Sind wir noch nicht so weit?

Seit dem kürzlich begonnenen Schuljahr 2015/2016 gibt es eine Neuerung in Südtirols Schulwelt: deutschsprachige PädagogInnen in den italienischen Kindergärten. Den entsprechenden Beschluss fasste die Landesregierung im Mai dieses Jahres. 8,50 Stellen sind seither für “pädagogische Mitarbeiterinnen deutscher Muttersprache” an den italienischsprachigen Kindergärten im Stellenplan der Lehrkräfte vorgesehen. Die Überlegung dahinter war einfach: Spielerisch sollten die Kinder die Zweitsprache erlernen und gleichzeitig sollte auch eine Abwanderung aus den italienischen Kindergärten verhindert werden. Immer mehr italienisch- oder "gemischtsprachige" Eltern entscheiden sich nämlich dafür, ihre Kinder in die deutschsprachigen Kindergärten des Landes einzuschreiben.
Zu hohe Erwartungen?
Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig, werden sich die Einbringer des Beschlussantrags 481/15 im Südtiroler Landtag gedacht haben. In dem parteiübergreifenden Schreiben forderten Paul Köllensperger (Movimento 5Stelle), die Grünen Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba und Hans Heiss sowie Elena Artioli vom Team Autonomie und Alessandro Urzì (Alto Adige nel Cuore), dass auch in den deutschen Kindergärten Stellen für italienischsprachige PädagogInnen geschaffen werden sollen. Ebensoviele wie in den italienischen, nämlich 8,50, sollten es sein. “Das Erlernen der Sprachen, welches bereits im Kindergarten beginnt, ist nicht nur ein Vorteil für die kulturelle und soziale Entwicklung unserer Jugendlichen, sondern auch entscheidend für die spätere Wettbewerbsfähigkeit in der Arbeitswelt”, sind die sechs Landtagsabgeordneten überzeugt.
“Immer mehr Familien in Südtirol verspüren die Notwendigkeit, für ihre Kinder eine stärker auf Mehrsprachigkeit hin orientierte Schule zu haben”, erklärten die Einbringer. Das gehe aus verschiedenen Studien und Untersuchungen hervor. Wie etwa dem Sprachbarometer, laut dem 60 Prozent der Deutschsprachigen und 90 Prozent der Italienischsprachigen das Bedürfnis nach Mehrsprachigkeit äußerten, wie Brigitte Foppa im Laufe der Landtagsdebatte zum Antrag erinnerte. Paul Köllensperger unterstrich, wie die geplanten Stellen zu einem besseren Gleichgewicht bei den Einschreibungen der Kinder führen und so den Erwartungen der Eltern beider Sprachgruppen in Sachen eines qualitativ hochwertigen Zweitsprachenunterrichts entsprechen würde.
Besorgte Opposition
Skepsis und Kritik kam von der deutschsprachigen Opposition im Landtag. Sven Knoll von der Süd-Tiroler Freiheit warnte vor der Gefahr, dass durch frühen Zweitsprachenunterricht die Muttersprache leiden könnte. Seine Parteikollegin Myriam Atz Tammerle schloss sich Knoll an. Sie erinnerte an die Katakombenlehrer, die ihr Leben riskiert hätten, um den Kindern die Muttersprache erhalten zu können. Das dürfe man nicht riskieren, meinte Atz Tammerle. Darüber hinaus gebe es ausreichend Möglichkeiten zum Erlernen der zweiten Sprache. Derselben Meinung waren auch Pius Leitner und Tamara Oberhofer von den Freiheitlichen: “Experimente wie die vorgeschlagenen sind nicht zu verantworten. Der Antrag will die Trennung der beiden Schulsysteme aufheben und das ist nicht annehmbar.” Sie erinnerten daran, dass das Autonomiestatut den Zweitsprachenunterricht ab der zweiten Klasse Grundschule vor. “In der Praxis beginnt man bereits in der ersten Klasse und weiter hinunter sollte man nicht gehen”, so Leitner. Andreas Pöder zeigte sich überzeugt, dass man ab der ersten Klasse “alle Zeit der Welt” habe, um die zweite Landessprache zu erlernen. Und das müsse reichen. “Der Antrag bringt das muttersprachliche Prinzip nicht in Gefahr”, erwiderten darauf Köllensperger und Dello Sbarba.
Weniger Ablehnung unter den italienischsprachigen Abgeordneten. “Angst soll bei diesem Thema keine Rolle spielen”, entgegnete Alessandro Urzì den vorgebrachten Zweifeln. Auch der Landesrat für italienische Bildung, Christian Tommasini, sprach sich für den Antrag aus. Er vertsehe ihn als Zeichen und der spielerische Ansatz im Sprachenlernen habe sich bewährt. Im Gegensatz zu Tommasini stellte sich sein deutscher Kollege Philipp Achammer quer. “Ich habe mit dem spielerischen Erlernen der Zweitsprache kein Problem”, gestand der Landesrat, “hier geht es aber nicht um den Ruf der Gesellschaft, sondern der Gewerkschaft, die sich sorgt, dass einer Sprachgruppe Stellen verloren gehen.” Das spielerische Erlernen müsse man mit anderen Maßnahmen anpeilen und er werde in den kommenden Wochen einige davon vorstellen, kündigte Achammer an.
Und es kam, wie es sich bereits abgezeichnet hatte: In zwei Teilabstimmungen lehnte der Landtag am Mittwoch Nachmittag den Antrag ab.