“Von Utopie bis Depression”
Keiner der Gäste, die am Donnerstag Abend im Schloss Maretsch Platz nehmen werden, weiß so recht, was ihn erwartet. Die Einladung, die in den vergangenen Tagen hinaus ging, gilt für ein Abendessen, das unter dem Titel “Veer – Über den Tellerrand hinaus” stattfindet. Auch, dass es sich dabei um ein Inspirations-Dinner handelt, dürfte bei den Gästen wohl eher für Stirnrunzeln als für Erleuchtung sorgen. Nichtsdestotrotz: hundert Personen haben zugesagt. Und Florian Pallua gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was die Gäste erwartet: “Ein Mix aus Utopie, Idealismus, Depression und doch Lust, es zumindest zu probieren.”
Auf dem Menü steht: ein viergängiges, selbst gekochtes Dinner, garniert mit persönlichen Geschichten – vom Wunsch, die Welt zu verändern, vom Versuch, seinen eigenen Weg zu finden, vom Scheitern und Hinschmeißen, vom Umkehren und Weitermachen.
salto.bz: Herr Pallua, Sie leiten die Fachstelle für Jugend im Forum Prävention. Wie kommt man von dort zum Kochen?
Florian Pallua: Das Dinner heute Abend ist der Abschluss eines Jahresprojekts, das mit einer Gruppe junger Menschen gestartet ist, die sich über das Projekt AFZACK kennen gelernt haben und die ein gemeinsames Interesse verbunden hat: sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzen, gepaart mit dem Wunsch, Veränderung zu probieren.
Veränderung auf welcher Ebene?
Bei dieser Frage fängt es bereits an, kompliziert zu werden. Weil es nicht so einfach ist hat der Prozess auch ein Jahr gedauert. Gestartet sind wir mit der absolut idealistischen Utopie, als junge Leute die Welt zu verändern. Im Laufe des Jahres sind wir dann draufgekommen, dass Veränderung mehrere Seiten hat, dass Veränderung nicht immer sichtbar sein muss, dass Veränderung vor allem auch mit einem selbst zu tun hat und dass jeder auf seine eigene Art und Weise verändert. Daher haben die Jugendlichen auch ganz unterschiedliche Projekte gewählt: mehr oder weniger sichtbar, mehr oder weniger persönlich…
Wenn ich mich total wirkungslos und nur als programmiertes Update sehe, damit Gesellschaft in Zukunft weiter funktioniert, wird mich das nicht positiv beflügeln.
Wie ist daraus die Idee für das Dinner entstanden?
Wir haben uns überlegt, dass es toll wäre, wenn es uns gelingen würde, einen Konnex zwischen Gesellschaft und Jugend zu schaffen. Wir können nicht immer davon reden, dass wir die Gesellschaft verändern wollen, wenn wir die Gesellschaft nie wirklich treffen. Und wir haben gedacht, es könnte interessant sein, Vertreter aus der Gesellschaft zu einem Abendessen einzuladen, bei dem die Geschichten der Versuche, zu verändern, einem Publikum präsentiert werden.
Welche Geschichten werden die Gäste zum Essen vorgesetzt bekommen?
Das werde ich nicht verraten (lacht).
Verraten Sie, was es mit dem Namen – “Veer” – auf sich hat?
Der Begriff stammt aus dem Segeljargon und wird dann verwendet, wenn man leicht den Kurs ändert. Der Abend selbst soll eine Art Schaltstelle für junge, kreative und kritische Leute sein, die ihre Ideen einem Publikum präsentieren, das sie sonst nie erreichen würden.
In welchem Alter sind die jungen Menschen, die am Donnerstag Abend die Bühne betreten?
Zwischen 16 und 19 Jahren.
Und damit in einer Umbruchphase im Leben?
Genau – in einem Lebensabschnitt, in dem es besonders wichtig ist, positive Bezugspersonen und einen Kontext zu haben, in dem du das Gefühl hast, jemand zu sein und mit dem, was du machst, etwas bewirken.
Diese Gelegenheit soll ihnen beim Inspirations-Dinner heute Abend geboten werden?
Das war der Gedanke dahinter. Wir wollten eine lockere Atmosphäre und die Möglichkeit schaffen, damit das Publikum selbst auch ins Gespräch kommt. Anders wie einem klassischen Kinopublikum zum Beispiel, wo man berieselt wird und sich jeder für sich seine eigenen Gedanken macht. Die jungen Leute liefern den Impuls, inspirieren – und das Publikum tauscht sich über das, was es gerade gehört hat, aus.
Weshalb ist ein solches Projekt für die Fachstelle Jugend im Forum Prävention interessant?
Aus unserer Sicht tragen zum Gelingen einer gesicherten Identität zwei wesentliche Bausteine bei: zum einen die Erfahrungen mit dem persönlichen Umfeld – Familie, Freunde, Bezugspersonen – und zum anderen wird das Umfeld, in dem ich aufwachse immer wichtiger. Habe ich dort die Möglichkeit, mitzureden? Werde ich gehört? Kann ich in irgendeiner Form Einfluss nehmen oder spüre ich, dass das, was ich mache, keinen Unterschied macht? Wir haben gesehen, dass, wenn junge Menschen beides haben – einerseits gute Bezugspersonen und positive Lebenserfahrungen und andererseits in einem guten Umfeld aufwachsen, in dem sie eine aktive Rolle übernehmen können – trägt das zu einer sehr guten persönlichen Entwicklung bei.
“Veer” könnte in Zukunft zu einer Plattform für junge Menschen ausgebaut werden, die sagen: Ich würde gern etwas verändern. Und sich dabei nicht alleine gelassen fühlen müssen.
