Kultur | salto-Gespräch

"Ich möchte, dass sich Dinge verändern"

In diesen Wochen führt er im Kino vor Augen, wie das System Milch Kühe zu Eutern auf Beinen macht: Andreas Pichler über seinen neuen Film und ein Metier, das Passion ist.
Andreas Pichler
Foto: Foto: Privat

salto.bz: Herr Pichler, zuerst die großen Premieren in Berlin und München, in dieser Woche die Vorstellung in Bozen und Kaltern. Wie fühlt sich das an, einen Film wie „Milch, das System“ dem Publikum, den Kritiken freizugeben? Gibt es da auch so etwas wie eine Katerstimmung, wenn die Spannung nachlässt, wenn man gewissermaßen das eigene Kind loslässt?
Andreas Pichler: Nein, eigentlich ist das einfach nur eine tolle Befriedigung, einen Film so zu begleiten und mit dem Publikum zu diskutieren. Wir haben in Deutschland in den vergangenen Wochen ja eine richtige Vorstellungstour gemacht, waren auch in vielen mittelgroßen Städten wie Freiburg, Augsburg oder Stuttgart unterwegs. Natürlich auch, um den Film zu promoten, aber das ist auch für mich persönlich extrem bereichernd. Ich mache oft Produktionen, die nur im Fernsehen gezeigt werden. Die sehen am Ende vielleicht mehr Menschen, aber es kommt viel weniger zurück. In den Kinos bin ich dagegen nun physisch dabei, sehe, was der Film mit den Leuten macht, was bewegt. Und das ist unheimlich befriedigend, teilweise richtig beglückend.

Valerio B. Moser, Ihr langjähriger Partner bei Miramontefilm, hat bei einem Interview im Rahmen der Miramonte-Werkschau bei den Filmtagen 2017 gemeint, dass Sie im Gegensatz zu ihm von allen Zustimmung für Ihre Filme haben wollen. Hat der Milch-Film das Potential, Ihnen diese Befriedigung zu verschaffen?
Also, ich finde ja, dass ich mittlerweile auch mit Kritik ganz gut umgehen kann (lacht). Doch es ist natürlich so, dass das Publikum, das sich den Film ansieht, meist selbst eine kritische Haltung hat und Dinge in Frage stellt. Dadurch kommt es selten zu so richtigen Zusammenstößen. Am schwierigsten war es in den Städten eigentlich, wenn Veganer im Publikum waren.

Warum das?
Solche Leute sind oft ziemlich ideologisiert, auch wenn ich Teile ihrer Positionen durchaus nachvollziehen kann. Aber da kam dann eben oft so rüber, dass die einen Film wollen, der klipp und klar sagt, das ist schlecht, das ist gut.

Und das tun Sie nicht?
Ich glaube, meine Haltung zu dem ganzen Thema kommt zwar klar rüber. Trotzdem sagt meine Erzählstimme jetzt nicht: Du darfst nicht und sollst nicht und Du musst...Also ich überlasse es dem Zuschauer, selbst seine Schlüsse zu ziehen. Diesbezüglich war es eigentlich am spannendsten in den kleinen Städten wie Passau. Da hatten wir relativ viele Bauern im Publikum, schon großteils eher kritische, die wissen, dass viele Dinge nicht gut laufen. Aber dort konnte man bei den Diskussionen richtig spüren, wie sie der Film noch einmal beim Infragestellen ihrer Praktiken weiterbringt, wie er ihnen hilft, ihre Situation noch klarer zu sehen. Auch wenn manche sichtlich aufgewühlt waren.

"​Landwirtschaft kann nicht nur von Bauern, Bauernverbänden, Lobbyisten und Industrie betrieben werden, sie geht uns alle etwas an. Denn sie wird vor unserer Haustür betrieben, sie hat Auswirkungen auf Umwelt, auf Tiere, auf unsere Gesundheit."

