Kintsugi auf Südtirolerisch
-
Es ist ein Glücksfall, dass auf der Suche nach einem Plan C für den Spielort der Freilichtspiele Südtiroler Unterland die Wahl auf den alten Bahnhof der Fleimstalbahn gefallen ist, an den auch der Festplatz von Montan angrenzt. Spielort A und B in Neumarkt waren heuer nicht frei. Unter dem dunklen Holz des alten Hauses ist, recht spartanisch und ländlich, eine Richterstube eingerichtet (Bühne und Kostüme: Nora Veneri). Davor fanden bei der ausverkauften Premiere (mit zahlreichen Sponsoren) 300 Personen auf und nahe der Tribüne Platz. Der Bahnhof steht dem Klösterle an Charme in nichts nach und konnte sich bei „seiner“ FSU Premiere am Montagabend beweisen.
Im Sachverhalt „Der zerbrochene Krug“ führt Dorfrichter Adam (Nik Neureiter) die Verhandlung, Regisseur Roland Selva protokolliert (und kommentiert bissig) das Geschehen in der Rolle des Gerichtsschreibers Licht. Licht in die Sache eines zerbrochenen Tongefäßes und der möglichen verlorenen Unschuld der schönen Eve (Alexa Brunner) sollen Zeugenaussagen bringen: Es geht um die Worte von Eves Mutter und Krugbesitzerin Marthe (Valentina Emeri), Eves Verlobten Ruprecht (David Thaler), sowie dessen Tante Brigitte (Bettina Mayrhofer) und zuletzt, Eve selbst.
Richter Adam, der mit nicht einer, sondern zwei Kopfverletzungen erwacht, strebt ein möglichst knappes Verfahren an, der Gerichtsrat Walter (Markus Westphal), der unangekündigt aus Utrecht ins Dorf kommt um Akten und Rechnungen am Land zu prüfen, stellt sich diesem Wunsch in den Weg. Mit großer Strenge und Autorität ist es ihm ein Anliegen, dass auch bei der Rechtsprechung am Lande alles mit rechten Dingen zugeht. Das Stück spielt dabei rasch mit dramatischer Ironie, was bedeutet, dass das Publikum mehr weiß als die Figuren im Stück, mit Ausnahme des Richters, vielleicht, auch wenn dessen Erinnerung nach zwei Schlägen auf den Kopf zu Beginn des Stückes unzuverlässig scheint. Der Richter haspelt, widerspricht sich selbst und macht sich verdächtig, der Angstschweiß steht ihm auf der Glatze, was nicht einmal eine der zwei Richterperücken Adams verschleiern könnte. Die eine ist beim Perückenmacher und die andere soll als Beweisstück später auf die Bühne zurückkehren.
-
Oswald Schiefer, Obmann des Trägervereins Theater an der Etsch, versprach in seinen Grußworten dem Publikum eine Aufführung, die mehr zum Nachdenken denn zum Lachen anregen sollte und behielt, auf seine weise, Recht. Viel des Humors zur Auflockerung der Aufführung ergibt sich dabei aus Slapstick, Situationskomik und Wortwitz, der zum Teil an der alten Sprache (siehe Anrisstext) hängen bleibt. Besonders in den kleineren Rollen wird sich dann schon mal versprochen, die Momente sind kurz und stören nicht weiter. Roland Selva selbst ist textsicher, als Gerichtsschreiber Licht steht er wahrscheinlich in der Rolle auf der Bühne, die am stärksten auf Lacher ausgelegt wurde. Sein Beitrag auch als Humorist auf der Bühne ist willkommen, der Kern des Lustspiels ist allerdings ein sehr unlustiger: 1808 wie auch 2024 sind vor dem Gericht nicht alle gleich, am wenigsten die Richter.
