Klettern mit Babybauch
Text: Florian Trojer
Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Alpenverein Südtirol
„Ich bin schwanger!“ – eine Erkenntnis mit der in den allermeisten Fällen erst mal eine Riesenfreude zusammenhängt. Schon wenig später kommen dann die ersten Fragen und Unsicherheiten auf, die man abklären muss: Als werdende Mutter will man auf jeden Fall alles richtig machen. Gerade für begeisterte Bergsteigerinnen und Kletterinnen gehört dazu auch die Frage, ob und wie sie ihrem Lieblingssport auch weiterhin nachgehen können.
Der erste Schritt zur Abklärung dieser Frage kommt meistens gegen Ende des ersten Gesprächs mit dem Frauenarzt im zweiten Schwangerschaftsmonat: „Darf ich noch Sport betreiben?“ und „Worauf muss ich achten?“ sind wohl die gängigsten Fragen, mit denen die Ärzte konfrontiert sind. Je nachdem, wie die Antwort der Experten ausfällt, wird wohl den meisten Frauen bereits in dieser Phase klar, dass sie sich zwar zum Thema informieren können und müssen, in letzter Konsequenz aber selbst entscheiden, was für sie infrage kommt.
Vom Raten und Abraten
Leni, begeisterte Alpin- und Sportkletterin, hat dieses erste Gespräch noch sehr positiv in Erinnerung: „Meine Frauenärztin hat mir bestätigt, dass Sport in der Schwangerschaft nicht schadet und man nur darauf achten soll, sich nicht zu verletzen. Dadurch fühlte ich mich bestärkt, weiter im Vorstieg zu klettern und auch meine „Projekte“, die mich körperlich an die Grenze bringen, immer noch zu versuchen.“
Ganz anders erging es Evi, die gerne klettert, mit dem Mountainbike unterwegs ist und auch die eine oder andere Hochtour macht: „Als ich aus der Praxis kam, hatte ich das Gefühl krank zu sein.“ Ihr Frauenarzt hatte ihr von jeder, für sie interessanten Sportart abgeraten. Die Konsequenz daraus war für sie erstens, dass sie über dieses Thema nicht mehr mit ihrem Arzt gesprochen hat, und zweitens, dass sie sich anderweitig informieren musste. Und damit war sie, wie viele andere Frauen auch, bei der Ratgeberliteratur zum Thema Schwangerschaft gelandet.
Ratgeberliteratur
In den 1950er-Jahren riet die einschlägige Literatur, Sport im Schwangerschaftsverlauf wegen einer möglichen Gefährdung für das ungeborene Kind möglichst zu vermeiden. Diese Meinung geriet jedoch durch positive Erfahrungen – zum Beispiel leichtere Geburtsverläufe bei sportlich aktiven Frauen – nach und nach ins Wanken, bis man in den 1960er-Jahren bereits leichte körperliche Betätigung für einen positiven Schwangerschaftsverlauf empfahl. Auch wenn intensivere sportliche Betätigung weiterhin ausgeschlagen wurde, waren die Zeiten der Schwangerschaft als weitgehende Schonzeit vorbei. Heute findet man in jedem Schwangerschaftsratgeber ein Kapitel zum Thema Sport und darin wird Bewegung für Frauen in guter Hoffnung positiv bewertet. Die Unsicherheiten zum Thema sind damit aber keineswegs ausgeräumt, denn alle Ratgeber beschränken sich auf dieselbe Reihe empfohlener Sportarten wie Wassergymnastik, Yoga und Schwimmen. Für outdoorbegeisterte Frauen in den meisten Fällen keine echten Alternativen. Das Problem ist, dass Ratgeber meist für ein sehr breites Publikum geschrieben werden, wo man davon ausgehen muss, dass viele Leserinnen vor ihrer Schwangerschaft nur wenig oder gar keinen Sport betrieben haben. Deshalb halten sich die Autoren mit ihren Aussagen zum Thema zurück, um kein Risiko einzugehen. Lange fehlte es auch an speziellen Untersuchungen zu den einzelnen Bergsportarten für Schwangere.
Wissenschaftliche Auseinandersetzung?
Erst in den letzten Jahren hat sich das etwas geändert. So hat etwa die medizinische Kommission des internationalen Verbandes der alpinen Vereine (UIAA) Empfehlungen für den Aufenthalt von schwangeren Frauen in großen Höhen herausgegeben. Darin kratzen die Experten an der bisher allgemeingültigen Grenze der 2.500 Meter ü.d.M. und geben Höhenbergsteigerinnen differenzierte Informationen und Empfehlungen zur Hand. Die Zeitschrift für alpines Risikomanagement „bergundsteigen“ widmete 2014 dem Thema ebenfalls einen größeren Artikel, kam aber zum Schluss, dass „Sportarten wie Klettern und Skifahren während der Schwangerschaft vermieden werden sollten.“ Die Autoren machen hier aber leider keinen Unterschied zwischen einer alpinen Route in brüchigem Fels irgendwo am Ende der Welt und Klettern im Nachstieg in der Kletterhalle, keine Differenzierung zwischen einer kurzen Skitour einer versierten Skibergsteigerin bei guten Verhältnissen und der Abfahrt einer Ski-Anfängerin über eine eisige, überfüllte Piste – Klettern und Skifahren sind nichts für Schwangere, Punkt.
Selbst entscheiden
Den Betroffenen selbst bleibt also vielfach nichts anderes übrig, als sich untereinander auszutauschen und vor allem ganz genau darauf zu achten, welche Zeichen ihr Körper ihnen gibt. Doris, begeisterte Skitourengeherin, hat sich in ihrer ersten Schwangerschaft noch bis ins sechste Schwangerschaftsmonat die Tourenski angeschnallt: „Ich habe mir etwas leichtere Touren als sonst ausgesucht und immer auf gute Verhältnisse geachtet.“ Ihren Abfahrtsstil während der Schwangerschaft bezeichnet sie selbst als „sehr vorsichtig.“ „Im sechsten Monat habe ich dann mit den Skitouren aufgehört“ berichtet Doris weiter, „die Schneeverhältnisse wurden zunehmend schlechter und damit wurde mir das Risiko einfach zu groß.
Leni ist ab dem vierten Monat der Schwangerschaft nicht mehr vorgestiegen und nur noch Toprope geklettert: „Mein Gefühl sagte mir, dass es so besser ist. Außerdem haben mir auch andere Mütter, die selbst in der Schwangerschaft geklettert sind, dazu geraten. Auch auf Gletschertouren habe ich verzichtet, weil ich im Hochsommer hochschwanger war. Dagegen waren Bergtouren bis auf 3.000 Metern Höhe für mich eine Selbstverständlichkeit, obwohl es manchmal mühsam und das Tempo viel langsamer als gewohnt war.“ Eines der schönsten Bergerlebnisse während der Schwangerschaft war für Leni eine alpine Klettertour auf den Dritten Sellaturm: „Die Tour hat mich sehr positiv durch die folgenden Wochen begleitet.“ Solche Erfahrungen machen viele Schwangere. Sport tut nicht nur dem Körper gut, sondern hat auch überaus positive Auswirkungen auf die Psyche. „Die starke Müdigkeit während der Schwangerschaft konnte ich am ehesten wegklettern, das Klettern erschien mir immer am mühelosesten, ich fühlte mich frei, schwerelos und gefordert zugleich. Das Klettern hat mich dann sogar während der Geburt begleitet. Erinnerungen an schwierige Kletterpassagen kamen mir zwischen den Wehen in den Sinn und haben mir geholfen durchzuhalten.“