Gesellschaft | Gedenken

„Wir müssen den Opfern glauben“

Beim „Fest der Freude“ am Wiener Heldenplatz wird heute auch diese Rede der Südtiroler Autorin Sabine Gruber verlesen. Ein Plädoyer gegen die Aushöhlung der Demokratie.
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Foto: Sabine Hauswirth
Primo Levi, der italienische Schriftsteller aus Turin, der Auschwitz überlebt und sich 1987 das Leben genommen hat, berichtet in seinem Buch „Ist das ein Mensch?“ von einem Traum, den viele, die sein Schicksal geteilt haben, geträumt haben: daß sie heimkehren, erzählen und daß man ihnen nicht glaubt.
Er und viele andere Männer und Frauen haben von Gewalt, Hunger, Folter und Angst geschrieben, obwohl es für diese Menschen ein enormer Kraftaufwand bedeutet haben muß, ihre schrecklichen Erfahrungen in Worte zu fassen und wiederaufleben zu lassen. Für manche, welche die NS-Gewaltherrschaft wie durch ein Wunder überlebt haben, währte die Freude über die Befreiung nicht lange; sie haben ihrem Leben aus Verzweiflung ein Ende gesetzt,  sind an ihren dunklen Erfahrungen zugrunde gegangen, die mit Kriegsende nicht zu existieren aufgehört haben.
Alles, was Zivilisation und respektvolles, humanes Zusammenleben bedeutet, wurde im Nationalsozialismus und Faschismus unterdrückt und zerstört. Es gab – so Primo Levi – eine doppelte Entmenschlichung, die erlittene Entmenschlichung der Opfer und eine mehr oder weniger selbst erwählte Entmenschlichung der Mörder und Täterinnen.
Alles, was Zivilisation und respektvolles, humanes Zusammenleben bedeutet, wurde im Nationalsozialismus und Faschismus unterdrückt und zerstört.
Der 8. Mai ist auch der Tag der Rückkehr zur Menschlichkeit, der Tag der Befreiung, der Beginn eines demokratischen Prozesses.
Um uns vor zukünftiger grausamer Entmenschlichung zu schützen, müssen wir alles dransetzen, daß einzelne Menschen und Unternehmen keine unumschränkte Macht gewinnen können. Daß die in der Verfassung garantierten Grundrechte für alle gelten und allen Schutz gewähren, daß die Rechtsprechung unabhängig bleibt und die Redefreiheit gewährleistet ist.
Eine bessere Regierungsform als die Demokratie ist noch nicht erfunden, deswegen gilt es alles zu tun, um sie zu erhalten, das bedeutet aber auch:  Jeden Menschen mit seiner speziellen Lebensgeschichte so zu respektieren, als wäre die Geschichte des anderen, Teil  des eigenen Lebenshintergrunds. Das bedeutet: Einander anzusehen und zuzuhören.  Die Berichte der Opfer niemals zu vergessen.
Eine bessere Regierungsform als die Demokratie ist noch nicht erfunden, deswegen gilt es alles zu tun, um sie zu erhalten
Der Mensch ist seit dem 8. Mai 1945 nicht besser geworden, aber unsere demokratischen Kontrollsysteme konnten zumindest in Europa bis auf schreckliche Ausnahmen - wie den Kriegen auf dem Balkan und jetzt in der Ukraine -  verhindern, daß die Inhumanen und Skrupellosen größeren Schaden anrichten.
Wir dürfen nicht zulassen, daß sich Parteien durch Anfütterung von Medien Macht erkaufen, daß Koalitionen mit antidemokratischen, antisemitischen und neonazistischen Politikern und Politikerinnen möglich sind.
 
ir dürfen nicht zulassen, daß sich Parteien durch Anfütterung von Medien Macht erkaufen, daß Koalitionen mit antidemokratischen, antisemitischen und neonazistischen Politikern und Politikerinnen möglich sind. Daß durch solche Bündnisse mit rassistischen Querdenkern, Demokratie aushöhlende Verschwörungsmythen salonfähig werden.
Wir müssen den Opfern glauben und der Demokratie vertrauen, damit man von uns in Zukunft wird sagen können: Sie waren Menschen. Menschliche Menschen.
 
 
 
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Dietmar Nußbaumer Mo., 08.05.2023 - 19:40

Ein gefährliches Triumvirat: Geld, Politik und Medien. Es gibt alle drei in einer der Gesellschaft wohlgesonnenen Form, aber wehe, wenn nicht. Dann ist die Demokratie schnell mal futsch (Trump lässt grüßen).

Mo., 08.05.2023 - 19:40 Permalink