Wirtschaft | Interview

“Theoretisch 10.000 Euro im Jahr”

Wer unsere Daten nutzen will, soll uns dafür bezahlen, sagt Elena Pasquali. Mit ihrem Start-up weist sie den Weg in eine neue Datenwirtschaft. Doch es brauche mehr Druck.
Elena Pasquali
Foto: EcoSteer

Die Welt wird immer smarter. Und mit ihr der Alltag. Wir fragen Alexa nach dem Wetter oder welchen Film wir heute Abend schauen sollen, zahlen online und im Geschäft mit unserem Handy, mit dem wir von unterwegs auch unseren Kühlschrankinhalt kontrollieren oder die Heizung anschalten können. Laut Schätzungen gibt es weltweit aktuell 17 Milliarden internetfähige, vernetzte Geräte. Im Jahr 2025 werden es 22 Milliarden sein.

Die Digitalisierung macht das Leben einfacher, keine Frage. Dabei ist den wenigsten bewusst: Wir produzieren so immer mehr Daten. Und die sind immer mehr wert. Doch für wen? Heute sammeln große Player wie Google und Facebook unsere Daten – und machen sie zu Geld, etwa indem sie uns beim Surfen im Netz auf uns zugeschnittene Werbung anzeigen. Das soll sich ändern, sagt Elena Pasquali. Vor fünf Jahren hat die gebürtige Mailänderin gemeinsam mit ihrem Lebens- und Geschäftspartner Daniel Grazioli das Start-up EcoSteer gegründet. Heute leitet sie es weiter als CEO. “Unser Ziel ist es, die technischen Grundlagen für eine neue dezentralisierte und inklusive Datenwirtschaft zu schaffen, die auf den ethischen Grundsätzen des Datenschutzes beruht.” Konkret arbeiten Pasquali und ihr Team an einem Daten-Umschlagplatz, auf dem jeder und jede selbst entscheiden kann, was er oder sie von sich preisgibt, wem – und dafür (virtuelles) Geld erhält. 

Seit 2019 ist EcoSteer am NOI Techpark in der Bozner Industriezone zu Hause. Wenige Kilometer entfernt, im Südtiroler Landtag, fand am Dienstag eine Anhörung zum Thema “Digitale Transformation, Blockchain, Künstliche Intelligenz, Big Data” statt. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch die Presse war nicht zugelassen. Eine Zusammenfassung der Anhörung soll aber veröffentlicht werden. Unter den elf namhaften Gästen, die vor den Landtagsabgeordneten referierten, waren unter anderem der Direktor der Abteilung  Zukunftsforschung bei VW Wolfgang Müller-Pietralla, der Direktor des UK National Innovation Centre for Ageing Nicola Palmarini, der Direktor der Zukunftsforschung und Zukunftsbildung bei der UNESCO Riel Miller – und Elena Pasquali.

salto.bz: Frau Pasquali, warum ist es wichtig, dass Nutzer die Hoheit über ihre Daten zurückbekommen – und sie darüber hinaus zu Geld machen können?

Elena Pasquali: Die Digitalisierung hat jeden Menschen in seinen eigenen “digitalen Zwilling” verwandelt. Unsere vernetzten Geräte wie Smartphones, Stromzähler, Blackboxes in Autos, digitale Zahlungssysteme usw. übermitteln kontinuierlich Datenströme, die unser Verhalten in Echtzeit beschreiben. Diese Datenströme haben einen enormen Wert. Heute ist die Datenwirtschaft jedoch das Monopol einiger weniger großer Technologieunternehmen, die den Zugang zu den persönlichen Daten von Milliarden von Menschen zentral kontrollieren. Das hat ernste wirtschaftliche, soziale und geopolitische Auswirkungen. Unsere Technologie legt die Grundlage für eine ethische Transformation der digitalen Wirtschaft, die dem zentralisierten Monopol der großen Plattformen ein Ende setzen wird 

Wie soll das gelingen?

Der regulatorische Druck in Sachen Datenschutz nimmt zu und zielt darauf ab, die Verbraucher zu stärken, sodass die derzeitigen “undurchsichtigen” Modelle des digitalen Marketings und der Werbung nicht mehr tragfähig sind. Die Protagonisten der neuen – dezentralisierten und ethischen – Datenwirtschaft werden Unternehmen aus “traditionellen” Sektoren sein, wie Banken, Energieversorger, Versicherungen und Automobilhersteller. Diese Unternehmen werden mehrere Datenmarktplätze – Data Marketplaces – schaffen, denen sich die Bürger freiwillig anschließen können. Auf diesen Marktplätzen können die Bürger die Daten, die ihre Geräte erzeugen, an Unternehmen ihrer Wahl weitergeben. Dafür werden sie vergütet. Die Weitergabe können sie jederzeit beenden – mit einem einfachen Klick.

