Gesellschaft | Affäre Kuhn

Der Fall des Erlkönigs

Der Tiroler Aufdecker Markus Wilhelm hat auch den letzten Prozess gegen die Festspiele Erl gewonnen. Es ist eine schwere Niederlage für Hans Peter Haselsteiner.
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Foto: Haydn Orchester
Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Treibjagd.
Der Tiroler Blogger und Aufdecker Markus Wilhelm 2018 veröffentlicht auf seiner Online-Plattform „die tiwag.org“ 2018 eine Reihe von Enthüllungen über die Festspiele Erl und deren Leiter den Dirigenten Gustav Kuhn. Kuhn hat bis 2012 zehn Jahre lang das Bozner Haydnorchester geleitet und ist auch danach noch ein von der Politik und Südtiroler Hautevolee gefeierter Star.
In Wilhelms äußerst gut recherchierte Artikel werden unzählige Missstände bei den Erler Festspielen nachgezeichnet. Die Festspiele Erl sind ein Prestigeobjekt des Strabag-Chefs, Wahlbozners und Kuhn Freundes Hans Peter Haselsteiner. Wilhelm schreibt über Lohndumping, Abgabenhinterziehung und die Verletzung arbeitsrechtlicher Standards bei den Festspielen. Vor allem aber gräbt er einen der ersten nennenswerten MeToo-Fälle Österreich aus. Mehrere Sängerinnen beschuldigen den Maestro, sie sexuell belästigt zu haben.
Die Affäre hat unmittelbare Konsequenzen.
Gustav Kuhn muss auch auf politischen Druck - das Land Tirol ist einer der Hauptfinanziers der Festspiele Erl -  seine Funktionen niederlegen. 2019 kommt die Gleichbehandlungskommission des österreichischen Bundeskanzleramts nach einer Untersuchung der Vorwürfe zum Schluss, dass „es zweifelsfrei zu sexuellen Belästigungen durch Kuhn gekommen sei“. Auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelt lange, stellt dann aber im März 2020 das Ermittlungsverfahren gegen Kuhn ein, weil „ein allfällig strafrechtlich relevantes Verhalten bis zum Beginn der Ermittlungen bereits verjährt“ gewesen sei.
 
 
Zu diesem Zeitpunkt läuft die Treibjagd aber längst auf Hochtouren. Sie gilt nicht Gustav Kuhn, sondern Markus Wilhelm. Insgesamt 18 Klagen bringen Gustav Kuhn, Hans Peter Haselsteiner und die Festspiele Erl gegen den Claus-Gatterer-Preisträger beim Landesgericht Innsbruck ein.
Doch die Treibjagd endet für die prominenten und finanzstarken Kläger in einem Scherbenhaufen. Markus WIlhelm verliert zwar einige Verfahren auf Nebenschauplätzen, doch in den 11 zentralen Prozessen geht am Ende der Tiroler Blogger als Sieger hervor. Die Kläger verlieren, ziehen ihre Klage wegen Aussichtslosigkeit zurück oder stellen des Verfahren ruhend. 
 
 

Der letzte Sieg

 
Vor allem aber hat Markus Wilhelm jetzt die wohl wichtigste und gefährliche Klage abwenden und einen weiteren Sieg vor Gericht verbuchen können.
Die „Tiroler Festspiele Erl Betriebsges.m.b.H.“ klagte gegen die Berichterstattung und gegen Wilhelm auf Unterlassung. Weil die Klage vom Hauptaktionär und Kuhn-Freund Hans Peter Haselsteiner vorangetrieben wurde, sparte man beim juridischen Kampf gegen Wilhelm nicht
Gustav Kuhn hat 1998 die Festspiele gegründet und war durchgehend 20 Jahre lang deren Geschäftsführer. Der Maestro reichte deshalb eine gleichlautende Zivilklage beim Landesgericht Innsbruck ein. Eine Klage, die er aber - nach mehreren Niederlagen vor Gericht - im November 2020 überraschend zurückzieht.
 
 
Nach 12 Verhandlungstagen endete jetzt auch noch der letzte Prozess gegen Markus Wilhelm. Das Landesgericht Innsbruck hat die Klage der Erl Betriebs GmbH entgültig abgewiesen. Der Hauptgrund: Wilhelms Recherchen und Vorwürfe waren zutreffend.
So musste das Erler Kulturunternehmen inzwischen mehrere behördlich verfügte Nach- und Strafzahlungen leisten. Laut der Abschlussbilanz für das Geschäftsjahr 2019/20 beliefen sich diese Nach- und Strafzahlungen auf über eine Million Euro.
Zudem muss das Erler Festspielunternehmen Markus Wilhelm laut Urteil 26.000 Euro an entstandenen Prozesskosten ersetzt.
Die Zivilrechtsklage war ein ordentlicher Schuss ins Knie für Hans Peter Haselsteiner, den Betreiber und Präsidenten der Festspiele Erl", kommentiert Markus Wilhelm gegenüber dem Wiener Standard den Ausgang des Verfahrens. Haselsteiner selbst nahm in dem Verfahren nicht Stellung.
 
 
 
Gustav Kuhn hingegen führt vor Gericht einen mehr als peinlichen Eiertanz auf. Als der Wilhelm-Anwalt Markus Orgler den Maestro als Zeugen benennt, stellt sich Kuhn zunächst taub und plädiert dann auf „vernehmungs- und prozessunfähig“. Als Kuhn wegen "psychophysischer Stressbelastung“ selbst eine Einvernahme per Video aus Italien abgelehnt, wird es den Richtern zu bunt. Gustav Kuhn muss auf Anweisung des Richters in der allerletzten Verhandlung schließlich doch noch leibhaftig in Innsbruck erscheinen.
Es wird ein bizarrer Auftritt. Der Dirigent versucht im Gerichtssaal seine Vernehmungs- und Prozessunfähigkeit zu demonstriert. Er tut so, als wüsste er nicht einmal die Adresse seines Wohnsitzes in Erl, in einem von ihm selbst erbauten Haus.
Markus Wilhelms Resümee ist vernichtend: „Er hat versucht, uns alle zum Narren zu halten. Aber der Narr war schon er selber.
 
Update: Dieser Artikel wurde am 8.12.2021 um 9.50 Uhr ergänzt, weil er einen sachlichen Fehler enthielt.
 

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