Ein letztes Wort
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Herr Atz, ein kurzes Stimmungsbild so kurz vor den Wahlen?
Hermann Atz: Sowohl im Mitte-Links- als auch im Mitte-Rechts-Lager ist wenig Aufbruchsstimmung zu spüren. Dazu kommen die Querelen auf beiden Seiten, dank derer alle keine besonders gute Figur gemacht haben. Was noch zu sagen ist: Nach der anfänglichen Stärke ist der erste Schwung der 5-Sterne-Bewegung weg. Aber alles in allem ist der Wahlausgang schwer vorhersehbar.
Wie haben Sie den Wahlkampf in Bozen erlebt?
Ich teile den Eindruck, den andere auch haben: Es war ein ziemlich lauer Wahlkampf. Ich habe das Gefühl, dass sich die Parteien bereits in der Such-Phase nach einem Bürgermeisterkandidaten verausgabt haben. Was dafür gesorgt hat, dass die Luft aus dem eigentlichen Wahlkampf dann draußen war. Aber ich habe noch eine zweite Überlegung angestellt, warum dem so war.
Nämlich?
Den Parteien fehlt es einfach an Geld, nicht nur am Einsatz, um einen gut organisierten Wahlkampf mit professioneller Kommunikation zu betreiben. Man merkt, dass der Hahn der Parteienfinanzierung ziemlich abgedreht worden ist. Und wenn man innerhalb kurzer Zeit mehrere Wahlkämpfe finanzieren muss, dann ist irgendwann die Kasse leer.
Der gemeinsame Kandidat von Mitte-Rechts und Lega war der eigentliche Clou.
Haben sich die Wähler trotzdem einen Überblick beziehungsweise eine Meinung zum politischen Angebot in der Landeshauptstadt bilden können? Oder sind sie überfordert, auch angesichts der Tatsache, dass sie die Wahl zwischen 13 Bürgermeisterkandidaten und 17 Listen haben?
Das würde ich nicht sagen, denn man muss sich schließlich für eine Partei oder Liste entscheiden können. Und was heißt schon überfordert? So würde ich das nicht formulieren. Ich würde vielmehr meinen, dass das breite Angebot keinen guten Eindruck hinterlassen und das eh schon schlechte Bild von der Politik eher noch bestärkt hat. Die Leute machen sich Sorge um die Regierbarkeit der Stadt und wünschen sich eine starke, entscheidungsfreudige Führung. Da war diese Veranstaltung von vielen Partikularinteressen sicher ein Schritt in die falsche Richtung. Denn am Ende wird man sich doch für eine Mehrheitsbildung zusammenraufen müssen.
Die Regierbarkeit der Landeshauptstadt soll auch durch ein neues, explizit für Bozen eingeführtes Wahlgesetz erleichtert werden.
Das war nur ein kleiner Schritt in die Richtung, die man sich eigentlich wünscht. Das werden Ihnen auch die Einbringer des Gesetzentwurfs im Regionalrat bestätigen. Politisch war einfach nicht mehr drin. Die Nagelprobe wird nun sein, wer am neuen Wahlgesetz und den Hürden scheitert. Und es wird sich zeigen, wie viele Listen schließlich draußen bleiben.
Ich gehe davon aus, dass die SVP in den kleinen Gemeinden mindestens einen Sitz zurückerobern wird.
Wie viele werden es schätzungsweise sein?
Ich gehe davon aus, dass drei bis fünf rausfallen werden. Aber dann sitzen immer noch ein Dutzend Parteien und Listen im Gemeinderat. Immerhin weniger als noch beim letzten Mal.
Wie erklären Sie aus sozialwissenschaftlicher Sicht die zunehmende Zersplitterung der Parteienlandschaft?
Mehr als eine Erklärung habe ich eine Beschreibung dafür: Die Bindekraft der etablierten Parteien wird immer schwächer. Wer meint, mehr Erfolg mit einer eigenen Liste zu haben, wird eine solche auch gründen. Dieses Phänomen ist in fast allen Ländern zu beobachten, auch in jenen wie Deutschland, Österreich oder auch Großbritannien, wo es klassisch ein 3-, 4- oder 5-Parteien-System gibt. Die Aufsplitterung spiegelt die schwindende Bindekraft auch in der Gesellschaft wieder. Es gibt immer weniger, was wir gemeinsam haben.