Beginnen wir, sämtliche Cookies abzulehnen!

Für diese andere Datenwirtschaft hat Ihr Unternehmen die Data Ownership Platform entwickelt. Wie funktioniert dieser neue digitale Marktplatz konkret?

Mit der Data Ownership Platform (DOP) werden die Datenströme dort, wo sie entstehen – auf einem beliebigen vernetzten Gerät – verschlüsselt, fließen verschlüsselt durch die IT-Infrastruktur für die gemeinsame Datennutzung und erreichen Unternehmen, die diese Daten zur Verbesserung und Personalisierung ihrer Produkte und Dienstleistungen nutzen möchten. Diese Datennutzer können die Datenströme nur mit ausdrücklicher und einseitiger Zustimmung des Dateneigentümers entschlüsseln, die über einen Smart Contract, also einen “intelligenten Vertrag”, in der Blockchain erteilt und widerrufen werden kann. Der Smart Contract ermöglicht es auch, den Wert der Daten – zum Beispiel in Token (virtuelle Münzen einer Kryptowährung, Anm.d.Red.) pro Tag – und die Bedingungen festzulegen, zu denen sie genutzt werden können. Mit den verdienten Token können Produkte oder Dienstleistungen gekauft werden, die von den teilnehmenden Unternehmen selbst auf dem Marktplatz angeboten werden.

Die DOP dezentralisiert also die Kontrolle über den Zugang zu Daten, die von vernetzten Geräten generiert werden, und legt sie zurück in die Hände der rechtmäßigen Eigentümer – der Verbraucher. Dank eines Ende-zu-Ende-Verschlüsselungssystems (engl.: end-to-end-encryption, Anm.d.Red.), das auf den Geräten installiert ist, können die Verbraucher frei entscheiden, welche Unternehmen ihre Daten einsehen dürfen und werden für die Weitergabe dieser Daten belohnt. Dieses neue technologische Paradigma gibt den Verbrauchern die Macht über ihre Daten zurück und ermöglicht es den Unternehmen, diese auf transparente und rechtskonforme Weise zu nutzen.

 

Was sagt die aktuelle Rechtslage zu solchen Daten-Marktplätzen?

Auf EU-Ebene gibt es eine Reihe von Dokumenten, die die Grundlage dafür bilden. Zwei der wichtigsten sind die Data Strategy von 2020 und der Data Governance Act von 2021. Ebenfalls 2021 hat Italien die EU-Verordnung 2019/770 umgesetzt, die explizit festhält, dass personenbezogene Daten für den Kauf von digitalen Inhalten und Dienstleistungen verwendet werden dürfen. Und diese Daten haben – ich wiederhole mich – einen großen wirtschaftlichen und sozialen Wert. Wenn beispielsweise die Mobilitätsdaten eines jeden Bürgers in Echtzeit verfügbar sind, könnte dies ermöglichen, den Verkehr zu steuern, Unfälle zu vermeiden und sogar autonomes Fahren erlauben.

Sind sie das nicht bereits heute? Google Maps zum Beispiel zeigt mir äußerst genau Echtzeit-Verkehrsflüsse an.

Google stiehlt uns über das GPS unserer Handys diese Daten – denn wir erhalten dafür gar nichts –, um sie an Unternehmen zu verkaufen, die Werbung machen wollen. Die Daten “gehören” also Google und sie werden nur dazu verwendet, um sie zu Geld zu machen und nie im öffentlichen Interesse. Hier zeigt sich die enorme Gefahr der Zentralisierung von Daten und Kapital in den Händen dieser digitalen Kolosse. Die Politik muss diese Gefahr erkennen und bekämpfen. Es kann nicht sein, dass strategische Güter wie unsere Daten von großen amerikanischen Unternehmen monopolitisiert werden und zugleich Technologie und Mikrochips für die digitale Wirtschaft in China produziert werden. Das kann sich Europa nicht leisten.

