Kultur | Zweisprachig

Nicht nur Andreas Hofer

Der Mann, der Mythos, die Legende Michael Gaismair steht im Fokus einer zweisprachigen Theaterproduktion des Teatro Zappa im Meraner Ost West Club. Proben-Besuch vorab bei „Auf den Spuren von Michael Gaismair – Le rivolte contadine del 1525“.

Michael Gaismair, „Auf den Spuren von Michael Gaismair – Le rivolte contadine del 1525“.


Foto: Seehauserfoto
  • Wir wollen nicht zu viel verraten, aber die Art und Weise, wie im Stück von Regisseurin Christine Perri mit der historischen Figur, aber auch dem Ideal und der spannenden Projektionsfläche des Anführers der Aufstände von vor fast 500 Jahren umgegangen wird, ist spannend und fordernd zugleich. Im Folgenden wollen wir daher, neben Probebildern nicht zu sehr ans Eingemachte gehen und uns mehr dem Entstehen und der Zukunft des Gaismair-Projekts von Teatro Zappa widmen.
    Im deutsch-italienischen Stück „Auf den Spuren von Michael Gaismair – Le rivolte contadine del 1525“ mit Salvatore Cutrì, Nadia Schwienbacher und Evi Unterthiner sind Rollenzuschreibungen und Sprache wechselbar. Der Süditaliener als Südtiroler Bauernanführer ist Hauptbesetzung für den prominenten Rebellen, aber nicht allein im Spiel der Rolle. Das Stück basiert auf einem Text von Pietro Cardelli und Andrea Parlanti,  dramaturgisch bearbeitet von Unterthiner und Perri mit ihrem Kollegen Andrea Rizza Goldstein.

  • Christine Perri: „Je mehr man gräbt, desto mehr verschiedene Ansichten findet man zu Michael Gaismair.“ Foto: Seehauserfoto

    Hinzu kommen Einspieler mit der Stimme von Jakopo Karlovic aus dem Off, Statements von Historikern, sowie noch eine Licht- und Effekt-Regie, die zumindest bei den Proben in den Aufgabenbereich der Regie fallen. Beim komplexen Projekt hat man sich nicht, aufgrund eines kleinen Teams, in seiner Vision einschränken lassen. Die Vision bleibt nicht „nur“ beim regionalen, oder auch nationalen Kontext stehen, sondern sieht Gaismair im übernationalen Zusammenhang einer Bewegung in weiten Teilen des deutschsprachigen Raums und mit einem weiten, schweren Weg Richtung Venedig.
    Wie sich der Theaterabend in einen breiteren Recherchekontext einbettet, erläutern uns nach einem Probendurchlauf Regisseurin Christine Perri und Evi Unterthiner, die parallel und ins Stück einfließend zusammen mit Andrea Rizza Goldstein ein Podcast-Projekt zum aufständischen Bauern verfolgt. „Je mehr ich mich, mit Gaismair beschäftigt habe, desto weniger hatte ich das Gefühl, etwas zu verstehen und zu wissen“, beschreibt die Regisseurin ihre Faszination für die historische Figur. Ohne das 500. Jähren des Bauernaufstandes von heuer und nächstem Jahr auf dem Schirm zu haben, begann die Beschäftigung mit Gaismair vor zwei Jahren, bei einem Gemeinschaftsprojekt mit einer Gruppe aus der Basilicata unter Leitung von Giovanni Zurzolo. Man suchte zwischen der „Rivolta del grano“ von 1920 im Ort Corleto Perticara (Basilicata) und der Auflehnung gegen Klerus und Obrigkeit im Norden, 400 Jahre zuvor Gemeinsamkeiten und systemische Unterschiede. Vom Gemeinschaftsprojekt war der Weg zum Meraner Historiker Leopold Steurer nicht mehr weit und das Teatro Zappa machte sich an eine Schwerpunktplanung.

  • Gaismair: Für surreale Momente wird die Bühne in kaltes Licht getaucht. Im Bild ist Evi Unterthiner neben dem vermummten Salvatore Cutrì zu sehen. Foto: Seehauserfoto

