Politik | Blick ins Land

Die Autos werden nicht im Berg verschwinden

Die Meraner Stadträtin Madeleine Rohrer zu Küchelberg-Tunnel, City-Bus und behindertengerechtem Stadtverkehr.

Maiser Wochenblatt: Wenn man sich Ihren Aufgabenbereich in der Gemeinde Meran anschaut, dann bestehen Ihre Kompetenzen aus: Raumordnung, städtische Entwicklungsplanung, Verkehr und Mobilität, Gemeindebauordnung, Natur- und Landschaftsschutz, Umwelt und Ökologie, Energiewesen und Mitspracherecht im Bereich öffentliche Grünanlagen. Was haben Sie den anderen Stadträten übrig gelassen?
Madeleine Rohrer: (lacht) Sie haben schon genug zu tun. Bisher waren zwei Stadträte mehr in der Regierung. Es ist für uns alle eine Herausforderung, dass wir mehr Kompetenzen übernehmen mussten. Meine Bereiche greifen sehr gut ineinander und hängen zusammen. Ich sehe es auch als meine Aufgabe, diese zu koordinieren, d.h. in der Raumplanung den Verkehr und Fragen der Energie mitzudenken. Wenn man ein Klimahaus „auf der grünen Wiese“ baut, braucht das Gebäude zwar wenig Energie. Die Bewohner aber haben einen weiteren Arbeitsweg und müssen wahrscheinlich das Auto nehmen. Die öffentliche Hand hat unter anderem durch einen zusätzlichen Schülertransport mehr Kosten. Das hat Auswirkungen auf die Allgemeinheit. In der Schweiz hat man kürzlich die Kosten der einzelnen Fortbewegungsmittel berechnet. Diese Studie besagt, dass, wer regelmäßig zu Fuß geht oder mit dem Rad fährt, nicht nur sich selbst etwas Gutes tut, sondern auch der Gesellschaft. Wer 30 Minuten Bewegung am Tag hat, bleibt länger körperlich fit und belastet so später das Gesundheitswesen weniger. Das zu-fuß-Gehen bringt für die Gesellschaft einen Mehrwert, während der Autoverkehr Kosten verursacht.  

Wie ist das dann mit Menschen mit Beeinträchtigung, die aus gesundheitlichen Gründen auf das Auto angewiesen sind?
Die Mobilität für Menschen mit Beeinträchtigung müssen wir sicherstellen. Wir können nicht allgemein sagen, wir fahren nicht mehr Auto. Der richtige Ansatz ist, das beste Verkehrsmittel für die jeweilige Situation zu nutzen. Zum Meraner Mobilitätszentrum soll man gut zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Bus und – wer muss – mit dem Auto kommen. Von dort aus wird man dann mit dem Zug sein Ziel bequem und stressfrei erreichen. Es braucht ein Miteinander der Verkehrsmittel. Aufgabe der Politik ist es, dafür zu sorgen, dass wir wirklich zwischen den einzelnen Verkehrsträgern wählen können. Wenn die Busse nur selten fahren und ich an der Bushaltestelle im Regen stehe, dann wird mir ein Stück Freiheit genommen, das Verkehrsmittel Bus überhaupt in Anspruch zu nehmen. Wenn es sichere und direkte Fahrradwege gibt, wenn die Gehsteig Platz bieten, dann gibt es eine gute und bequeme Alternative zum Auto. Es ist die Aufgabe der Stadtverwaltung, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Bürger einzuladen, andere Verkehrsmittel zu benutzen.

Wie wichtig ist für Meran ein Citybus?
Es ist ein schon lange diskutiertes Thema und unter anderem auch wieder eine Frage der Raumplanung. Je zersiedelter eine Stadt ist, desto differenzierter müssen auch die Verkehrsmittel sein. Die Herausforderung ist: Wie kriegen wir die Leute ins Zentrum und wie binden wir periphere Zonen, wie z.B. Labers, aber auch die Schafferstraße an die öffentlichen Verkehrsmittel an? Das Mobilitätsgesetz wird zurzeit auf Landesebene überarbeitet. Damit bekommen die Gemeinden auch die Möglichkeit, zukünftig flexiblere Dienste, zum Beispiel einen „Rufbus“, anzubieten. Es ist aber auch eine Kostenfrage, weil die Gemeinde Meran sicherlich mehr für den öffentlichen Verkehr investieren muss.