Die Datenströme, die unsere vernetzten Geräte kontinuierlich übermitteln, haben einen enormen Wert

Erwarten Sie sich, dass Google und Facebook ihr Verhalten ändern?

Nein, keinesfalls. Obwohl Facebook zuletzt erstmals in 20 Jahren User verloren hat. Dieser Trend wird sich fortsetzen und die Verkäufe werden drastisch sinken – denn die Menschen beginnen ein Bewusstsein zu entwickeln. Das zeigt: Um etwas zu ändern, braucht es Aktionen vonseiten der Politik und der Konsumenten. Beginnen wir, sämtliche Cookies abzulehnen!

Das wird einem nicht leicht gemacht. Die Standard-Einstellungen der Cookie-Banner, über die die Dateneigentümer ausdrücklich der Verarbeitung ihrer Daten zustimmen müssen, ist meist auf “alle akzeptieren” programmiert. Um sie abzulehnen, sind mehrere nervende Klicks nötig…

Sie werden bemerkt haben, dass sich seit einigen Wochen etwas geändert hat. Die Datenschutzbehörde hat die Anwendung der Datenschutz-Vorschriften verschärft: Alle Websites müssen auf den Cookie-Bannern neben dem “alle akzeptieren” einen identischen “alle ablehnen”- oder “weiter ohne Cookies”-Button platzieren und damit den Usern die Möglichkeit geben, alle Cookies abzulehnen – bis auf die rein technischen, die für das Navigieren im Internet notwendig sind. Bisher haben sich aber noch längst nicht alle Website-Betreiber an diese Änderung angepasst.

Bei EcoSteer heißt es: “Diese Website verwendet keine Cookies oder Analysesoftware von Dritten”. Warum?

Das würde den Grundsätzen der Transparenz und Partizipation widersprechen, die unserer Technologie zugrunde liegen! Wir können Cookies mit den Brotkrümeln vergleichen, die der kleine Däumling im gleichnamigen Märchen fallen lässt – sie sind eine Spur, die es Unternehmen ermöglicht, uns beim Surfen im Internet zu verfolgen. Diese Spur wird – tatsächlich ohne unser Wissen – verwendet, um zu verstehen, wer wir sind und vor allem, was wir kaufen möchten. Aus diesem Grund erhalten wir Werbung auch von Unternehmen, mit denen wir noch nie zu tun hatten. Die Technologie von EcoSteer gibt uns hingegen Aufschluss darüber, welche Unternehmen mit uns interagieren wollen, und die Möglichkeit, frei zu wählen, welchen wir Zugang zu unseren Daten gewähren wollen – und diese Wahl jederzeit zu ändern. Außerdem müssen diese Unternehmen uns im Gegenzug dafür entschädigen, dass sie unsere Daten einsehen können.

 

Wie viel sind unsere Daten eigentlich wert?

Wir haben dazu eine Reihe von Studien durchgeführt und es gibt auch entsprechende Daten auf dem Markt. Zum Beispiel bezahlt FIAT allen Fahrern eines elektrischen FIAT 500 für ihre Daten 150 Euro im Jahr. Die Versicherung CSS vergütet ihren Kunden bis zu 600 Schweizer Franken jährlich, um auf Gesundheitsdaten zuzugreifen, die Wearables wie Smartwatches oder andere Geräte, die man am Körper trägt und die körperliche Aktivitäten und den Gesundheitszustand eines Menschen messen, liefern. In den USA zahlt Amazon Kunden, die ihre Kaufbelege für Einkäufe, die sie nicht auf Amazon getätigt haben, zehn Dollar im Monat. Daten, die Aufschluss über das Kaufverhalten geben, waren seit jeher die interessantesten – und welchen großen Wert sie haben, beweisen am eindrücklichsten Google und Facebook, deren einzige Einnahmequelle die Kapitalisierung von Daten ist.

Plattformen wie Facebook oder Instagram sind also nicht gratis, wie es scheinen mag – dafür, dass wir sie nutzen können, zahlen wir mit unseren Daten?

Exakt. 2021 hat es dazu eine sehr wichtiges Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts Latium gegeben, das der Staatsrat bestätigt hat. Darin wird festgehalten, dass Facebook seine User belügt, indem es sagt, dass seine Dienste kostenlos sind – weil sie mit ihren Daten dafür bezahlen.

Noch einmal zur Frage nach dem Wert unserer Daten: Wie viel ließe sich in einem Jahr verdienen, wenn ich meine Daten Unternehmen über diese neuen Marktplätze zur Verfügung stelle?

