Gesellschaft | Praktika

Chance oder Ausbeutung?

Dürfen Jugendliche in Zukunft ab 14 Jahren arbeiten? Tony Tschenett, ASGB-Vorsitzender, klärt über irrtümliche Volksweisheiten auf.
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Foto: Yaroslav Shuraev
Salto.bz: In einer Pressemitteilung des LVHs äußern sich Vizepräsident Hannes Mussak und Landesrat Philipp Achammer positiv über eine „erweiterte Berufsorientierung“ ab 14 Jahren. Es sei laut Priska Reichhalter, Obfrau der Junghandwerker*innen, wichtig Jugendliche im frühen Stadium für praktische Berufe zu begeistern. Was halten sie von einem solchen Statement?
Tony Tschenett: Es ist entscheidend, zwischen regulären Praktika und Orientierungspraktika zu unterscheiden. Ein Orientierungspraktikum richtet sich an Schüler und Schülerinnen und ermöglicht ihnen, im Rahmen ihrer Schule eine „Orientierung“ für 14 Tage in einem Unternehmen zu absolvieren. In diesem Fall übernimmt das Unternehmen keine Vergütung der Arbeitsstunden vor. Versichert sind die Schüler und Schülerinnen hierbei durch die INAIL über die Schule. Reguläre Praktika, wie beispielsweise Sommerpraktika, sind dagegen erst ab dem Alter von 15 Jahren möglich. Hier darf nicht unter einem Alter von 15 Jahren angestellt werden. Dies liegt an den EU-Jugendschutzbestimmungen, die es Unternehmen in Südtirol (und auch italienweit) untersagen, Jugendliche unter 15 Jahren einzustellen. Solange diese EU-Richtlinien nicht geändert werden, bleibt das Mindestalter für Praktika bei 15 Jahren.
Das Mindestalter für Praktika beleibt nach wie vor bei 15 Jahren. 
Es ist wichtig, auf aktuelle Entwicklungen im Landtag zu achten. Dort wurde zwar ein Beschluss gefasst, der die Anstellung ab 14 Jahren ermöglichen soll, jedoch gilt dieser nicht für Praktika. Für reguläre Praktika ist nach wie vor eine formelle Anmeldung durch das Unternehmen erforderlich. Zudem müssen teilnehmende Jugendliche oder Studenten Sicherheitskurse absolvieren. Bei den Sommerpraktika werden, anders als bei den Orientierungspraktika, die Arbeitsstunden von bis zu maximal monatlich 900€ entschädigt. Mit dieser Art von Praktika soll der teilnehmende Praktikant die Gelegenheit erhalten das Unternehmen kennenzulernen, ohne jemandem eine Arbeitsstelle wegzunehmen.
 
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Tony Tschenett: "Das Mindestalter für Arbeitnehmer richtet sich nach wie vor an die EU-Richtlinien"  (Foto: ASGB) 
 
Wie betrachten Sie diese Entwicklung?
 
Ich betrachte diese Entwicklung durchaus positiv, da ich viele Möglichkeiten sehe, neue Arbeitskräfte sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor zu gewinnen. Südtirol nimmt hierbei sicherlich eine Vorbildfunktion im Vergleich zum restlichen Staatsgebiet ein. Ich halte es hier für wesentlich, dass Schüler der Oberstufe und Studierende Einblick in Unternehmen erhalten. Jedoch darf nach wie vor niemand unter 15 Jahren regulär arbeiten.  
 
Welche Risiken könnte dies für Jugendlich bringen?
 
Das aktuelle Problem besteht darin, dass immer mehr Menschen denken, ihr Kind könne bereits ab 14 Jahren arbeiten. Das ist bei regulären Praktika jedoch nicht der Fall und wird vermutlich auch nicht der Fall sein. Es ist mir wichtig, diese Sachlage klar und deutlich zu kommunizieren: In diesem Bereich haben wir nicht die primäre Kompetenz. Ein Praktikum ist erst ab 15 Jahren möglich, während ein Orientierungspraktikum bereits in der Schule absolviert werden kann. Deswegen möchte ich nochmals untermauern: Es sind keine Praktika unter 15 Jahren erlaubt, es sei denn, die EU-Jugendarbeitsschutzgesetze ändern sich – was ich allerdings bezweifle.
Südtirol muss sich, wie Italien, an die EU-Gesetze zum Jugendarbeitsschutz halten. 
 
Das heißt also, dass ein Orientierungspraktikum nach wie vor nur im Rahmen mit der Schule abwickelbar ist?
 
Ja genau.
 
Italienischsprachige Medien und Vertreter*innen äußern sich zu diesem Thema negativer als deutsche Medien bzw. Vertreter*innen. Italienische Medien sprechen hierbei oft von einem „Sfruttamento“ der Jugendlichen. Was halten Sie davon?
 
Die Sommerpraktika ab 15 Jahren werden jährlich vom Arbeitsamt methodisch erfasst. Zwar gibt es einige schwarze Schafe, welche Jugendliche oder Studenten ausnutzen, jedoch äußert sich die Mehrheit der Teilnehmer, positiv über ihre Erfahrungen. Die Praktika-Nehmer werden hierbei mittels Fragebögen befragt. Der Großteil gab hierbei an, sich nicht ausgebeutet zu fühlen und das Praktikum auch im kommenden Jahr erneut zu beanspruchen. Ich finde diese Möglichkeiten wichtig, da es viele gibt, die zunächst ein Orientierungspraktikum während ihrer Schulzeit absolvieren, später ein weiteres Praktikum machen und am Ende als Angestellte im Unternehmen arbeiten.
Auch wenn es sicherlich schwarze Schafe gibt, sind die meisten Betriebe sich bewusst, dass ein Praktikant nicht einen regulären Mitarbeiter ersetzten kann. Auch die Aufgabe ist den meisten klar: den Betrieb kennenzulernen, um zukünftiges Arbeitspersonal zu gewinnen.
Ich finde es ist enorm wichtig, dass man junge Menschen ab 15 Jahre motiviert eine Sommerpraktika zu absolvieren, da sich dies positiv auf die persönliche Entwicklung auswirkt und von zukünftigen Arbeitgebern ein gutes Bild macht. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass auch wir häufig Sommerpraktikanten einstellen und eingestellt haben, welche nach ihrer Matura bei uns geblieben sind.
 
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Praktika: Sind sie Chance oder Ausbeutung?  (Foto: Andrea Piacquadio / Pexels)