Am kommenden Dienstag befinde ich mich im Hausarrest.
Von 8 bis 14 Uhr darf ich auf keinen Fall die Wohnung verlassen. Nein, das stimmt nicht ganz. Wie mir von einer freundlichen Dame am Telefon erklärt wurde, „gilt eine Toleranz von einer halben Stunde“. Genauer gesagt muss ich deshalb von 7.30 bis 14.30 Uhr in den häuslichen Gemäuern ausharren.
Der Hausarrest ist die Folge einer Tat, deren Auswirkungen dem Betroffenen erst langsam klar werden. Die Tat ist meine Pflichterfüllung als Staatsbürger. Denn ich habe mir erlaubt, eine bezahlte Dienstleistung des Staates in Anspruch zu nehmen. Eine Dienstleistung, die das Verkehrsministerium als Zwangsmaßnahme anbietet und zusammen mit dem Land Südtirol abwickelt, und die von der italienischen Post veredelt wird.
Was einfach klingt, wird am Ende zu einer Erfahrung, die einer westlichen Industrienation kaum würdig ist. Es ist eine Episode, die unmissverständlich klar macht, warum dieser Staat nicht funktionieren kann. Eine Geschichte, die Millionen von Italienern und Tausende von Südtirolern und Südtirolerinnen ähnlich mitgemacht haben. Sie zeigt auch, wo die Grenzen der Südtiroler Autonomie liegen. Der Pariser Vertrag schützt vor Dummheit ganz sicher nicht.
Die Episode zeigt, wo die Grenzen der Südtiroler Autonomie liegen. Der Pariser Vertrag schützt vor Dummheit ganz sicher nicht.
Ausgangspunkt ist der 31. August 2017. An diesem Tag verfällt nach zehn Jahren mein Führerschein. Auf Drängen meiner Frau melde ich mich Anfang August rechtzeitig für die ärztliche Visite und Führerscheinverlängerung an.
Ich rufe bei der Vormerkungsstelle an und bekomme einen Termin genau eine Woche vor dem Verfall des Führerscheins am Gesundheitssprengel in meiner Wohngemeinde. Am besagten Tag komme ich um 16 Uhr dort an. Gewappnet mit einem Foto in Passformat, einer Einzahlungsbestätigung für die Stempelsteuer über 16,00 Euro auf das P/Kk Nr. 4028, lautend auf das „Dipartimento Trasporti Terrestri“ in Rom und einer zweiten Einzahlungsbestätigung für Gebühren der zuständigen Behörde über 10,20 Euro auf das P/Kk Nr. 9001, ebenfalls auf das „Dipartimento Trasporti Terrestri“ in Rom lautend, sowie meinem gültigen Personalausweis und meiner Steuernummer.
Eine überaus freundliche Amtsärztin prüft meine Sehkraft, ich mache ein halbes Dutzend Unterschriften in ein Kästchen, das ich ja nicht verfehlen darf und erkläre, weder bestimmte Krankheiten zu haben noch Drogen zu nehmen.
Das Ganze läuft freundlich, schnell und bürgernah ab. Der neue Führerschein werde mir dann über die Post direkt nach Hause geschickt. Wie modern und effizient wir doch sind, denke ich mir.
Doch dann folgt die Ernüchterung. Die Ärztin gibt mehrmals meine Daten in den Computer ein. Doch der Computer des Verkehrsministeriums kennt mich nicht. Schnell ist die Erklärung für meine Nicht-Existenz gefunden. Ich fahre seit drei Jahrzehnten mit einem Führerschein umher, in dem Franceschini Christoph steht, während die Steuernummer auf Franceschini Christof lautet. Ob Ph oder F ändert zwar nichts an der Steuernummer, doch der Motorisierung kann man kein Ph für ein F vormachen.
Die freundliche Ärztin erklärt mir, dass sie damit nichts machen könne. Die öffentlichen Amtsärzte haben zwar die Befugnis, die gesamte Erneuerungsprozedur abzuwickeln, aber nicht die Befugnis, einen Buchstaben im Namen oder einen eindeutigen Fehler im Führerschein zu berichtigen. Es wäre ein Mausklick. Doch der geht nicht.
Der Motorisierung kann man kein Ph für ein F vormachen.
So muss ich drei Tage später zum "Amt für Motorisierung" in der Rittnerstraße in Bozen. Dort empfängt mich ein Südtiroler Beamter mit dem Charme und der Freundlichkeit eines deutschen Dobermanns, und er wiederholt – kommentarlos - all das (ohne ärztliche Visite), was ich drei Tage zuvor bereits im Sprengel gemacht habe (Foto, Unterschriften).
Er verlangt meinen alten Führerschein aus Papier und stempelt mit sichtlichem Genuss auf jede Seite ein großes „Annulliert – Annullato“. Ich verkneife mir die Frage, wie er das tun kann, wenn der Führerschein zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch drei Tage gültig ist.
Am Ende knallt er mir eine „provisorische Fahrerlaubnis“ auf den Tisch und belehrt mich, dass diese Erlaubnis 40 Tage gültig ist, aber ich nicht berechtigt bin, ins Ausland zu fahren.