Als “Super-Produzent” von Daten könntest du theoretisch auch auf 10.000 Euro im Jahr kommen.

Wie kommen Sie auf diese Zahl?

Ganz einfach: Nehmen wir die erwähnten 150 Euro für die Daten der Blackbox aus deinem Auto und die 400 Euro für deine Gesundheitsdaten. Dazu kommen die Daten aus deinem Stromzähler – diese liefern äußerst wichtige Informationen, etwa wieviel Zeit du zuhause verbringst, welche Haushaltsgeräte du wie verwendest und in welchem Zustand sie sind, wie viel CO2 du erzeugst –, für die du sagen wir einmal 60 bis 100 Euro kriegst. Denken wir noch an weitere Daten wie die zu deinen Online-Einkäufen, dann kannst du allen in allem jährlich locker auf 1.000 Euro für deine Daten kommen. Wenn zehn Unternehmen an diesen Daten interessiert sind, ergibt das 10.000 Euro im Jahr.

Dieses neue technologische Paradigma gibt den Verbrauchern die Macht über ihre Daten zurück und ermöglicht es den Unternehmen, diese auf transparente und rechtskonforme Weise zu nutzen

In Ihrem Start-up arbeiten viele Frauen – alles andere als selbstverständlich in dem Sektor. War es eine bewusste Entscheidung, Frauen einzustellen?

Natürlich war es das! Um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, müssen wir handeln – und das bedeutet, dass wir aktiv nach weiblichen Bewerbern in überwiegend von Männern besetzten Bereichen suchen müssen. Heute besteht das EcoSteer-Team zu mehr als 50 Prozent aus Frauen. Diesen Anteil wollen wir unbedingt beibehalten. Bei gleichen Fähigkeiten entscheiden wir uns immer für eine Frau. 

Warum?

Frauen scheuen sich nicht, Fragen zu stellen und damit auch zuzugeben, etwas nicht zu wissen oder kennen – und das ist die richtige Einstellung, wenn man etwas wirklich Innovatives schaffen will. Besonders stolz sind wir darauf, dass unser Software-Entwicklungsteam fast ausschließlich aus Frauen besteht: Drei von vier Mitarbeitern sind Frauen. Für ein Start-up ist es von entscheidender Bedeutung, ein Team aufzubauen, das kohärent, proaktiv und motiviert arbeitet, um eine so ehrgeizige Vision wie die unsere zu verwirklichen: die digitale Wirtschaft von einer monopolistischen und zentralisierten zu einer dezentralen und partizipativen Wirtschaft umzugestalten. 

Wie finden Sie sich in Bozen zurecht? Ist Südtirol eine Provinz, die bietet, was ein Unternehmens wie Ihres braucht?

Wir sind sehr glücklich. Die Ansiedlung in Bozen hat das Schicksal des Unternehmens verändert. Ich und unser CTO Daniel Grazioli, mit dem ich EcoSteer 2017 gegründet habe, sind im März 2019 von England hierher gezogen, nachdem das Land Südtirol unseren Antrag auf Finanzierung für die Entwicklung der ersten Komponenten der Technologie 2018 angenommen hatte. Im Juli 2019 wurden wir in den NOI Techpark Inkubator aufgenommen. Dank der Unterstützung durch den NOI Techpark und des Landes ist die DOP heute ein kommerziell verfügbares Produkt. Darüber hinaus haben wir 2020 die Alperia Startup Factory gewonnen und unser erstes kommerzielles Projekt mit einem lokalen Unternehmen gestartet. 

Was ist Ihr Ziel als CEO?

Einige wirklich ehrgeizige Ziele haben wir bereits erreicht: Die Data Ownership Platform hat ein Patent – ich möchte betonen, dass es sich um ein erteiltes (‘granted’) und nicht nur um ein hinterlegtes Patent handelt – in den USA, Kanada, Südkorea und Europa erhalten. Wir sind dabei, unsere Technologie auch in anderen Ländern patentieren zu lassen, haben erste Kunden, mehrere Geschäftspartner, das Team wächst. Mein Ziel? Die DOP soll auf allen 50 Milliarden Geräten installiert sein, die es im Jahr 2030 weltweit geben wird und so die technologischen Grundlagen für eine neue Datenwirtschaft schaffen.

Fehlt Ihnen etwas in Bozen? 

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