Auf der Gegenseite - wo wir schon einmal beim Thema Ungleichheit wären: Natürlich ist ein sprachlich und handlungstechnisch bei Kleist belassenes Stück, trotz Kürzung auf knappe eineinhalb Stunden, in einigen Belangen nicht mehr zeitgemäß, gerade beim Frauenbild. Viel Text hat auch Alexa Brunner als Eve, verglichen mit ihren männlichen Kollegen, nicht. Die Schauspielerin haben wir schon in spannenden, vielschichtigen Rollen gesehen. Diese Eve ist für uns keine davon. Statt Handlungsspielraum gibt es Verzweiflung in vielen verschiedenen Ausführungen in ihrer Mimik und Stimme, sauber gespielt. Die männlichen Rollen, vor allem die des Gerichtsrats Walter und des Verlobten Ruprecht, spielen die Kollegen Brunners dagegen mit großer Intensität und Strenge. Markus Westphal als regeltreuer Gerichtsrat ist dabei vor allem Richter Adam ein Ärgernis, David Thalers jähzornige Interpretation von Ruprecht lässt uns dagegen um die Zukunft seiner Verlobten zittern, von der er spricht wie von Besitz, was . In der Verbindung von Thalers charakteristischem Bühnenzorn und Feuereifer, die man beide aus anderen Rollen kennt, mit dem Gesprochenen wäre sein Verhalten aus heutiger Sicht wohl als toxisch zu werten. Viel besser als der lüsterne Richter ist auch die Aussicht auf diese Beziehung nicht.
Die aufbrausende Art mit der Ruprecht auf die mögliche Verletzung seiner Ehre und mutmaßliche Untreue seiner Verlobten reagiert, zeichnet zusammen mit dem hohen Pathos des Stückes ein unbehagliches Bild. Die Schauspieler sind dabei der Kitt, der den zerbrochenen Krug wieder einmal zusammenhält, angesichts einer sehr originaltreuen Stückfassung, die das Rad nicht neu erfindet. Immer wieder mal glitzert das Schauspiel - allen voran Westphals, Brunners und Thalers Leistung - aus den Rissen heraus, die eine traditionelle Freilichtaufführung nahe am Original heute aufweisen kann. Im dargebotenen Südtiroler Kintsugi (Japanische Reparaturmethode mit Goldpaste für Keramik) gelingt eine runde, originaltreue Version. Statt mit Kontrasten zum Original, arbeitet man mit Erdtönen am irdenen Gefäß, weil das Publikum an Erdtöne gewöhnt ist. Wie die Klägerin im Stück weigert man sich hierzulande den „Zerbrochenen Krug“ aus den Händen zu geben und irgendwas daran zu ändern, was für viele, unter freiem Himmel und vor schöner Kulisse, eine gute Nachricht sein wird. Wer im Jahr 2024 auf einen etwas kritischen Blick auf das vielgespielte Stück hofft, mag ihn anderswo suchen.
Das Stück endet schließlich, ohne dass Recht gesprochen wird. Der Schuldige macht sich wortwörtlich vom Acker und das Ende ist damit, nachdem wir dem Prozess von Anfang an mitverfolgt haben, ein auf denkbar unbefriedigende Weise kafkaeskes. Es triumphiert allein der Selbstschutz eines maroden Systems. Das muss verdaut werden. Mit einem „Nachtmahl, oder Abendmahl, wenn man so will…“ will TAE-Obmann Schiefer dennoch im Anschluss an den warmen Schlussapplaus die zahlreich erschienen Sponsoren, den Medienpartner, Politiker und weiteren Prämierengäste zum von der Neumarkter Schützenkompanie aufgetragenen Premierenschmaus locken. Zu Beginn des Abends hatte er noch die Relevanz des Stücks in Zeiten der „moralischen Verlotterung und Scheinheiligkeit“ betont. Damit ist der restliche Abend wohl auch keine Bacchanale nach Pariser Vorbild geworden.
Termine und Tickets„Der Zerbrochene Krug“ wird an folgenden Terminen bei den FSU zu sehen sein: Donnerstag 8. August, Freitag 9., Montag 12., Dienstag 13., Mittwoch 14., Freitag 16., Montag 19., Dienstag. 20., Mi. 21., Do. 22., sowie Freitag 23. August. Spielort ist der Bahnhof der alten Fleimstalbahn am Festplatz von Montan, Beginn der Aufführungen um 21 Uhr.
Tickets können telefonisch zu Bürozeiten (0471 812128), per Email ([email protected]) oder online reserviert werden.
Der mataner ex-Bahnhof ist…
Der mataner ex-Bahnhof ist echt nett und mùsste noch mehr aufgewertet werden.