Wiener Besessenheiten

Obsession
Mit Ossessione, der zunächst zensurierten und vernichteten Verfilmung des Klassikers Wenn der Postmann zweimal klingelt von James M. Cain, gelang dem großen Regisseur Luchino Visconti, Anfang der 1940er Jahre ein bahnbrechendes Werk. Die Wiener Festwochen haben den Film als Theater in ihr Programm aufgenommen und bei aller Brachialität feinfühlig inszeniert auf die Bühne gebracht. Der belgische Regisseur Ivo van Hove (Leiter Toneelgroep Amsterdam) konnte für die Bühnenfassung den Schauspieler Jude Law gewinnen. Und dieser spielte den Gino richtig gut.
Inmitten des schlichten und düster wirkenden Bühnenbildes (Jan Versweyveld) erlebten die Zuschauer in der Halle E des Wiener Museumsquartiers eine einwandfreie Darbietung in schmierig-schöner Mechaniker-Manier. Die gräulich-zurückhaltende Kulisse wurde mit grauenvollen Leidenschaften und hasserfüllten Machtspielen gefüllt, war passende Bühne für den Kinoklassiker, samt Kinostar als Zugpferd. Obsession war großes "europäisches Theater" und gleichzeitig auch einer der ruhigen Beiträge im schrillen Festwochenprogramm, für welches erstmals der künstlerische Leiter Tomas Zierhofer-Kin (ehem. Donaufestival Krems) verantwortlich ist.
K.U.N.S.T.
Nachdem der umstrittene Künstler Jonathan Meese bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth ausgeladen wurde, war mit der Uraufführung der Oper Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz) eine Retourkutsche im Meese-Style vorprogrammiert.
Seine bunte, schräge und mit vielen Subtexten verpackte Operninszenierung ist ein kluges Potpourri an Ein- und Zufällen, Gedanken- und Wortspielen, welches mit einer Überdosis Kunst aus dem Meese-Kosmos daherkommt, der die Politik und Religionen abschafft und Parsifal samt Publikum auf den Mond schießt.
Unter der Leitung der Dirigentin Simone Young kam das Klangforum Wien zum Einsatz, welches in Südtirol schon mehrmals im Rahmen des Festivals Transart zu hören war und für die Meese-Oper gänzlich neue Wagner-Töne servierte. Die Musik komponierte Bernhard Lang, der eigens für diesen Anlass die originale Wagner-Partitur „überschrieben“ hat, Teile daraus gewohnt im Loop laufen lässt, mal klassisch, mal jazzig.
Das Gesamtkunstwerk Lang-Meese hat das Publikum begeistert. Nur vereinzelt gab es Buh-Rufe.
Dreimal tauchte Jonathan Meese, ein absoluter Kunstbesessener, in "seiner Oper" selbst auf, zweimal als Live-Performer in einer kleinen Loge, neben der übergroßen Eierkopf-Installation, welche das Gesicht seiner Mutter zeigte. Am Ende erschien er ein drittes Mal, zum Schlussapplaus, in gewohnt aggressiver Ausdrucksweise, als hätte er zum Frühstück eine Handvoll Rammstein-DVDs gegessen.
Meese hat keine "heilige Kuh" geschlachtet, sondern die Oper in die Zukunft katapultiert. Im Herbst wird das herrlich überladene Szenario in Berlin fortgesetzt.
Heilige Kühe
Einen wesentlichen Anteil an der sehr speziellen Operndarbietung hatten die Musiker vom Klangforum Wien und der Hauptdarsteller Daniel Gloger, der die kostümreiche Rolle des Parsifal übernahm.
Am 23. September werden er und die Musiker vom Klangforum in der Caserma Enrico Federico Kaserne in Bruneck einen ersten Teil der Kaser-Oper „schwarzes licht / luce nera“ aufführen, ein vom Südtiroler Komponisten Alexander Kaiser geschriebenes Opernfragment, nach Texten von n.c. kaser. Bestens eingespielt sind Sänger und Musiker bereits, das haben sie im Theater an der Wien, beim Mondparsifal, bewiesen.