor 20 Jahren, als es sich aufgrund der Förderungen oft nicht mehr lohnte, arbeiten zu gehen." 

Eine etwas andere Sicht darauf hat SVP-Arbeitnehmerchef Helmuth Renzler. Er hat gemeinsam mit Magdalena Amhof und anderen Landtagsabgeordneten erst zu Jahresbeginn einen Beschlussantrag durchgebracht, mit dem die Landesregierung zu einer eingehenden Analyse der Auswirkungen der EEVE verpflichtet wird. Dennoch erinnert Renzler daran, dass die EEVE-Kriterien in einem fünfjährigen Prozess gemeinsam mit den Sozialpartnern ausgehandelt wurden. Und er mahnt, dass „jeder Antragssteller heute schon meint, Anrecht auf eine Wohnbauförderung zu haben“. Tatsache sei, dass Landesförderungen generell für sozial schwache Bevölkerungsschichten gedacht seien, erinnert der Landtagsabgeordnete und Arbeitnehmerchef. „Doch heute befinden wir uns in Südtirol in machen Bereichen schon in einer ähnlichen Situation wie in Deutschland vor 20 Jahren, als es sich aufgrund der Förderungen oft nicht mehr lohnte, arbeiten zu gehen“, spricht der Arbeitnehmerchef Tacheles.

Auch Renzler räumt jedoch ein, dass durch das EEVE-System tatsächlich mehr Antragssteller als davor nicht mehr an die Fördertöpfe kommen. Sein Wunsch: eine Vereinheitlichung der EEVE-Kriterien in ihren verschiedenen Einsatzbereichen, aber auch eine neue Kultur unter den LandesrätInnen und ihren BeamtInnen. „Man müsste sie davon überzeugen, dass wir hier sind, um AntragstellerInnen zu unterstützen und sie als KundInnen statt als BittstellerInnen zu behandeln“, sagt Renzler.

Mit Wohnbaulandesrat Christian Tommasini geht auch der Arbeitnehmerchef hart ins Gericht. Sein nun vorgelegter Entwurf für ein neues Wohnbaugesetz komme nicht nur weit später als versprochen, sondern sei nicht viel mehr als eine „leere Schachtel“.  In anderen Worten: Statt der Landesregierung klare Richtlinien vorzugeben, innerhalb derer sie sich bewegen kann, könnte sie laut diesem Entwurf „viel zu viel“ selbst mit Durchführungsbestimmungen regeln. Ein konkretes Beispiel? Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Optionen zur Belebung des Mietmarkts.  Dabei sei unter anderem ein hoher Förderbeitrag für private Bauträger vorgesehen, die sich verpflichten, ihre Immobilien dann für 10 Jahre zum Landesmietzins zu vermieten. „Laut diesem Gesetzesentwurf hätte die Landesregierung freie Hand, zum Beispiel auch einem René Benko die Möglichkeit zu geben, sich hier mit Landesbeiträgen seine Baukosten hereinzuholen“, kritisiert Renzler.

„Politiker kommen und geht, doch ein Gesetz bleibt“, sagt der Landtagsabgeordnete. Und wie es aussieht, wird das bleibende Wohnbaugesetz den scheidenden PolitikerInnen zu Ende der Legislatur noch so manche lebhafte Diskussion bescheren.