Dennoch gibt es in Ihrer Dokumentation  durchaus die „good guys“ und die „bad guys“. Oder sehen Sie in diesem System Milch nicht auch Täter und Opfer?
Nein, Täter und Opfer nicht. Ich sehe mich als Filmemacher, als Dokumentarfilmer als jemand, der die Dinge aufzeigt und gegenüberstellt, sie dann natürlich auch in einen erzählerischen Kontext bringt. Sprich, mir geht es eher darum, Sachen ans Licht zu bringen. Zum Beispiel bei den Managern dieser multinationalen Molkereien. Da interessiert mich vor allem, in deren Logik hineinzukommen. Ich bin auch nicht konfrontativ in den Gesprächen mit denen, außer vielleicht mal ab und zu mit einer kleinen kritischen Frage. Doch mir geht es nicht darum, da etwa im Stil von Michael Moore etwas aus der Konfrontation herauszuholen. Ich will verstehen, wie die ticken, und dafür muss ich erst einmal in ihren Kosmos eintreten.

 

Vor allem unter den Bauern gibt es im Film einige sehr starke Protagonisten, in deren Kosmos man eintritt. Nicht nur „unseren“ derzeit omnipräsenten Alexander Agethle, sondern zum Beispiel auch den dänischen Großbauern Peder Mouritsen, an dessen Beispiel besonders deutlich wird, was in diesem System Milch alles schief läuft. Wie finden Sie solche Leute und wie überzeugt man sie, bei solch einer kritischen Doku mitzumachen?
Das ist manchmal schon ein Drahtseilakt. Mit den Bauern war ich aber sehr offen und klar, auch mit Peder, der hat genau gewusst, um was es geht. Ihn habe ich über den Biobauern kennengelernt, der auch im Film vorkommt. Und mich hat sofort fasziniert, dass er so straight-forward, so total direkt ist. Der sagt die Sachen, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen...

Zum Beispiel, wenn er seinem Sohn bei einem Spaziergang über den Hof sagt: „Wir sind mit allen im Krieg“ oder „Manchmal muss du ein Arschloch sein“.
Ja, dieser Dialog ist wirklich der Wahnsinn. Das ist eben wie ein Geschenk, solche Typen zu finden. Natürlich braucht man dafür auch einen gewissen Riecher. Aber ich habe mir sicher 20 bis 30 Höfe angesehen, und vor allem im ehemaligen Osten Deutschlands war das ein richtiger Eiertanz. Da gibt es auch riesige Anlagen, das sind dann ehemalige landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, die nun privat geführt werden. Dort gab es aber viel eher ein Bewusstsein, dass das nicht so vorteilhaft ist, in der Öffentlichkeit zu zeigen, wie industriell produziert wird. In Dänemark herrscht dagegen eine andere und offenere Kultur, die produzieren auch schon länger für den Weltmarkt.

Wie schwierig war es dagegen bei den großen Molkereien ranzukommen?
Bei denen sind wir lange überhaupt nicht rangekommen, vor allem in Deutschland nicht. Damals ging auch grad die Milchkrise so richtig los und da wollte erst recht niemand etwas mit Presse oder Film zu tun haben. Mich hat dann aber ohnehin vor allem Arla interessiert, ein dänischer Konzern, der mit einer sehr aggressiven Expansionspolitik innerhalb kurzer Zeit zur weltweiten Nummer Fünf auf dem Milchmarkt geworden ist. Und dort bin ich dann schließlich an den CEO  Peder Tuborgh rangekommen, der diese Expansion maßgeblich initiiert hatte. Der steht auch zu dem, was er macht. Wenn ich auch bei ihn nicht alle Karten auf den Tisch gelegt habe, was die Ausrichtung des Films betrifft. 

"Letztendlich sind es gesellschaftliche Brennpunkte, die mich interessieren, gesellschaftlich relevante Themen, die mich auch selbst berühren."