Wie bitte? Als ich erkläre, dass ich demnächst nach Österreich und Deutschland fahren muss, meint er nur lapidar: „Dann müssen sie sich eben von jemand anderem fahren lassen!“.
Danke! Dass diese Einschränkung fürs Ausland weder auf dem zweisprachigen Formular steht noch in den Gesetzen vorgesehen ist, auf die man sich in dem amtlichen Dokument beruft, ist nur ein Detail, das zeigt, wie (in)kompetent und präpotent Südtirols Bürokratie sein kann.
Der Herr stempelt mit sichtlichem Genuss auf jede Seite ein großes „Annulliert – Annullato“. Ich verkneife mir die Frage, wie er das tun kann, wenn der Führerschein zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch drei Tage gültig ist.
Als geborener Optimist gehe ich davon aus, dass der neue Plastikführerschein aus Rom sicher rechtzeitig eintreffen wird. Und so ist es auch. An diesem Donnerstagabend finde ich in meinem Postkasten einen „1. Hinweis für Nichtzustellung“. Absender ist das Infrastruktur- und Transportministerium, und laut Formular geht es um die „Sendung postpatente den/die Führerschein/Zulassungsbestätigungenthält, durchzuführen.“ Genauso steht es auf dem Zettel der Post. Auf Italienisch wird das Ganze verständlicher: „L´invio postapatente sopra indicato contiene la Patente di guida/Carta di circolazione“.
So langsam ist er also doch nicht, der Staat. Voller Freude gehe ich einen Tag später aufs Postamt. Als ich nach einer Viertelstunde in der Schlange endlich drankomme, folgt die Ernüchterung. Ich kann den Brief nicht hier abholen, sondern ich muss die Nummer auf dem Zettel anrufen und einen neuen Zustellungstermin vereinbaren.
Langsam denke ich mir, ich bin bei „Vorsicht Kamera“.
Schließlich rufe ich das auf dem Zettel angegebene Contact Center von Poste Italiane unter der Nummer 803.160 an. Eine mechanische Stimme erklärt mir, dass dieser Anruf kostenlos sei, aber nur von einen Festnetzanschluss aus gemacht werden kann. Für einen Anruf von einem Mobiltelefon - mit dem ich anrufe - muss man eine andere Nummer wählen, die aber kostenpflichtig ist. Da es um meine Fahrerlaubnis geht, scheue ich heldenhaft keine Kosten und rufe vom Handy aus umgehend die Nummer 199.100.160 an. Nachdem ich mich durch drei Schleifen geklickt, der Verarbeitung meiner Daten zugestimmt und die Mitwirkung an einer Umfrage der Post, die mich binnen neun Stunden zurückrufen möchte, abgelehnt habe, komme ich endlich zu einer freundlichen Dame. Ich werde nach meinem Namen gefragt, nach der Postleitzahl meiner Heimatgemeinde und dann muss ich den Kodex des 1. Hinweises angeben. Als wir endlich zur Festlegung des neuen Termins kommen, wird die Verbindung unterbrochen.
Wenige Minuten später versuche ich es erneut. Diesmal aber vom Haustelefon aus. Als ich es nach 5 Minuten in der Schleife und verschiedenen Tastenweiterleitungen schaffe, eine andere Bearbeiterin in der Leitung zu haben, geht die Fragerei von Neuem los. Nur stellt die Dame diesmal völlig andere Fragen. Am Ende nennt sie mir dann den neuen Termin, an dem mein Führerschein eintreffen wird: Dienstag, den 12. September zwischen 8 und 14 Uhr.
Darf der Briefträger Trinkgeld annehmen? Oder ist das schon ein Bestechungsversuch und mein Hausarrest am Dienstag wird umgehend in Haft umgewandelt?
Die Dame „aus einem Call-Center in Italien“ – so wird es in der Schleife angekündigt - erklärt mir noch, dass der Führerschein nur persönlich entgegengenommen werden könne. Zudem müsse ich 6,86 Euro (oder waren es 16,86 Euro?) bereithalten. Genau diesen Betrag. Denn der Briefträger könne und dürfe kein Geld herausgeben.
Inzwischen tanzen mir bereits die Cents vor den Augen. Und ich frage mich: Was passiert, wenn ich dem Briefträger 7 Euro gebe? Darf der Briefträger Trinkgeld annehmen? Oder ist das schon ein Bestechungsversuch und mein Hausarrest am Dienstag wird umgehend in Haft umgewandelt?
Am Ende gibt mir die Call-Center-Damen dann einen neuen Codex: „SAD 21346182“. Mit der Nennung SAD schleicht sich sofort CEO DDr. MBA Ingemar Gatterer in meinen Kopf und ich sehe mich schon auf der Anklagebank.
Wofür ich diesen Kodex brauche, will ich dann wissen. „Wenn es am Dienstag nicht klappen sollte und Sie uns wieder anrufen müssen“, erklärt mir die Dame.
Aha. Spätestens jetzt bin ich glücklich, dass wir eine Autonomie haben und bei uns alles besser ist. Und vor allem, dass Südtirol nicht Italien ist.