Was leisten Übersetzungen
Roberta Dapunts Gedichte kennen (auch in Südtirol) viele. Sie werden auch von Leuten geschätzt, die sonst kaum Gedichte lesen. Wer die Autorin bei einem ihrer Auftritte erlebt hat, bleibt nachhaltig beeindruckt von ihrem Vortrag, von der auratischen Kraft ihrer Aussagen. Unter Südtirols Autor*innen ist sie die erste und bislang einzige, deren Gedichte in der renommierten collana bianca des Verlages Einaudi erscheinen. Hier hat sie bislang drei Bände vorgelegt, zuletzt, 2018, Sincope. Dieser wurde mit Italiens wichtigstem Preis für Lyrik, dem Repaci-Viareggio-Preis ausgezeichnet.
Schon lang hege ich den Verdacht und bin damit nicht allein, dass das Übersetzen in der dreisprachigen Provinz Südtirol paradoxerweise deshalb kaum Wertschätzung genießt und entsprechend auch keine Lobby und kaum Fürsprecher hat [...]
Anfang November ist im Folio Verlag der bei Einaudi bereits 2013 erschienene Band Le beatitudini della malattia in einer deutsch/italienischen Ausgabe, erweitert durch einige Übersetzungen ins Russische und Kosakische erschienen. Hatte die italienische Ausgabe 2013 ein breites Presseecho erfahren und wird die Autorin mit diesem Zyklus, der um das Thema Demenz kreist, bis heute häufig zu Lesungen, auch im Rahmen von medizinischen Kongressen eingeladen, ist die Rezeption im deutschsprachigen Raum bislang verhalten ausgefallen. Angesichts von Corona-Zeiten möglicherweise nichts Verwunderliches, dennoch fällt auf, wie schwer sich die Kritik, die hiesige zumal, mit diesem Band in Übersetzung tut.
Doch ich möchte unterscheiden. Von den zwei bislang in Südtirol erschienenen Besprechungen ist eine die Lobes-, vielmehr die Liebeshymne des Schriftstellers Jörg Zemmler, der sich in seinem Radiobeitrag vom 14. November in Christoph Pichlers Sendung Forum Literatur vor einer großen Dichterin verbeugt und seine Begeisterung auf originelle und berührende Weise in Worte fasst. Ein wunderbar persönlicher Beitrag, allerdings: kein Wort zur Übersetzung. D.h., Zemmler stellt sich zwar gleich eingangs eine entscheidende Frage, nämlich, ob es, bezugnehmend auf das Cover des Buches und den dort abgebildeten handschriftlichen Übersetzungsproben in diesem Buch um die Gedichte oder die Übersetzung gehe, entscheidet sich dann aber kurzerhand für erstere und liest sie im Original. Tja, schön für ihn, würde ich sagen, dass er als Südtiroler ausreichend Italienisch kann, um auf die Übersetzungen verzichten zu können. Schade aber für das Buch, dass sich gerade angeschickt hat, einem deutschsprachigen Publikum diesen Mehrwert anzubieten.
Explizit zur Übersetzung geäußert hat sich hingegen Georg Mair in seiner in der Weihnachtsausgabe der FF erschienenen Kritik. Auffällig auch hier, dass der Rezensent aus seiner Perspektive des zweisprachigen Südtirolers urteilt und ob seiner eigenen Italienischkenntnisse sich berufen fühlt, die Entscheidungen der Übersetzer*innen zu korrigieren und die in seinen Augen richtige Übersetzung einzelner Wörter statt der falschen oder wie er sagt „ungenauen“ Übersetzungen anzuführen.
Es geht um schmerzliche Momente des Verstummens und des Verlusts von Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch um die beglückenden Momente der Benennung und Verständigung.
Ist das genaue oder das am besten entsprechende Wort in jeder Übersetzung, insbesondere in jeder Gedichtübersetzung aber nicht gerade das zu Verhandelnde? Gilt es nicht, zusammen mit dem Analysieren syntaktischer und rhythmischer Strukturen gerade das Vokabular in all seiner oft vieldeutigen und ambivalenten Ausdrucksweise zu prüfen? Und dafür in der anderen Sprache eine Entsprechung zu finden, die allerdings nie eine eindeutig richtige, in jedem Fall selten die nächstliegende ist?