Welche Erfahrungen haben Sie im letzten Jahr gemacht?
Heutzutage gibt es ganz viele junge Menschen, die extrem motiviert sind, aber nach relativ kurzer Zeit feststellen, dass sie a) es alleine nicht schaffen, b) es “eh nix bringt” oder c) die Hürden einfach zu groß sind und sie alleine nicht drüber kommen. Es gibt einen Jugendlichen, der mit einer extrem großen Motivation gestartet ist, genau sein Ding vor Augen hatte. Im Laufe musste er aber erkennen, wie frustrierend es ist, wenn man draufkommt, dass das, was man eigentlich machen wollte, nicht das ist, was man eigentlich gesucht hat. Und wie schwierig es ist, von einer Idee in die Umsetzung zu kommen.
Wie reagieren die Jungen wenn sie merken, dass sie auf ein Hindernis oder an eine Grenze stoßen?
Das ist das Spannende an der ganzen Sache und die Reaktionen sind ganz unterschiedlich. Ein banales Beispiel: Ich bin davon überzeugt, in der Modewelt Karriere machen zu wollen und arbeite darauf hin. Mit den Erfahrungen, die ich dabei sammle, komme ich aber drauf, dass mir Mode vielleicht zu oberflächlich ist und mich in meinem Leben nicht glücklich machen wird.
Und was machst du dann?
Dann ändere ich die Richtung.
Ist das immer einfach?
Für mich spannend zu beobachten war das Spiel zwischen Idealismus und Hoffnungslosigkeit. Einerseits ist so viel Potential da, so viele Ideen und so viel Lust, Gas zu geben, und man müsste eigentlich nur machen. Aber auf der anderen Seite ist die Gesellschaft mittlerweile so groß und komplex geworden, dass nicht so viel geht wie man vielleicht gern hätte.
Heißt das, junge Menschen haben nicht genug Freiraum um sich voll entfalten zu können?
Nein, ich glaube nicht, dass sie den haben. Die Lust, die Welt zu verändern, steckt in jedem Jugendlichen. Von außen scheint es aber oft so, als ob die Jugend eh keine Lust hat, eh nur von einer Fete zur nächsten läuft und sich in Konsum- oder Trendgütern verliert. Wenn man die Jungen dann aber kennen lernt und, so wie wir, länger mit ihnen unterwegs ist, kommt man drauf, dass in jedem Jugendlichen eine gewisse Sehnsucht drin ist. Ganz viele haben erkannt, dass ganz vieles auf der Welt, das schief oder kompliziert läuft, von den Menschen selbst verursacht ist – und dass es eigentlich einfacher gehen würde. Genau hier gilt es, die Kids abzuholen und zu sagen, lass es uns einfach versuchen.
Also mehr eine Aufforderung als ein Befehl?
Uns gefällt das Wort Versuch deshalb so gut, weil es Druck nimmt und den Fehler mit einschließt.
Die Gesellschaft ist mittlerweile so groß und komplex geworden, dass nicht so viel geht wie man vielleicht gern hätte.
Junge Leute dürfen also auch Fehler machen?
Wenn der Fehler und das Scheitern von vornherein ausgeschlossen werden, fallen wir ja schon wieder in eine sehr leistungsorientierte Gesellschaft zurück, von der viele Kids sagen, so wollen sie nicht alt werden.
Wer steht nun eigentlich auf der Gästeliste des Dinners?
Ein bunter Mix von Personen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Sozialem, Medien. Insgesamt hundert Personen. Und uns haben die zahlreiche positiven Rückmeldungen, die wir allein auf unsere Einladung bekommen haben, überrascht. Obwohl man eigentlich nicht genau weiß, was das eigentlich wird. Viele fanden die Idee toll, Jugend und die Gesellschaft beziehungsweise einen Teil davon in einer so ungewohnten Form zusammenzubringen.
Die Gäste waren immerhin selbst einmal jung…
Das vergisst man sehr schnell… Man sieht das gut bei Jugendlichen, die man länger betreut. Wenn ich einen Menschen zehn Jahre später als Erwachsenen wieder sehe, frage ich mich schon manchmal: Wo ist der ganze gute Weltenglaube hin? In der Routine des Alltags verschwunden?
Oder man hat sich angepasst? Auch Jugendliche werden doch häufig in Muster und Schablonen gezwängt, oder?
Für die Gesellschaft werden Jugendliche oft als fit, motiviert und engagiert definiert – wenn sie in ihr Muster passen. Aber sie stellt sich viel zu selten die Frage, ob sie eigentlich die richtige Gesellschaft für Jugendliche ist, damit diese gut und gesund aufwachsen können? Und das ist breiter als “in ein Muster passen”. Ich würde mir wünschen, dass sich die Gesellschaft viel öfter die Frage stellt, ob ihr Handeln überhaupt einen Sinn macht, ob es überhaupt gut und zukunftsfähig ist? Und für wen beziehungsweise wie viele?
Fragen, die sich auch beim Dinner heute Abend gestellt werden dürfen?
Alles ist drin. Das Publikum darf selbst entscheiden, mit welchen Schlüssen es die Veranstaltung verlässt.
ja, ich durfte mit dabei sein
ja, ich durfte mit dabei sein! der spannende abend hat mich in meiner meinung bekräftig: in den jugendlichen, wenn man ihnen gehört und genügenden spielraum gibt, steht ein enormes potential. gebt nicht auf, macht weiter!
:-)k
ps: und komplimente an der sich sehr zurückgehaltenen betreuung.