Sie erzählen in dieser Dokumentation über das System Milch, das aber auch exemplarisch für unser Wirtschaftssystem gesehen werden kann. Da gibt es den ständigen Optimierungs- und Rationalisierungswahn, da wird gezeigt, wie ein Produkt Konsumenten über massive Marketing-Offensiven aufgezwängt wird, obwohl es in dem Fall in China keinerlei Milchtradition gab. Und es wird zum Beispiel deutlich, wie lokale Produktionen in Afrika durch die subventionierten europäischen Produkte kaputtgemacht werden.   Was hat Sie persönlich im Lauf des Drehs am meisten beeindruckt?
Ich würde sagen, diese Härte und Brutalität, die da mittlerweile zwischen den Bauern herrscht. Eigentlich wartet da nur jeder darauf, dass der Nachbar Pleite geht, weil er dann einen Konkurrenten weniger hat oder vielleicht seine Wiesen übernehmen könnte. Also natürlich sind zum Beispiel diese 10.000-Kühe-Höfe in China auch sehr beeindruckend, aber diese Entsolidarisierung, die da stattgefunden hat, ist mir noch näher gegangen. Ich persönlich finde das neoliberale Denken prinzipiell nicht unbedingt gut, aber in der Landwirtschaft geht es definitiv nicht.

 

Weil dann eben Kühe zu Eutern auf Beinen werden, die zu tausenden in Karusellställen gehalten werden?
Man kann dort nicht einfach alles optimieren. In der Landwirtschaft haben wir es mit Tieren zu tun, mit der Umwelt und mit Menschen, also Bauern, die auf den Höfen leben und arbeiten. Und so ein Hof ist ja eine Einheit, das sind nicht Manager, die nach der Arbeit nach Hause gehen. Und das war einfach stark zu spüren, welch verherrende Auswirkungen es hat, wenn solch weiche Faktoren unter diesen Rationalisierungszwang kommen. Diese Bauern sind einfach vielfach gebrochene Leute, nicht nur Pedar, auch diese mittelgroßen Bauern aus Baden-Württemberg, die stehen dermaßen unter Druck und rackern rund um die Uhr. Die schauen auch nicht gesund aus, die Jungs. Man braucht sich dann wirklich nicht zu wundern, wenn die Selbstmordraten bei Bauern übermäßig hoch sind.

Das Gegenmodell im Film kommt dann aus Südtirol, mit Alexander Agethle und seinem Bio-Hof samt Hofkäserei in Schleis. Die Südtiroler Milchwirtschaft hätte den Film eigentlich mitfinanzieren müssen, so gut steigt sie darin dank dieses Protagonisten aus. Schließlich sieht die Realität auch hierzulande nicht unbedingt überall so nachhaltig aus wie auf Agethles Hof.
Der Film war von Beginn an als größere Koproduktion für den deutschsprachigen Raum gedacht, auch für Frankreich über Arte. Und mein Anliegen war es, diese zwei Extreme zu zeigen. Auf der einen Seite diese hochrationalisierte Milchwirtschaft, die wir vor allem im Norden Europas mit Bauern mit 800 Kühen haben bis hin zu den totalen Exzessen in China, aber übrigens auch in den USA oder Neuseeland, mit 10.000-Kühe-Höfen. Und das Gegenmodell ist dann eben der kleine Biobauer, der sein eigenes Ding macht.

Dass der aus Südtirol kommt, ist sicher auch gut für das durch die Pestizid-Diskussion gerade strapazierte Image der Südtiroler Landwirtschaft...
Das hatte einfach damit zu tun, dass ich den Alexander schon vorher kannte und es toll finde, was er macht. Er hat einen interessanten Ansatz und ist ein toller Protagonist, weil er auch gut über die Dinge reden kann. Aber natürlich gibt es zwischen diesen Extremen eine ganze Palette von Zwischentönen in der Milchwirtschaft.  Und was in Südtirol so gemacht wird, über die Mila und die Senni, ist eben so ein Mittelding.