So eine Regelung wie beispielsweise in Florenz, wo außer den Anwohnern niemand mit dem Auto ins Zentrum kommt, sondern auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen muss, wäre das auch für Meran eine Option?
Das ist eine Strategie, die Stadt möglichst verkehrsfrei zu halten. Infrastrukturen am Eingang der Stadt, wie die Tiefgarage am Bahnhof, sind daher von Nöten. Dort sollten die Autos abgestellt werden. Über einladende Wege sollen die Leute zu Fuß ins Zentrum kommen. Das heißt auch, dass wir im Zentrum keine weiteren Parkplätze brauchen und diesen öffentlichen Raum anders nutzen können.

Wenn wir schon beim Thema Verkehr sind: Was bringt die Aktion 30 km/h in der Stadt?
Meran hatte immer schon ein sehr großes Netz an Dreißiger-Zonen. Mit der auffallenden Markierung wollten wir Bewusstsein dafür schaffen. In den letzten Monaten haben wir zudem die Geschwindigkeit in zwei weiteren Straßenabschnitten beschränkt: In der Karl-Wolf-Straße gilt 30 km/h. Dort ist eine neue Siedlung mit einem Kinderspielplatz entstanden. Damit sind sehr viele „schwache“ Verkehrsteilnehmer unterwegs. Es geht um deren Sicherheit. Wir müssen zuerst an die Fußgänger denken, dann an die Radfahrer und dann an die Autofahrer. In der Romstraße beim Milchhof gilt Tempo 50 anstelle von 70. Das bringt auch mehr Sicherheit für den Fußübergang. Untersuchungen haben klar ergeben, dass Tempo 30 nicht mehr Stau bringt. Auf jeden Fall verringert Tempo 30 die Lärmbelästigung. Doch der wichtigste Aspekt ist die Sicherheit. Ein Unfall mit einem Auto haben, das 30 km/h fährt, ist wie der Sturz aus dem ersten Stock eines Gebäudes. Ein Aufprall mit Tempo 50 entspricht einem Sturz aus dem 3. Stock bzw. aus einer Höhe von zehn Metern.

Der Küchelbergtunnel ist der für Sie notwendig - wichtig?
Fakt ist, das Land wird diesen Tunnel bauen. Entscheidend ist die Frage: Haben wir eine Strategie für den Tag X, an dem der Tunnel in Betrieb geht? Damit müssen wir uns jetzt beschäftigen und uns vorbereiten. Zugleich lösen wir keine aktuellen Probleme, wenn wir abwarten. Kürzlich hat jemand zu mir gesagt, wir brauchen jetzt keine Fahrradwege bauen. Wenn der Tunnel kommt, könne man überall Fahrradfahren. Im Umkehrschluss würde so ein Ansatz heißen, dass wir für die nächsten zehn Jahre nichts zu tun hätten. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass der Tunnel alle Verkehrsprobleme löst und die Autos einfach im Berg verschwinden. Wie kommen sie denn eigentlich dorthin? Es gilt auch  aufzupassen, dass nicht der Anreiz entsteht, noch mehr mit dem Auto zu fahren. Infrastruktur schafft immer mehr Verkehr. Es hätte den gleichen Effekt, als würde man eine Diät machen, 2,5 kg abnehmen und hinterher kommen dann fünf dazu.

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Sigmund Kripp Fr., 12.02.2016 - 16:01

Frau Rohrer bekennt sich zu einem der gewaltigsten Paradigmenwechsel in der südtiroler Verkehrsgeschichte, wenn sie sagt: "Infrastruktur schafft immer mehr Verkehr." DAS ist die Erkenntnis, die der Betongeneration unter der Ägide Durnwalder gefehlt hat und das Land so viel landschaftlichen Reize gekostet hat!

Fr., 12.02.2016 - 16:01 Permalink