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Sein eigener Chef sein

Das AFI veröffentlichte heute eine Studie zum Gestaltungsspielraum an Südtirols Arbeitsplätzen. Was die Mitentscheidung über organisationale Rahmenbedingungen angeht, hat das Baugewerbe die Nase vorn.
Raffin Arbeiter
Foto: Raffin GmbH
  • Selbstgestaltung bei der Arbeit fördert sowohl die Produktivität und Zufriedenheit, als auch das Wohlbefinden von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz. In allen Südtiroler Branchen haben Arbeitnehmer etwa gleichermaßen Einfluss auf Arbeitsmethoden, -reihenfolge und -tempo. Diese Erkenntnis und genaue Brancheneinblicke für Südtirol lieferte das Arbeitsförderungsinstitut (AFI) heute (07.08.2024) im Rahmen einer Pressekonferenz. Auf einer Skala von 0 (gar nicht gut) bis 100 (sehr gut) beträgt das Maß an Arbeitsgestaltungsmöglichkeiten für Südtiroler Arbeitnehmer gesamtwirtschaftlich 64, wobei keine signifikanten Unterschiede zwischen den Branchen erkennbar sind. „Die Arbeitnehmer sämtlicher Branchen können sich ihre Arbeit also grundsätzlich gleichermaßen frei einteilen – das ist ein gutes Ergebnis“, so der Studienautor und AFI-Arbeitspsychologe Tobias Hölbling.

     

    Weniger psychische Beschwerden bedeutet weniger Fehlzeiten – das ist gut für die Arbeitsproduktivität der Unternehmen.“

     

    Deutliche Unterschiede gibt es hingegen bei der Mitentscheidung organisatorischer Rahmenbedingungen bei der Arbeit. Hier dreht sich alles um Fragen wie „Können Mitarbeiter auch dann mitreden, wenn es um die Arbeitsziele geht? Bietet das Unternehmen den Mitarbeitern Raum, um Vorschläge zu unterbreiten, welche die Arbeitsorganisation verbessern? Werden wichtige, die Arbeit betreffende Entscheidungen den Mitarbeitern einfach vorgesetzt oder können sie diese Entscheidungen beeinflussen?” Die Nase vorn hat hier das Baugewerbe, 72 Prozent der befragten Arbeitnehmer geben an, dass sie Einfluss auf die Rahmenbedingungen bei ihrer Arbeit haben. Im Gegensatz dazu steht die öffentliche Verwaltung. Hier geben dies mit 59 Prozent deutlich weniger Arbeitskräfte an. Allgemein schneiden bei diesem Aspekt die privatwirtschaftlichen Branchen, in denen ein hohes Maß an spontaner, nicht von vorneherein planbarer Zusammenarbeit nötig ist, um die Arbeitsaufgaben zu erfüllen, besser ab. 

  • Was ist Gestaltungsspielraum?

    Es handelt sich dabei um die Möglichkeit, Einfluss auf Arbeitsinhalte und die Rahmenbedingungen, unter denen die Arbeit stattfindet, zu nehmen. Bei diesem Spielraum dreht sich alles um die Frage: Hat man die Möglichkeit, auf eine menschenwürdige und persönlichkeitsfördernde Weise zu arbeiten oder nicht? Zur konkreten Gestaltung zählen dabei Aspekte wie Arbeitsmethoden, das Tempo der Ausführung sowie die Reihenfolge, in der Aufgaben erfüllt werden.

  • Vorteile von Gestaltungsspielraum am Arbeitsplatz

    Negative Folgen von zu wenig Selbstgestaltung: In extremen Fällen kann es sogar zu Burnout kommen. Foto: SALTO/Alin Sellemond

    Wer seine Arbeitstätigkeit selbst gestaltet, ist leistungsfähiger und auch gewillt, mehr Leistung zu erbringen. Diese Arbeitskräfte leiden außerdem seltener unter psychischen und körperlichen Beschwerden, haben eine geringere Stresswahrnehmung und fehlen deshalb seltener bei der Arbeit. Im Beruf Neues lernen zu können, ist das Sahnehäubchen für die fachliche und persönliche Weiterentwicklung und das psychische Wohlbefinden. „Weniger psychische Beschwerden bedeutet weniger Fehlzeiten – das ist gut für die Arbeitsproduktivität der Unternehmen, aber auch für die Krankenkassen; psychisch bedingte Fehlzeiten sind teuer“, unterstreicht AFI-Präsident Andreas Dorigoni.

  • Versammlungen keine Gewähr für Mitentscheidung

    Regelmäßige Versammlungen, bei denen Mitarbeiter ihre Ansichten über das Unternehmen oder die Organisation äußern können, gibt es am häufigsten in den Bereichen Unterricht und Erziehung (in 84 Prozent der Fälle), Gesundheits- und Sozialwesen (71 Prozent) und der öffentlichen Verwaltung (68 Prozent). Diese drei Branchen haben formal gesehen eines gemeinsam: Die große Mehrzahl der in dieser Kategorie erfassten Betriebe und Organisationen sind Teil des öffentlichen Sektors. Überraschenderweise ist es aber um die Mitgestaltung der Rahmenbedingungen der Arbeit weder im Gesundheits- und Sozialwesen (61 Punkte) noch in der öffentlichen Verwaltung (59) gut bestellt: „Das bedeutet, dass regelmäßige formelle Versammlungen, bei denen Mitarbeiter ihre Meinung zum Unternehmen äußern können, per se keine Gewähr dafür bieten, dass Mitarbeiter auch was zu sagen haben, wenn es um Entscheidungsfindung, Arbeitsziele und Verbesserungsvorschläge geht. Private Wirtschaftsbereiche haben, da die Nase vorn“, merkt Hölbling abschließend an.
    Arbeitgebern könne man also nur empfehlen, Mitarbeitern einen gewissen Gestaltungsfreiraum zu ermöglichen, denn es profitieren beide Seiten.