Fernunterricht fordert heraus
„Da war etwas ver-rückt, was sich nun wieder zurechtgerückt hat.“ Es ist eine Haltung, von der Heidrun Goller spricht. Und zwar geht es um das Gleichgewicht in der Beziehung zwischen Lehrer, Eltern und Schüler. Ihr kleiner Sohn unterbricht Goller kurz am Telefon. Statt die 2. Klasse der deutschen Grundschule zu besuchen, ist er wegen der Corona-Situation zuhause. So wie jeder Schüler derzeit im Eltern- statt im Schulhaus sitzt. „In dieser Plagesituation ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass es Hausaufgaben nicht wert sind, Auslöser täglicher Streitereien in der Familie zu sein“, sagt Goller. Sie selbst unterrichtet an italienischen Grundschulen Mathematik, Deutsch, Geographie und Musik im L2. Außerdem vertritt sie als Vorsitzende den Landesbeirat der Eltern für die Deutsche Schule.
Weniger ist mehr
Was Grundschullehrer ihren Schülern beibringen können, ist durch den Fernunterricht weniger wichtig. Vielmehr gehe es darum, was Lehrkräfte den Schülern in ihren individuellen Bedingungen zuhause zumuten können, sagt Goller. Damit tritt das Elternhaus stärker hervor in der Dreiecksbeziehung zwischen Lehrperson, Schüler und Eltern. Denn derzeit kann das Kind für die Schule nur leisten, was unter den heimischen Bedingungen möglich ist. Während Lehrkräfte nun vor allem dazu da seien, mit den Eltern zu kommunizieren und diese pädagogisch zu unterstützen, sei für Eltern vor allem wichtig, die Schule weder zu über- noch zu unterschätzen, so Goller.
Sie selbst ist als Lehrerin der italienischen Grundschule dazu angehalten, in Kleingruppen Videokonferenzen mit ihren Schülern zu halten. Ihr Sohn in der 2. Klasse der deutschen Grundschule dagegen hat keine Videositzungen. Der Unterschied zwischen den Schulsystemen wird gerade in der Corona-Situation deutlich. Nicht nur zwischen deutschen und italienischen Schulen, sondern vor allem zwischen Schulen mit verschiedenen Unterrichts- und Bewertungsmodellen.
Wer hinter dem Bildschirm ist, bleibt fremd
Etwa mit digitalem Lernen vertraut sind Kleinschulen wie die Grundschule in Planeil. Die Schule nimmt an einem Projekt teil, in dem sich Schüler von verschiedenen Kleinschulen digital austauschen können. Ziel des Austauschs sei, den Schulkindern in den kleinen Schulen peripherer Gebiete über Kontakte mit Gleichaltrigen eine Erweiterung des Selbst-, Anderen- und Weltverständnisses zu ermöglichen, so Annemarie Augschöll Blasbichler. Die Professorin für Aktuelle und Historische Bildungsforschung an der Universität Bozen hat das Projekt ins Leben gerufen. Mit dem Netzwerk will sie kleine Südtiroler Schulen mit ebenso kleinen Schulen in der Schweiz und in den skandinavischen Ländern in Kontakt bringen. „Generell ist es jedoch so, dass digitale Module den Präsenzunterricht nicht ersetzen, sondern nur ergänzen können“, sagt Augschöll Blasbichler. Denn Pädagogik baue auf persönlichen Beziehungen auf.
Dass sich die Beziehung zwischen Schülern und Lehrperson im digitalen Austausch verändert, spürt sie als Dozierende selbst. „Über den Bildschirm fehlt der nonverbale Austausch und der Blick in die Gesichter, um zu merken, ob mein Bemühen überhaupt verständlich ist“, sagt die Professorin. Um in der Online-Vorlesung auch die zurückhaltenden Studierenden abzuholen, ruft sie zum Beispiel hin und wieder jemanden auf.