Das im Vergleich zu Arla durchaus als nachhaltig bezeichnet werden kann?
Klar, der Weg hier ist sicher noch viel stärker auf Qualität ausgerichtet, wenn auch vor allem vom Futtermitteleinsatz her einiges zu überdenken wäre. Und so mittelgroßen Realitäten wie die Bergmilch müssen sich sicher entscheiden, entweder größer zu werden und stärker raus zu gehen oder noch konsequenter in Richtung Qualität zu gehen. Denn alles dazwischen wird auf Dauer schwierig werden. Aber ich denke, was der Film zeigt und was sich in Südtirol auch schnell auf andere Themen übertragen lässt ist, dass Landwirtschaft wirklich eine Art Gemeinwohl ist.

Was meinen Sie damit konkret?
Landwirtschaft kann nicht nur von Bauern, Bauernverbänden, Lobbyisten und Industrie betrieben werden, sie geht uns alle etwas an. Denn sie wird vor unserer Haustür betrieben, sie hat Auswirkungen auf Umwelt, auf Tiere, auf unsere Gesundheit...

Auf die Landschaftspflege und den Tourismus...
Genau, es ist ein hochkomplexes Thema. Deshalb finde ich es umso wichtiger, dass man nachhaltig produziert und auf Qualität setzt. Natürlich  müssen die Leute dann auch bereit sein, ausreichend dafür zu zahlen, was gerade in Deutschland ein Riesen-Thema ist. Denn die Deutschen geben glaube ich europaweit am wenigsten für Lebensmittel aus.  

Ihr Film reiht sich in eine Reihe von Dokumentationen à la „We feed the world“ ein, die das Zeug hätten, die Bereitschaft zu steigern, wieder mehr dafür auszugeben. Für Sie war es dagegen der erste Film über Lebensmittel – nach Dokumentationen zu Themen wie Massentourismus, Call Centers, einem Rohstoff wie Lithium. Wie würden Sie selbst den thematischen roten Faden beschreiben, der sich durch Ihre Arbeit zieht? Was muss ein Thema bieten, damit Sie aufhüpfen?
Letztendlich sind es gesellschaftliche Brennpunkte, die mich interessieren, gesellschaftlich relevante Themen, die mich auch selbst berühren. Also der Massentourismus beim Venedig-Film ist hier in Südtirol zum Beispiel ein Thema, das uns alle betrifft, ob man den in Venedig erzählt oder woanders. Und das gleiche gilt für die Landwirtschaft. Auch wenn es diese Exzesse der Milchproduktion bei uns nicht gibt, gibt es halt vielleicht Exzesse im Apfelanbau. Mir geht es immer darum, Zusammenhänge aufzuzeigen, den gesellschaftlichen Impact von bestimmten Handlungen, von politischen Entscheidungen deutlich zu machen. Denn ich finde es wichtig, dass wir uns als BürgerInnen einmischen.

Sprich, Sie wollen die Welt mit Ihren Dokumentarfilmen schon auch ein Stück verbessern?
Ja, natürlich möchte ich, dass sich Dinge verändern. Das ist das Grundanliegen, sonst würde ich das wahrscheinlich nicht machen. Viel ist auch einfach  Neugier, mir gefällt es total gut, mich in Themen zu vertiefen. Man braucht für diese Arbeit schon so ein genuines Interesse, auch an Menschen natürlich.

Sie haben an „Milch – das System“ über zwei Jahre gearbeitet und eine gewaltige Recherche betrieben, für die Sie auch Rechercheteams in Südtirol und in Deutschland hatten. Für das „Venedig-Prinzip“ haben Sie ein Jahr lang in Venedig Menschen begleitet. Wenn ich das mit den Bedingungen vergleiche, unter denen in Redaktionen vielfach Geschichten entstehen.... Ist der Dokumentarfilm eine der wenigen Nischen geblieben, in denen noch tiefe Recherche möglich ist?
Das ist natürlich auch ein Privileg, sich so intensiv mit Themen auseinandersetzen zu können. Wir holen uns das aber auch raus. Ich meine, wir leben alle finanziell an der Grenze, da geht es mehr um eine große Leidenschaft. Reich wird man damit sicher nicht, und es gibt auch nicht viele Kollegen, die das machen können. Man muss es wollen und man muss auch dafür kämpfen, und selbst dann geht es nicht bei jedem Thema. Aber ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass die Qualität eines solchen Films stark von der Tiefe der Recherche abhängt. Doch eines ist dabei das Wissen, das andere sind die Protagonisten, mit denen ich meine Inhalte erzählen und transportieren kann. Sie zu finden, kostet meist noch mehr Zeit. Doch über sie komme ich dann immer noch näher und tiefer in das Thema rein.

