Gesellschaft | Risikosport

„Wir sind alle sierig“

Die Witwe des verunglückten Möltner Bergläufers und Wirts Karl Gruber eröffnet eine Diskussion über Freiheit und Verantwortung von Familienvätern. Zu Recht?
Lawine
Foto: Yourtube

„Endlich getraut sich mal eine offen ihre Meinung zu sagen“: Eine von vielen weiblichen Solidaritätsbekundungen, die am vergangenen Wochenende ein viel beachteter Leserbrief in der Tageszeitung Dolomiten gefunden hat. Unter dem Titel „Das Restrisiko gilt auch für den Rest der Familie“ thematisierte Maria Theresia Bortoluzzi, die Witwe des im vergangenen April bei einem Lawinenunglück in Martell getöteten Bergläufers und Wirts der Kuhleitenhütte Karl Gruber darin das Schicksal der Familien, die nach einem solchem Unglück vielfach unabgesichert zurückbleiben. Und rührt damit an einem Tabuthema, das RAI-Redakteurin Michaela Mahlknecht bewog, Bortoluzzi am Dienstag zu einem Morgengespräch zu laden. 

Immerhin wirft die Mutter von drei minderjährigen Kindern mit ihren Aussagen nicht nur die immer wieder heiß diskutierte theoretische Frage auf, wie weit die persönliche Freiheit bei Risikosportarten gehen kann. Als direkt Betroffene dringt Maria Theresias Bortoluzzi noch weiter in einen Bereich vor, der gemeinhin als rein private Angelegenheit gilt, in emotionale Abgründe, in der sich Liebe und Wut, Trauer und Ohnmacht mischen.  Das Schicksal der zurückgebliebenen Familien, die große Belastung, unter der Frauen zu zerbrechen drohen, die von einem Tag auf den anderen von früh bis spät ganz allein für alles verantwortlich sind, die großen finanziellen Sorgen, die besonders bei einem immer noch weit verbreiteten traditionellen Familienmodell mit dem Wegfall des Broterwerbers entstehen – das alles machte Bortoluzzi zum verspäteten Beginn einer neuen Wintersaison in ihrem Leserbrief nicht zuletzt mit einer eindringlichen Bitte greifbar:

„Nun meine etwas gewagte Bitte an euch Skitourengeher, Bergfreunde, Familienväter: Bitte sichert eure Familien und, falls vorhanden, Betriebe wenigstens finanziell und rechtlich gut ab. Es ist bei weitem schlimm genug, auch nur einen von euch durch das für euch schönste Hobby der Welt zu verlieren. Jeder von euch weiß und spricht vom Restrisiko, das bleibt, wenn man sich auf eine schöne Skitour, einen wunderbaren Gipfel begibt oder im Sommer beim Klettern. Es gibt aber auch das Restrisiko für den Rest der Familie, das eintritt, wenn es zum Schlimmsten kommt. Im Interesse der Für- und Vorsorge jedes Familienvaters darf darüber nachgedacht, gesprochen, diskutiert und auch danach gehandelt werden.“

Und zwar ohne Tabus, wie Maria Theresias Bortoluzzi auch am Dienstag Morgen bewies. „Wir sind alle sierig“, bekannte sie dabei auch im Namen von zumindest zwei weiteren zurückgebliebenen Frauen, die vor ihr dasselbe Schicksal erlitten. Lebensgefährtinnen von engen Freunde ihres Mannes, die bereits 2001 und 2004 ihr Leben an eine Lawine verloren hatten. „Wir waren alle im gleichen Boot, wir haben immer Angst gehabt um unsere Männer“, erzählte die Frau im RAI Morgengespräch. Dass sie nach dem Tod ihres Mannes selbst erleidet, was sie bereits bei anderen Frauen mitgelebt und erlitten hat, gäbe ihr die Kraft, nun an die Öffentlichkeit zu gehen, meinte Bortoluzzi.

Indem sie die Opfer von Bergunglücken zumindest in gewissem Maße auch zu Tätern macht, setzt sie sich dabei selbst einer in der öffentlichen Diskussion nicht ungefährlichen Gratwanderung aus. „Jeder hat das Recht, seinen Hobbies nachzugehen, und ich vergönne es auch einem jeden“, sagt die Mutter. „Doch ich glaube, dass auch jedes Kind das Recht hat, einen Tata zu haben.“ Deshalb sei auch ihr Verständnis für Männer zu Ende, von denen es heißt, dass risikoreiche Sportarten eben ihr Leben waren, meinte Bertoluzzi in der RAI.: „Wenn man sich entscheidet, eine Familie zu gründen und Kinder zu haben, kann man wenigstens die paar Jahre, in denen die Kinder klein sind, ein bissl zurückstecken.“  Sie jedenfalls habe ihrem Sohn versprechen müssen, nie mehr auf eine Skitour zu gehen. „Und das habe ich von Herzen gerne versprochen.“

Bild
Profil für Benutzer Sigmund Kripp
Sigmund Kripp Di., 10.01.2017 - 14:44

Ja, die tollen Hechte, die sich was trauen! Ich denke da an einen Fall in D, wo ein Familienvater mit 4 kleinen Kinder am Nürburgring bei einem Tourenwagenrennen tödlich verunglückt ist. Ja, was soll denn das, wenn man(n) für die Frau + Kids verantwortlich ist? Manchmal ist zuhause bleiben zwar uncool, aber viel sozialverträglicher und letztlich wert-voller.....

