Foto: Facebook/Giuseppe Conte
Politik | Parteienkrieg
Die Zerreißprobe der 5 Sterne
Am heutigen Mittwoch entscheidet sich das Schicksal der Regierung Draghi. Um 16.30 Uhr trifft sich Premier Draghi mit dem (Noch)-Vorsitzenden der Fünf-Sterne-Bewegung, Giusepe Conte. Was der Corriere della Sera als giornata del fuoco schildert, ist die (vorläufige) Endstation eines tagelangen Tauziehens, in dem es vor allem um zwei zentrale Themen (und um hohe Milliardensummen) geht: um den superbonus, der 15 Milliarden Euro zur energetischen Verbesserung von Gebäuden vorsieht (zum Beispiel Klimaanlagen, Wärmepumpen, Fensterisolierungen) und um das decreto aiuti, das 23 Milliarden Euro für eine breite Palette einmaliger Beiträge für Famiien und Rentner enthält, ein Geldregen, von dem jeder für seine bevorzugte Klientel etwas abzweigen will.
Die Tageszeitung La Repubblica fasst die Lage in einem kurzen Titel treffend zusammen: Liti e veti, il governo vacilla. Die Fünf-Sterne-Bewegung blockiert das Dekret unter anderem deshalb, weil darin der Bau einer Müllverbrennungsanlage in der Hauptstadt vorgesehen ist, deren Abfallmisere sattsam bekannt ist. Rom liefert seinen Müll seit vielen Jahren mit Güterzügen in verschiedene europäische Städte, unter anderem nach Amsterdam und Rotterdam.
Rom liefert seinen Müll seit vielen Jahren mit Güterzügen in verschiedene europäische Städte, unter anderem nach Amsterdam und Rotterdam.
Conte hat bereits für den Fall einer Ablehnung des decreto aiuti in derzeitiger Fassung mit einem Ausscheren aus der Mehrheit gedroht. Das Klima in der Koalition beschreibt treffend eine Kurzanalyse der M5S-Ministerin Fabiana Dadone: "Qui cade tutto." Landwirtschaftsminister Stefano Patuanelli gibt sich resigniert: "Se il governo cade, tornerò a fare il senatore semplice." Die Fünf-Sterne-Bewegung droht deshalb damit, sich an der Vertrauensabstimmung nicht zu beteiligen. Experten des Ministeriums feilen nun an einer Kompromisslösung. Das Tagblatt La stampa schildert die Lage treffend: "Conte è in balia dei falchi grillini." An Drohungen fehlt es in diesem Tauziehen freilich nicht. Kulturminister Dario Franceschini vom Partito Democratico warnt die Bewegung eindringlich vor einer folgenschweren Regierungskrise: "Se uscite dal governo addio alleanza." Die Kommentatoren spekulieren über die Hintergründe. Nach einer Umfrage sei die Mehrheit der Fünf-Sterne-Mitglieder dafür, bei den im kommenden Frühjahr fälligen Wahlen ohne Bündnis mit dem Partito Democratico anzutreten. Der M5S liegt nach aktuellen Umfragen derzeit bei 12 Prozent – bei der letzten Parlamentswahl waren es gut 35. Das Chaos in der Bewegung lässt kaum zuverlässige Prognosen zu.
A settembre nascerà una cosa più grande.
Etliche der Führungspersönlichkeiten liebäugeln angesichts der drastisch gesunkenen Umfragewerte mit einer Kandidatur bei den im nächsten Jahr fälligen Regionalwahlen: Roberta Lombardi in Latium, Giancarlo Cancelleri und Dino Giarrusso in Sizilien, Stefano Buffagni in der Lombardei. Die Zukunft der Bewegung scheint ungewisser denn je. Der aus dem M5S ausgetretene Aussenminister Luigi Di Maio begnügt sich vorerst mit Ankündigungen: "A settembre nascerà una cosa più grande."
Im Juni steht ausserdem die mehrmals verschobene Entscheidung über ein ebenfalls in Frage gestelltes Prinzip des M5S an: die bisher gültige Obergrenze von zwei Mandaten. Die Bewegung fordert nun einen Verzicht auf die fast tägliche Drohung mit Vertrauensvoten. Was dann freilich passiert, zeigte sich bei Draghis Versuch, das decreto aiuti ohne Vertrauensvotum durchzubringen: In der Abgeordnetenkammer stapelten sich bis zum Morgengrauen über 150 Seiten an Abänderungsanträgen.
Nach dem Treffen mit Draghi gab Giuseppe Conte am Nachmittag wie erwartet Entwarnung: "Restiamo al governo, ma serve discontinuità". Alles wie gehabt: Rituale waren schon immer wichtiger als Inhalte.
Doch nicht nur in der Bewegung gärt es. Auch beim zweiten grossen Verlierer der jüngsten Gemeindewahlen, der Lega, knistert es: Wirtschaftsminister Giancarlo Giorgetti bietet Parteichef Matteo Salvini die Stirn. Forderungen aus der eigenen Partei nach einer Regierungskrise weist er entschieden zurück: "La politica non è filosofia. E' l'arte del possibile." Die Lega führt seit Wochen einen massiven Glaubenskrieg gegen zwei von der Regierung angepeilte Massahmen: das ius scholae, das Kindern von Immigranten nach Abschluss ihrer Schulpflicht die italienische Staatsbürgerschaft gewähren soll, und das decreto cannabis, das den straffreien Besitz von bis zu vier Hanfpflanzen zum Privatgebrauch gestatten soll – eine Art vorbeugender Hysterie.
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