Wie viel Beziehung müssen Sie zu diesen Menschen aufbauen, bevor Sie sie vor die Kamera holen?
Das ist total unterschiedlich. Es gibt so Typen wie den Dänen Peder vom Milch-Film, der war da ruckizucki bereit mitzumachen. Beim Venedig-Film hatte ich dagegen zum Beispiel einen Protagonisten, einen Immobilienmakler, mit dem habe ich mich ein Jahr lang einmal im Monat getroffen und über alles mögliche gesprochen, bevor er dann definitiv zugesagt hat. So jemand setzt auch viel aufs Spiel, der verkauft Wohnungen in Venedig und sagt im Film dann, eigentlich geht hier alles den Bach runter. Aber für ihn war das letztendlich wirklich eine Notwendigkeit, sich als kritischer Geist zu outen.

 

Sie leben seit 2001 von Dokumentarfilmen. Wie viele ihrer ehemaligen Studienkollegen an der Zelig schaffen das auch?
Lustigerweise einige aus meiner damaligen Klasse. Vielleicht weil wir so die Pioniere an der Zelig waren damals, dann wollten wir es auch wissen. Also neben Valerio Moser ist auch Maja Wieser erfolgreich in der Produktion unterwegs. Dann war bei uns noch Osmund Zöschg von Artivity und wenn ich mich nicht täusche sogar Monica Trettl....Wenn man dagegen jetzt so die Zelig-Abgänger anschaut, gibt es doch verhältnismäßig wenige, die dann tatsächlich in dem Sektor arbeiten. Bei den technischen Berufen, also bei Kamera und Schnitt ist es ein bisschen anders. Aber vor allem Regie ist schwierig, da gehört so vieles dazu. Man muss schließlich nicht nur Filme machen, sondern sich auch verkaufen können, Produzenten finden.....Und das ist eben nicht jedermanns Sache.

Ihre Sache war es dagegen? Oder wie sind Sie in das Geschäft reingekommen?
Ich habe nach der Zelig noch in Berlin studiert und dort hat alles begonnen. Ich habe damals für eine Filmzeitschrift geschrieben mit Freunden zusammen, und einer von denen hat dann einen Dokumentarfilm gemacht. Über ihn bin ich dann zur Redaktion von 3Sat gekommen, die dann wiederum ein Projekt von mir gut fanden. Dann habe ich noch einen Produzenten aus Hamburg kennengelernt, mit dem ich mich gut verstanden habe, und so ist alle ins Rollen gekommen.

Erst einmal in Berlin?
Ja, Miramonte haben wir dann erst einige Jahre später, im Jahr 2005, gegründet.

Sie arbeiten viel mit europäischen Fördergeldern und Koproduktionen mit verschiedenen TV-Sendern und Produktionsgesellschaften. Wie schwierig ist es, in diese Schiene reinzukommen?
Natürlich ist es leichter, wenn du schon Sachen gemacht hast. Aber auch dann hat man nur eine Chance, wenn man gute Projekte bringt. Es bleibt einfach schwierig. Ich bin zum Beispiel seit Jahren nicht mehr imstande, mit 3Sat ein Projekt zu machen, obwohl die meinen allerersten Film produziert haben und ich mit ihnen wirklich eine tolle Zusammenarbeit  hatte. Große Projekte sind in jedem Fall immer Koproduktionen, die könnte man in Südtirol allein gar nicht stemmen.

"Das ist natürlich auch ein Privileg, sich so intensiv mit Themen auseinandersetzen zu können. Wir holen uns das aber auch raus. Ich meine, wir leben alle finanziell an der Grenze, da geht es mehr um eine große Leidenschaft."