    „Dann hat sich uns – und mir im Speziellen – die Frage gestellt, was wäre gewesen, wenn ich von dieser geschichtlichen Persönlichkeit früher und mehr erfahren hätte, nicht nur von Andreas Hofer. Wie schaffen wir es, dass geschichtlich und kollektiv, im Bewusstsein von Menschen die gesamte Geschichte Platz findet und nicht nur einzelne Persönlichkeiten, die gerade in unseren Kontext passen? Andere, wie Gaismair, werden ein bisschen unter den Teppich gekehrt“, erklärt die Regisseurin und weiter: „Je mehr man gräbt, desto mehr verschiedene Ansichten findet man zu seiner Person.“ So ist auch Gaismair auf der Bühne als Figur in sich nicht kohärent und wird uns in verschiedenen Versionen gezeigt. Auch der auf den ersten Blick vielleicht unerwartete Cutrì ist dabei ein Glücksfall und „Zufallstreffer“ für die Regisseurin über den sie sich erfreut zeigt: Das zweisprachige Spiel sei beim Teatro Zappa „Markenzeichen“ und „auch für Menschen, die jetzt hier leben“ bestimmt. Perri zeigt sich überzeugt: „Es ist nicht nur der ‚deutsche‘ Gaismair, er spricht nicht nur einen Teil der Bevölkerung an, sondern uns alle, die wir hier geboren sind oder hier leben.“
    Dem Gaismair Podcast, welchen Evi Unterthiner mit verschiedenen Historikern aufgenommen hat, liegt ein ähnlich universeller Gedanke zugrunde. Zitate aus diesem, im Audio direkt den Historikern abgenommen und nicht nachgesprochen, bilden den historischen Kern eines Stücks das sich mehr aber für den globalen Zusammenhang als für die Verbindung biografischer Punkte interessiert. Da passt auch die gewählte App, Loquis, gut zu einem Konzept, das Gaismeier jung und frisch zeigen möchte, im Audioformat noch etwas mehr als im Stück. Im Smartphone Programm lassen sich Audiofiles (touristischer, historischer und künstlerischer Natur) mit GPS-Koordinaten verknüpfen und Geschichte an Ort und Stelle lernen.

  • Konflikt: Es geht ein Stück weit um die Sicht von Außen auf die Provinzgeschichte, wenn Salvatore Cutrì 500 Jahre später den Gaismair spielt. Foto: Seehauserfoto

    „Natürlich kann man beides verbinden, das wäre natürlich besser“, zeigt Unterthiner sich überzeugt, dass die Entscheidung zwischen Stück und Podcast nicht auf ein Entweder-oder hinausläuft. Die bei wenigen Punkten, wie etwa dem ehemaligen Klarissenkloster in Brixen ausgegangene Audiorecherche beschreibt sie als „Lawine“: „Jeder Kontakt hat dann gesagt, warum interviewst du nicht diese oder jene Person?“ Unerwartet kam für die Schauspielerin die große Wichtigkeit etwa des den Bauern damals vorenthaltenen Rohstoffes Holz, der für einen florierenden Bergbau unter Beschlag genommen wurde. Auch zu allerhand anderen kuriosen Steuern und Abgaben, die vor 500 Jahren die Bauern belasteten wird man im Stück aufgeklärt, etwa zu einer Abgabe fürs Pflücken von Wacholder.
    Was im Stück auf der Bühne in der knappen Stunde Aufführungszeit keinen Platz findet, kann als Thema im Podcast aufgegriffen werden, wo mehr Zeit zur Verfügung steht, um etwa auf die Geschichte der Hutterer einzugehen. Im Stück wie im Podcast kann ruhigen Gewissens von einem Ansatz der Einordnung gesprochen werden: dort räumlich akustisch, da zeitlich szenisch und an der Bühnenrückwand auch systematisch.
    Da kommt das Stück wie der Podcast natürlich auch auf die Tiroler Landesordnung zu sprechen, zur Frage, ob diese nun wirklich aus der Feder von Michael Gaismair stammt. Grund zum Zweifeln geben nicht nur historische Analysen des Schriftstücks, sondern für Unterthiner auch die Idee von gedanklichem Gemeingut: „Die Landesordnung hat natürlich zum Teil auch Punkte, wie wir sie in den zwölf Mamminger Artikeln findet, man hat sich zum Teil ja auch gekannt und stand im Austausch.“
    Mehr Grenzen als Gaismair selbst haben also seine Ideen überwunden, welche im dezidiert einen künstlerischen Anspruch mehr als einem strikt historischen verfolgt, greifbarer werden als der (historische) Mensch. Bei beiden Ansätzen hätte man nie für die Bühne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können, das Denken zu Gedanken eignet sich fürs Theater vielleicht besser. In den Ideen Gaismairs findet sich dabei, ante litteram, auch etwas Europäisches. Wir wollen hier der Regisseurin Christine Perri die letzte Würdigung des Reformers und Revoluzzers überlassen, bevor heute (7. November), morgen und übermorgen Abend (jeweils 20 Uhr) im Ost West Club gespielt wird: „Natürlich ist Gaismair ein Kind seiner Zeit. Gaismair war katholisch geprägt, war sehr christlich und hat auch versucht im Glauben Halt zu finden. Er war absolut für Freiheit, für Gleichheit, für Gerechtigkeit und das wirkte damals sicher über Südtirol hinaus.“