Schon lang hege ich den Verdacht und bin damit nicht allein, dass das Übersetzen in der dreisprachigen Provinz Südtirol paradoxerweise deshalb kaum Wertschätzung genießt und entsprechend auch keine Lobby und kaum Fürsprecher hat, um den Translationswissenschaften etwa im Rahmen der Universität eine Fakultät einzurichten, weil es im Alltag von jedem praktiziert wird und das Übersetzen als bürokratische Notwendigkeit, nicht aber als kreative, intellektuell anspruchsvolle Tätigkeit angesehen wird. Von daher der Irrglaube, man könne auch in der Literatur zwischen einer richtigen und einer falschen Übersetzung unterscheiden, während es zwischen Original und Übersetzung in Wirklichkeit nie Deckungsgleichheit, sondern immer nur Annäherung gibt. Gewinnbringender wäre es allemal sich damit zu beschäftigen, wie und mit welchen Mitteln eine Übersetzung diese Annäherung vollzieht und wie es ihr gelingt, das Original zur Geltung zu bringen, das heißt die Aufmerksamkeit auf dessen sprachliche Eigenheit, seine spezifische Färbung, Melodie, seine Tonlage und ja, seine Abgründe zu lenken.
Das Buch die krankheit wunder / le beatitudini della malattia handelt neben den Themen der Demenz und des Verlusts erworbener Erkenntnis- und Ausdrucksmöglichkeiten auch von Übersetzung. Es geht in diesem Band in vielfacher Hinsicht um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten menschlicher Kommunikation – der Übersetzung von Wahrnehmungen und Gefühlen mithilfe der Sprache. Es geht um schmerzliche Momente des Verstummens und des Verlusts von Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch um die beglückenden Momente der Benennung und Verständigung. Titelgebend und zentral ist der Begriff der beatitudine, des Wunders/des Geheimnisses/der Glückseligkeit der Krankheit, dem „vollkommenen zustand/der erinnerungen die keine augen haben und nicht zurückschauen“. So wie die Gedichte das Zwiegespräch mit Uma, der an Alzheimer erkrankten Mutter dokumentieren und dabei den Zustand der Krankheit sowohl als Schreckens- wie auch als Sehnsuchtsort umkreisen, umkreist die Inszenierung dieses mehrsprachigen Bandes das Thema der Übersetzung.
Für die Übersetzungen und für die Gestaltung des Buches zeichnet eine neunköpfige Gruppe des Übersetzerkollektivs Versatorium aus Wien. Das Übersetzen im Kollektiv ist nur eine Besonderheit des exzentrischen Übersetzungsvorhabens, dem sich diese Gruppe verschrieben hat. Es zeigt sich formal und gestalterisch unter anderem in der rigorosen Kleinschreibung, der unorthodoxen Abfolge von Original und Übersetzung, die im Buch immer wieder gedreht wird, im Verzicht der Paginierung der Seiten und an der Fülle weißer Seiten, die hier zwischen die Gedichte eingezogen wurden. Sprachlich sorgen vor allem die oft abwegig anmutende Wortwahl und der streng am Original ausgerichtete Satzduktus für Irritation. Beinahe stammelnd, nachsprechend folgen diese Übersetzungen dem Original, als wollten sie bewusst ihre eigene Souveränität untergraben.
Für mich, die ich selbst Übersetzerin bin und selbst Gedichte von Roberta Dapunt übersetzt habe und um die „verzagtheit des sagens“ auch in dieser Lyrik weiß, ist dieses Buch ein gelungenes, mutiges Experiment, wofür sowohl dem Übersetzerkollektiv als auch dem Folio Verlag Respekt gebührt. Ich anerkenne es als Einladung, den Prozess des Übersetzens mit zu vollziehen. Als das Angebot an die Leserin, den Leser, die Gedichte im Original und in der Übersetzung in einem Zwiegespräch zu erleben, in dem das Verhältnis der Sprachen zueinander thematisiert und Einblick gewährt wird in den unabschließbaren Leseprozess, der das Übersetzen letztendlich bleibt.
Vielen Dank Alma Vallazza!
Vielen Dank Alma Vallazza! Sehr treffend beschrieben - damit verstehe ich die Übersetzung Roberta Dapunts Buch auch besser. Ich dachte schon an einen Druckfehler, als ich die kyrillischen Sätze sah :-)