Das Logo des TV-Senders Arte scheint dagegen regelmäßig auf den Plakaten  ihrer Filme auf...
Mit Arte habe ich einen speziellen Draht, so eine Art Seelenverwandtschaft. Die machen einfach so eine Art von Fernsehen, die mich auch interessiert und sind auch offener dafür, mit italienischen Leuten zu arbeiten. Die Zusammenarbeit mit Koproduzenten, nun beim Milch-Film besser gesagt mit dem Hauptproduzenten Eikon, ermöglicht es uns, dann noch einmal lokale Filmförderungen aufzustellen. Beim Milch-Film gab es beispielsweise Geld von der Filmförderung Berlin-Brandenburg, aus Bayern und Baden-Württemberg. Das sind zwar alles keine Megabeträge, aber die kommen dann eben noch zur Südtiroler Förderung dazu.  

Für den Milch-Film hatten Sie ein Budget von fasst 400.000 Euro, rund ein Sechstel davon kam aus Südtirol. Sie haben sich lange um eine lokale Filmförderung bemüht, vor allem ab der Gründung der Film Association South Tyrol (FAS). Hat sich jetzt mit der BLS/IDM erfüllt, wovon Ihr damals geträumt habt?
Im Großen und Ganzen schon. Als ich 2006 endgültig nach Südtirol zurückkam, habe ich gedacht, das kann einfach nicht sein, dass wir hier keine Filmförderung haben. Wir haben uns dann damals so richtig dahintergeklemmt und, wie man so schön sagt, Lobbyarbeit betrieben. Anfangs über das Kulturressort, doch dann sind wir relativ schnell zur Wirtschaft gewechselt...

Weil die Kultur nichts hergegeben hat?
Für das Kulturbudget sind die Gelder, die man für Filme braucht, meistens zu hoch. Und wir hatten dann auch den Glücksfall, das damals gerade die BLS gegründet wurde und ihr Direktor Uli Stofner eine Filmaffinität hatte. Dass dann noch so ein Fördervolumen entstanden ist, war natürlich auch toll.  

Man ist jetzt bei 4 bis 5 Millionen Euro angelangt?
Derzeit sind es 4,5 Millionen Euro. Damit kann man schon arbeiten. Und ich glaube, dass dieses Geld auch für Südtirol gut ist.

Für Miramonte ebenfalls?
Natürlich haben wir vorher auch ohne Südtiroler Gelder gearbeitet, aber jetzt haben wir eben ein zusätzliches Standbein. Und man bekommt Projekte einfach besser und schneller voran, wenn man sagen kann: Ich kann von zu Hause Geld mitbringen. Also, diese Förderungen helfen uns einfach allen. Auch wenn einige Leute, vor allem Techniker, jetzt sehr stark in diesen ganzen Servicebereich reingegangen sind. Die machen dann halt Kameraassistenz oder Licht bei den großen Spielfilmen. Was ja toll ist, um was zu lernen...

Aber nicht unbedingt die lokale Filmszene belebt?
Die Kreativität bleibt da halt ein wenig auf der Strecke. Viele machen diese Jobs, können davon leben und das ist ja auch super. Aber so richtig genuine Südtiroler Projekte entstehen eben wenig, da könnte man noch ein bissl nachholen.

Es gab und gibt aber auch in der heimischen Filmszene immer wieder die Kritik, dass lokale Filmschaffende zu wenig von dem Geld sehen, während auswärtige nur einmal eine Fahrt auf der Brennerautobahn filmen müssen und schon dabei sind.
Natürlich gibt es auch Leute, die beschlossen haben, dass sie bei dieser Förderung nicht mitmachen wollen und weiterhin ausschließlich für den lokalen Markt produzieren. Dass die IDM solche rein lokalen Projekte nicht fördert, ist von mir aus aber auch verständlich.