Di., 10.01.2017 - 14:44 Permalink
Bild
Profil für Benutzer gorgias
gorgias Di., 10.01.2017 - 17:47

Ich finde Frau Bertoluzzi trägt, in dem sie an die Öfentlichkeit tretet, einen wichtigen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Diskussion bei. Doch einen Tabubruch oder Gratwanderung kann ich darin nicht sehen. Sie ist in ihrer Position unangreifbar und menschlich leicht nachvollziebar.
Was aber beindruckend ist, ist dass Frau Bertoluzzi den emotionalen Kraftakt und die persönliche Überwündung an den Tag gelegt hat, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Das möchte ich hier nochnals anerkennen.

Di., 10.01.2017 - 17:47 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Martin B.
Martin B. Di., 10.01.2017 - 18:35

Stimme gorgias zu: unangreifbare Stellungnahme. Aber: wo hört das bewusste Risiko auf? Wenn es nicht mehr Hobby ist? Am meisten sterben immer noch bei Verkehrsunfällen und recht weniger schlimm (emotional und finanziell) ist es auch in solchen Fällen wohl selten für zurückgebliebene Familien (zumindest bei Selbstverschulden).

Di., 10.01.2017 - 18:35 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Sepp.Bacher
Sepp.Bacher Di., 10.01.2017 - 20:50

Antwort auf von Martin B.

Sicher ist das Risiko beim Autofahren zu sterben auch gegeben. Mann kann das aber nicht vergleichen: vor allem nicht im Verhältnis. Vergleicht man die Anzahl der Autofahrer mit jener der Extremsportler kommt sicher ein sehr ungünstiges Verhältnis für die Extrem- und Risiko-Sportler heraus!

Di., 10.01.2017 - 20:50 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Martin B.
Martin B. Mi., 11.01.2017 - 16:30

Antwort auf von Sepp.Bacher

Noch einmal: was ist anders wenn die zurückgebliebene Familie emotional und finanziell genauso leidet? Auch ein Autofahrer kann bewusst etwas mehr Risiko (Stress, Eile, usw.) in Kauf nehmen. Niemand wird ihm dasselbe bewusste Inkaufnehmen wie Bergsteigern usw. vorwerfen. Ich kann aber doch keinen essentiellen Unterschied sehen, aber es ist natürlich schwierigeinzuschätzen solange man selbst nicht in der Situation ist.

Mi., 11.01.2017 - 16:30 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Christian Mair
Christian Mair Di., 10.01.2017 - 21:24

Neben der Verantwortung der Väter, sollte man aber auch andere "Beteiligte" klar benennnen. Über die Werbung wird ein weichgezeichnetes für jedermann konsumierbares Produkt "Abenteuer" geschaffen. Jene die den Profit erwirtschaften, sollten auch an den Kosten beteiligt werden. #Kostenwahrheit

Di., 10.01.2017 - 21:24 Permalink
Bild
Profil für Benutzer gorgias
gorgias Mi., 11.01.2017 - 13:05

Antwort auf von Christian Mair

Darin sehe ich mehr eine Abgabe der Verantwortung. Die Verantwortung trägt immer die Person die sich in den Gefahrensituation begibt. Wenn schon soll diese die Kosten tragen, indem man eine Pflichtversicherung einführt und bei jedem Notfalleinsatz einen Selbstkostenbeitrag verlangt, der im Falle von grober Fahrlässigkeit bis zu den Gesamtkosten reicht. Das ist wahre Kostenwahrheit, denn warum soll ich mehr für eine Winterjacke zahlen, nur weil ihrgendwelche Trottel oder Spinner vom Berg herunterfallen?

Mi., 11.01.2017 - 13:05 Permalink
Bild
Profil für Benutzer woergel klaus
woergel klaus Mi., 11.01.2017 - 14:24

Ich unterstütze Bortoluzzi und sehe das auch so, bei Familiengründung zurückstecken oder Familienmitglieder gut versichern.
Kostenwahrheit: Dicke Menschen, Raucher und Menschen die sich gesundheitsschädlich verhalten, viel Alkohol konsumieren, müssten ebenso höhere Versicherungskosten tragen. Oder Unternehmen die gesundheitsschädliche Produkte od Stoffe verarbeiten inkl. Zucker, Fett etc. müssten beteiligt werden. Das Versicherungsprinzip ist immer eine ethische u gesellschaftspolitische Frage und sollte nicht populistisch ausgeschlachtet werden.

