Kultur | Salto Weekend

Dem Schicksal auf die Sprünge helfen

In ihrem Debütfilm „Past Lives“ beweist Celine Song ihr Gespür für Zwischenmenschliches. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die nicht loslassen können.
Past Lives
Foto: A24

Das Leben ist kein Wunschkonzert, ihm wohnt nicht die festgelegte Dramaturgie eines Films oder eines Theaterstücks inne. Von letzterem entfernt sich die Regisseurin von „Past Lives“, die bislang als Dramaturgin gearbeitet hat, und nun ihr Filmdebüt vorlegt. Dass sich die etablierten Erzählstrukturen nur schlecht auf ein Leben, noch viel weniger auf das von zwei respektive drei verschiedenen Menschen anwenden lassen, liegt eigentlich auf der Hand. Dennoch sehen wir noch immer ein ums andere Mal fade, oft angewandte Strukturen, Abläufe der immer selben Geschichte. Celine Song stellt jene Geschichte hinten an. Zwar bedient sich „Past Lives“ dreier Akte, doch die dienen lediglich dazu, drei verschiedene Zeitebenen voneinander zu trennen. Dramaturgisch führt der Film sein eigenes Leben, oder besser gesagt, seine Figuren. Zunächst treffen wir zwei Kinder in Südkorea, ein Mädchen namens Na-Young, und einen Jungen, der auf den Namen Hae Sung hört. Sie gehen in die gleiche Klasse, nehmen denselben Schulweg auf sich, verlieben sich schließlich so wie es Kinder tun. Unter den wachsamen Augen ihrer Mütter gehen die beiden auf ein Date, es wird ihr letztes sein, denn Na-Young´s Familie will nach Kanada auswandern. Die Kinder müssen sich trennen, verlieren sich aus den Augen, sowie der Abschied vollzogen ist, immerhin spielt dieser erste Abschnitt des Films irgendwann Ende der 90er Jahre, von Internet ist noch kaum die Rede.
 

Doch sind Nora und Hae Sung wirklich dafür bestimmt, sich zu treffen?


Erst zwölf Jahre später versucht der mittlerweile der Jugend entwachsene Hae Sung, seine Kindheitsfreundin wiederzufinden. Dank Social Media gelingt das, und die einstigen Gefühle füreinander scheinen wieder aufzublühen. Bloß die enorme Distanz – Na-Young, die sich nun Nora nennt, lebt als Autorin in New York, Hae Sung weilt noch immer in Südkorea – macht den beiden zu schaffen. Es bleibt eine Online-Freundschaft, das Wiedersehen in physischer Form steht zwar im Raum, verwirklicht wird es aber nicht. Das geschieht erst abermals zwölf Jahre später. Nora hat inzwischen geheiratet, Hae Sung besucht sie und ihren Ehemann in New York. Was sich daraus ergibt, ist höchst schmerzhaft, doch erfrischend authentisch. Celine Song tappt nicht in die Falle vieler romantischer Filme, das Schicksal seine Arbeit tun zu lassen, obwohl jenes Schicksal in diesem Film durchaus prominent besprochen wird. „In-Yun“ heißt das Konzept, von dem Nora fasziniert ist. Es besagt, dass Menschen dazu bestimmt sind, sich im Leben zu begegnen, vorausgesetzt die Seelen früherer Leben hätten sich schon mal überlappt. Doch sind Nora und Hae Sung wirklich dafür bestimmt, sich zu treffen? Ist es nicht erst der Zufall, der die Kinder in dieselbe Klasse führt, später dann der Wille Hae Sungs, der sich auf die Suche nach der weit im Westen lebenden Nora macht?

 

Als Kinder wie auch als Erwachsene geht man verschiedener Wege.
Als Kinder wie auch als Erwachsene geht man verschiedener Wege.

 

„Past Lives“ erzählt zurückhaltend von falschen Vorstellungen. Beide Protagonisten laufen der kindlichen Idee hinterher, sie wären füreinander bestimmt. Exemplarisch zeigt der Film, wie es wohl vielen von uns geht, die lang Vermisste wiedersehen, wieder hören, wieder zu fühlen glauben. Ist es erst einmal so weit, fehlen die Worte, fehlt der Mut, fühlt man sich unfähig, auf den anderen Menschen zu reagieren. Findet man zumindest die Worte, drehen die sich häufig im Kreis, nehmen Bezug auf die Vergangenheit, das Fundament, auf dem die Beziehung baut. Von der Gegenwart ist dann selten die Rede, so wie auch zwischen Nora und Hae Sung vor allem erinnert wird. Sie sprechen über eine Zeit, deren Teil Noras Ehemann nicht ist. Ihm bleibt es nur zuzuhören, oder wegzuhören, jedenfalls das Gesicht zu wahren. Celine Songs Drehbuch erzählt vor allem von den kleinen, zwischenmenschlichen Regungen. Eine nach außen hin aufregende Geschichte, geschweige denn unvorhergesehene Wendungen sucht man hier vergebens. Vielmehr lässt Song das Leben von sich erzählen, und wie es verläuft, mit viel Sensibilität und nur wenig Pathos. Ihre Wurzeln am Theater sind zu spüren, inszenatorisch ist „Past Lives“ unaufgeregt und wenig kreativ, lässt diesen Aspekt aber leicht verzeihen, da das Dreieck zwischen den Figuren derart lebendig daherkommt. Der Film kennt kein Fazit, lässt die Fäden sich ausfransen, anstatt sie zusammenzuführen, ist in diesem Sinne für das Publikum schmerzhaft, lässt das Innenleben der Figuren auch in uns nachvollziehbar werden, wohl aus dem einfachen Grund, da wir es selbst am besten wissen.

 

Past Lives | Official Trailer HD | A24