Aber macht das böses Blut bzw. spaltet das die lokale Filmszene ein wenig?
Ich persönlich habe nicht das Gefühl, auch wenn es ab und zu Leute gibt, die frustriert sind. Natürlich gab es auch Zeiten, in denen Projekte vielleicht nicht so einen starken Südtirol-Bezug hatten und man sie trotzdem gefördert hat, um den Leuten eine Chance zu geben. Doch jetzt gibt auch eine neue Führung in der IDM, der Bereich wird jetzt von zwei jungen Südtiroler  Frauen geführt. Und ich denke, da wird sich noch einiges ändern.

"In den Kinos bin ich physisch dabei, sehe, was der Film mit den Leuten macht, was bewegt. Und das ist unheimlich befriedigend, teilweise richtig beglückend."

Ist für einen Dokumentarfilmer Andreas Pichler der Standort Südtirol wirklich besser als Berlin oder sind Sie 2006 aus privaten Gründen zurückgekommen?
Das waren primär private Gründe. In Berlin habe ich natürlich ein anderes Umfeld, einfach auch vom Austausch her. Anderseits ist man dort auch schnell in einer Blase mit seinesgleichen drinnen. Ich habe immer gesagt, wenn ich von Berlin wegfahre, komme ich zurück in die Realität. Hier in Südtirol muss man sich auch rechtfertigen auf Fragen wie: Was machst denn du eigentlich? Also letztendlich liebe ich dieses Nord-Süd-Gefälle. Ich habe ja auch viele Filme gemacht, die mit Italien zu tun haben, und ich fühl mich schon auch ganz wohl als Reiter zwischen den Welten und den Kulturen. Auch wenn es manchmal ein bissl anstrengend wird, schon rein physisch. Denn immer, wenn ich irgendwohin muss, braucht man von Südtirol ziemlich lange, um wegzukommen.

Also sind Sie ein Flughafenbefürworter?
Ja, ich bin ein Flughafenbefürworter - trotz meiner ganzen ökologischen Filme. Also in Mitteleuropa verwende ich ohnehin fast nur die Bahn. Doch immer wenn man weiter weg muss, brauche ich einen Tag mehr als die anderen. Und das ist natürlich ein bissl anstrengend.

Können Sie nach den Anstrengungen von „Milch – das System“ jetzt einmal ein wenig  verschnaufen oder ist schon das nächste Projekt am Laufen?
Ich habe jetzt im Sommer ein bissl verschnauft. Das war auch notwendig, weil ich zuletzt ein Ding nach dem anderen gemacht habe. Ich arbeite aber schon wieder an mehreren Stoffen, die in verschiedenen Stadien stecken.

Verraten Sie auch woran?
Mit dem Team von Milch arbeite ich an einem Projekt über Alkohol. Da wird es wahrscheinlich weniger um das System gehen, sondern eher um so Fragen wie wir mit Alkohol umgehen, wieso er weiterhin so verharmlost wird .... Und dann arbeiten wir am Thema Gemeinwohl, an der Frage, wie wir unsere Gesellschaft anders organisieren, um nicht alles dem freien Markt zu überlassen.

Also die Frage, was soll öffentlich, was kann privat sein?
Ja. Das wird aber wahrscheinlich eher ein Film für jüngere Leute. Ich habe Töchter, die jetzt im Teeangeralter sind, und ich merke, dass für sie viele Sachen so selbstverständlich sind.

Ist das ein Problem?
Wenn niemandem mehr bewusst ist, welche Errungenschaften zum Beispiel arbeitsfreie Wochenenden oder auch die Tatsache ist, dass ich in jedem Dorf kostenlos Bücher in einer Bibliothek ausleihen kann, können die auch wieder sehr schnell verschwinden. Es gibt schließlich genügend Beispiele dafür, von Sozialwohnungen in Deutschland bis zu den U-Bahnen in England, die plötzlich privatisiert werden und wahnsinnig viel Geld kosten. Da wurde meiner  Meinung nach schon viel kaputt gemacht. Deshalb wär mein Anliegen, einen Film zu machen, der junge Leute ein wenig zum Nachdenken bringt.