Mi., 11.01.2017 - 14:24 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Faber Simplicius
Faber Simplicius Do., 12.01.2017 - 09:55

Come già anticipato da altri, guidare non è certo attività meno rischiosa anzi.... Eppure qui non c'è nessuno scandalo ed anche qui la "colpa" è quasi sempre dell'asfalto viscido o delle condimeteo avverse, quasi mai del guidatore che non ne ha tenuto conto....
Assicurarsi adeguatamente è l'unica soluzione (non faccio l'agente assicurativo, lo penso veramente!)

Do., 12.01.2017 - 09:55 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Klemens Kössler
Klemens Kössler Do., 12.01.2017 - 18:51

Familie zu haben ist wohl das schönste auf der Welt, ist zwar anstrengend und man hat keinen Sportwagen mehr aber eine Familienkarosse. Immer wenn ein Vater oder eine Mutter umkommt fehlt mehr als die geliebte Person, es fehlen eben Mithilfe und Einnahmen welche vor allem für die Kinder sehr wichtig sind. Eine Lebensversicherung um zumindest die finanziellen Sorgen zu mindern sollte für jeden der Familie hat ganz einfach dazu gehören. Die Jahresprämie für eine anständige Absicherung ist geringer als ein neues paar Tourenschi oder ein Satz Alufelgen. Es gehört zur moralischen Pflicht seine Familie abzusichern.

Do., 12.01.2017 - 18:51 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Verena Segato
Verena Segato Mo., 23.01.2017 - 12:38

Ich bin eine "Familienmutter" - alleinerziehend weil getrennt, in Vollzeit arbeitend, sowohl wirtschaftlich als auch erzieherisch für meine beiden Töchter sowie für die Tilgung eines Wohnbaudarlehens verantwortlich und Bergsteigerin aus Leidenschaft.
Ich möchte eine weitere Sichtweise – jene einer Frau und Mutter – vorlegen und wenn möglich für jene, welche diese Leidenschaft nicht teilen sich schwer tun zu verstehen, was der alpine Lebensraum für uns bedeutet und warum wir uns immer wieder dahingezogen fühlen, verständlich machen.
Es gibt viele Gründe, warum man im Leben plötzlich alleine da stehen kann und für Familie und Schulden alleine aufkommen muss. Es kann eine Trennung oder ein Schicksalsschlag sein, der Auslöser kann vielseitig sein, der Ausgang der gleiche.
Mancher vergleicht die Leidenschaft zum Bergsteigen hier mit einer "Suchterkrankung". Was ich aber nicht verstehen kann ist, warum Raucher, Trinker, Spieler nicht an den gleichen Pranger gestellt werden. Wie viele rauchende Familienväter und -mütter gibt es? Die Zahlen der Menschen, welche an Folgen des Rauchens, des Übergewichtes oder des übermäßigen Alkoholkonsums sterben stehen in keinerlei Proportion mit jenen der Alpinisten, die jährlich ihr Leben am Berg verlieren. Aber wird ein Raucher der sich seine Zigarette anzündet oder dem Barbesucher der sich gerade sein nächstes Bier bestellt je gefragt, ob er denn nicht an seine Familie denke? Die Kosten welche durch solche Fehlverhalten auf die Kollektivität fallen sind extrem hoch, ein Bergsteiger der verunglückt hinterlässt höchstens ein Loch in seiner Familie und seinem sozialen Umfeld.
Natürlich ist hierbei eine finanzielle Absicherung vorteilhaft – es ist aber schwer und v.a. sehr kostspielig, eine private Lebensversicherung abzuschließen, die diese „Risikosportarten“ absichert. Hier müsste die Gesellschaft einiges nachholen um nachträglich Situationen von wirtschaftlichen Engpässen zu vermeiden.
Wie alle Alpinisten versuche ich, das Restrisiko auf ein Minimum zu reduzieren – wir gehen in die Berge mit dem Ziel, wieder nach Hause zu kommen. Wer mit uns eine Beziehung eingeht weiß vom Anfang an, was wir tun und dass es ein wichtiger Teil von uns ist.

Mo., 23.01.2017 - 12:38 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Gregor Beikircher
Gregor Beikircher So., 31.12.2017 - 15:32

Die Risiken für eine Familie, wenn man sich entscheidet eine solche zu gründen, bzw. für die Angehörigen abzusichern, ist wohl das mindeste an Verantwortung, die man hat. Natürlich spricht das Gefühl der Verantwortlichkeit auch dafür, wenn die Kinder noch klein sind, auch in dieser Zeit die extremen Risiken möglichst zurück zu stecken. Das habe ich ja selber erlebt und auch getan zu jener Zeit und habe die Zeit der Touren und Ausgesetzheiten eingeschränkt. Das hat mich zumindestens davor bewahrt, mit einem Mitanhörigen (in diesem Fall nicht Familienvater) seinerzeit in den Lawinentod zu stürzen und noch mehr Unglück bei meinen Angehörigen hervor zu rufen.

So., 31.12.2017 - 15:32 Permalink