Kann diese Fragmentierung nicht auch ein Hinweis darauf sein, dass sich mehr Menschen, trotz aller Politikverdrossenheit, doch politisch einbringen wollen?
In diesem Fall sehe ich das nicht so. Wenn sich jemand einbringen will, kann er das genauso gut in einer der bereits bestehenden Parteien machen. Von einer Personenliste erwarten sich viele eine Reihe von Vorteilen. Allerdings stellt sich bei gewissen Listen und Persönlichkeiten schon die Frage, ob die wirklich mitgestalten oder einfach nur einmal in der Öffentlichkeit erscheinen wollen.
Wie zum Beispiel wer?
Ich denke da an die Bundespräsidentenwahl in Österreich und den Richard Lugner. Der war von Anfang an chancenlos und verfolgt wohl ganz andere Ziele als jenes, österreichischer Bundespräsident zu werden.
Ein Eigentor wäre es, wenn es keiner der beiden Mitte-Rechts-Kandidaten in die Stichwahl schafft.
Die SVP wendet sich bei diesen Wahlen explizit auch an die italienischsprachigen Wähler. Ein Bruch mit der bisherigen Linie?
Das ist nichts Neues, die SVP hat nie ein Problem gehabt, sich auch von italienischsprachigen Bürgern wählen zu lassen. Darin, dass sie sich ausdrücklich an diese wendet, sehe ich nichts Unübliches. Der wahre Bruch wäre, wenn sie auch der italienischen Sprachgruppe zugehörige Kandidaten aufstellen würde. Seit dem gescheiterten Experiment mit Elena Artioli hat sich das nicht mehr wiederholt.
Sprung in das italienische Mitte-Rechts-Lager: Haben sich Alessandro Urzì und Giorgio Holzmann mit der Entscheidung, getrennt anzutreten, ein Eigentor geschossen? Mit einem gemeinsamen Kandidaten hätte man wohl mehr Chancen gehabt.
Ein Eigentor wäre es, wenn es keiner der beiden Mitte-Rechts-Kandidaten in die Stichwahl schafft. Für die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang hätte es aber mit einem gemeinsamen Kandidaten ebenfalls nicht gereicht. Auch Alessandro Urzì hat es 2015 nur in die Stichwahl geschafft, weil Mitte-Rechts aufgesplittert war und die SVP Spagnolli unterstützt hat. Ansonsten hätte die Stichwahl Spagnolli-Ladinser gelautet.
Welche Rolle spielt die Lega Nord, die ja einen der beiden Mitte-Rechts-Kandidaten unterstützt?
Der gemeinsame Kandidat war der eigentliche Clou. Und ohne die Lega wäre die Koalition chancenlos. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Wähler das Experiment in Leifers auch in Bozen honorieren werden. In Leifers bildet die Lega ja den Kern der jetzigen Koalition um den Bürgermeister.
Es war ein ziemlich lauer Wahlkampf.
À propos Wähler: Welche Wählergruppen beziehungsweise -schichten werden dieses Mal ausschlaggebend für den Ausgang der Wahlen sein?
Da kann ich nur eine Standardantwort geben: die Nichtwähler. Ausschlaggebend wird also sein, wer zur Wahl geht und wer nicht.
Gewählt wird neben Bozen auch in drei weiteren Gemeinden, Schluderns, Freienfeld und Niederdorf – allesamt Gemeinden, in denen ein Nicht-SVP-Bürgermeister vorzeitig zurücktreten musste. Wird es die SVP schaffen, diese im Mai 2015 verlorenen Sessel wieder zurück zu erobern?
Mit dem Blick in die Glaskugel kann ich nicht dienen. Ich gehe davon aus, dass sie mindestens einen Sitz zurückerobern wird. Am schwersten wird es dabei in Schluderns werden, wo sich die SVP nicht so gut verbündet hat wie etwa in Niederdorf. In Freienfeld hat sich die SVP vergangenes Jahr den Sieg selbst verbaut, indem sie zwei Bürgermeisterkandidaten aufgestellt hat. Diesen Fehler hat man heuer nicht wiederholt.
"Auch Alessandro Urzì hat es
"Auch Alessandro Urzì hat es 2015 nur in die Stichwahl geschafft, weil Mitte-Rechts aufgesplittert war und die SVP Spagnolli unterstützt hat. Ansonsten hätte die Stichwahl Spagnolli-Ladinser gelautet."
Versteh ich nicht ganz... ist hier Mittelinks gemeint?