Kultur | Ausstellung

Soleil Politique

Von der Beletage bis zum Stadtraum. Die Ausstellung Soleil Politique zeigt die Institution „Museion“ zwischen Licht und Schatten.

Das Museion in Bozen steht auf dem Kopf. Der 4. Stock, normalerweise Ausstellungsraum, ist nun (noch wenige Tage) Aussichtsplattform auf die Stadt, auf deren Straßen und Plätzen sich der Ausstellungsparcours von Kurator Pierre Bal-Blanc fortsetzt. Dieser beginnt in der Passage, dem Eingangsbereich des Museions, wo sich ein dichtes Netz von Bezügen zwischen Institution und Stadtraum entspannt. Die Fülle an Materialien - Architekturmodelle, Stadtpläne, Textfragmente, Kunstwerke - wirkt auf den ersten Blick erdrückend. Doch es ist die Mühe wert! Denn die Artefakte die Pierre Bal-Blanc hier versammelt und anordnet, verorten das Museion auf spannende und kritische Weise im historischen, sozialen und architektonischen Kontext Bozens sowie im internationalen Kunstbetrieb.

Gleich neben der Kasse, in einer Vitrine in der sonst Souvenirs feilgeboten werden, liegt das Werk „Soleil Politique“ des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers aus dem Jahr 1972, dem die Ausstellung ihren Titel verdankt. Die Schwarz-Weiß-Abbildung, die Broodthaers einer Enzyklopädie entnommen hat veranschaulicht das Größenverhältnis zwischen Sonne und anderen Planeten. Dem Fixstern schreibt der Künstler den Begriff Politik ein. Der Planet Erde ist schwarz übermalt und verschmilzt mit dem Hintergrund. Die emanzipatorische Kraft der Vernunft - das Licht der Aufklärung - ist in ihr Gegenteil umgeschlagen. Eine instrumentelle, technisch rationale Vernunft ist hier am Werk und hat sich längst mit der Herrschaft verschwistert. Ein Bild wie aus einem dystopischen Science Fiction Roman und eine Hommage an die „Dialektik der Aufklärung“.

Kurator Pierre Bal-Blanc hat bereits in mehreren Ausstellungen (so auch in „The Death of the Audience“ in der Secession in Wien 2009) ausgelotet, was Institutionskritik heute bedeuten kann. Museen sind seit jeher Orte an dem Wissen und damit Hand in Hand gehend, auch der Glaube an ein bestimmtes Weltbild produziert wird. Formale Aspekte des Ausstellens spielen dabei ebenso eine Rolle, wie die symbolische Bedeutung bestimmter Praktiken. In der Ausstellung Soleil Politque bringt Walter Pichlers "Tragbarer Schrein" aus dem Jahr 1970 diese Verzahnung von Kunst- und Kultstätte zum Vorschein. Gleich gegenüber erforscht Mathieu Kleyebe Abonnencs Arbeit "Agent doubles - Phlebotomus Abonnenci" 2014, Formen kultureller Hegemonie, auf denen die Evolution unserer modernen Gesellschaft basiert. Indem sich der Künstler Archivalien aneignet, die im Zusammenhang mit dem kolonialen Imperialismus stehen, verweist er auf die Ursprünge der modernen Wissenschaft, samt ihren gewaltsamen Mechanismen der Aneignung und Kategorisierung. Neben den Werken von mehr als 40 namhaften, internationalen Künstler_innen hat Pierre Bal-Blanc auch Devotionalien aus dem Stadtmuseum von Bozen ins Museion geholt und so die kulturellen Ressourcen des unmittelbaren Umfelds in die Ausstellung miteinbezogen.

Museen verstehen sich als Orte des Austauschs und es ist ihre Aufgabe die Schätze des kollektiven Gedächtnisses aufzubewahren. Dennoch unterliegen sie dem Profitstreben und der Arbeitsteilung. Auch wenn seit den 90er Jahren die Institutionskritik, also die Kritik an Machtvervältnissen und Verwertungslogiken, sowie der Ökonomisierung der Institutionen hoch im Kurs steht, bleibt diese - bei allem kuratorischen und künstlerischen Engagement - fast immer von der aktuellen Praxis der Institutionen getrennt. Wie schwer es ist an diesen Systemen zu rütteln, zeigt sich in der Performance „Ruhe bitte!“. Auf Anweisung des Künstlers Roman Ondák streift einen Museumswärter in veralteter Uniform durch die Ausstellung. Dem Museumswärter Mario Tauber steht die Freude an seiner neuen Aufgabe ins Gesicht geschrieben. Mit Stolz und Autorität schreitet er in der Passage auf und ab und lässt seinen Blick über Werke und Besucher schweifen. 

Wie es ihm dabei ergeht? „Es ist toll, ich bin jetzt ja Teil der Ausstellung. Ein lebendes Kunstwerk, sozusagen. Es gefällt mir zu schauspielern und die Leute sprechen mich an und fragen was ich mache. Normalerweise arbeite ich ja nicht in Uniform. Aber was passiert? Ich werde die ganze Zeit vom Fernsehen, von Fotografen und Journalisten gerufen und kann dadurch meiner Arbeit nicht mehr so nachgehen, wie ich es eigentlich möchte.“ Ein zusätzliches Honorar gibt es für seine schauspielerischen Leistungen nicht. Einige Minuten später ist es dann auch schon passiert. Eine Besucherin hat die Skulptur von Marie Cool und Fabio Balducci berührt und damit eine kleine Überschwemmung verursacht. Die verführerisch schimmernde Oberfläche auf dem Tisch, eine dünne Wasserschicht die von einem Klebeband eingeschlossen wird, ergießt sich auf den Boden. Sofort wird der Museumsaufseher zur Verantwortung gezogen und muss sich rechtfertigen. Gleichermaßen ironisch und bezeichnend ist, dass Letizia Ragaglia, Direktorin des Museions im Interview kurz zuvor, das Kunstwerk als symbolisch für die Ausstellung beschrieben hat. Es würde das fragile Kräfte- und Mächteverhältnis der Institution veranschaulichen.