Kunst | Artstore

Vom Laufsteg an die Wand

Kira Kessler bewegt sich zwischen Mode und Kunst. Sie verwandelt alltägliche Materialien in taktile Bilder und nutzt Textilien als Leinwand für Geschichten und Erinnerungen.
land and scape
Foto: Kira Kessler
  • Kira Kessler bewegt sich zwischen Mode und Kunst. Sie hat für ikonische Haute-Couture-Modehäuser wie Chanel, Christian Dior und Vivienne Westwood gearbeitet und entwickelt avantgardistische Textilien. Doch ihre Kunst geht weit über den Laufsteg hinaus: Sie verwandelt alltägliche Materialien – von Verpackungen bis hin zu Federn – in taktile Bilder und nutzt Textilien als Leinwand für ihre Werke. Dabei sind ihre Werke nicht nur visuelle Objekte, sondern tragen Spuren der Zeit, der Berührung und der Erinnerung in sich. Textilien werden zu Archivaren von Geschichten – mal subtil, mal kraftvoll, mal humorvoll. Ein Gespräch über Transformation, Materialität und die emotionale Tiefe von Stoffen.

     

    Artstore: Deine Arbeiten waren bereits auf den Laufstegen großer Modehäuser zu sehen. Doch mittlerweile finden sie auch in Ausstellungen, an Wänden und im Raum Platz. Was bedeutet dieser Wechsel für dich und deine Kunst?

    Kira Kessler: Die Welt der Haute Couture ist eine Welt, die viel Glanz und Schein beinhaltet. Das ist das Phänomen, was für manche so anziehend und für andere so abstoßend wirkt. Die Hülle bleibt Oberfläche und dient der Inszenierung in Ihrem besten Sinne. Meiner Meinung nach ist die Modewelt eine der kreativsten und potentesten Branchen was den Output betrifft. Ich hatte in der Zeit, als ich für die Haute Couture und Prêt-à- Porter gearbeitet habe, häufig das Gefühl, von einem Entwurf zum nächsten zu “fliegen”. Das war manchmal berauschend und manchmal desillusionierend.

    Der Stoff bildet eine Hülle für den Körper und bleibt dabei unkritisch. Es hat mir Freude gemacht so zu arbeiten, jedoch hat mir oft tieferer Inhalt gefehlt. Die Schnelllebigkeit, getrieben durch wirtschaftliches Interesse, hat mich zweifeln lassen an dem Sinn. Meine Arbeiten habe ich immer vom Körper entfernt gesehen.

    Meiner künstlerischen Arbeit liegt eine Aussage zugrunde, die beim Betrachter als solche wahrgenommen werden kann. Ich möchte herausfordern, in die Oberfläche einzutauchen und dahinter weitere Ebenen zu entdecken.

     

    Was hat dich ursprünglich zur Textilwelt gebracht? Gab es eine Person oder ein Erlebnis, das dich besonders inspiriert hat?

    Textil kann sich in vielen Facetten ausdrücken. Es kann Gegensätze beinhalten und durch widersprüchliche Eigenschaften unglaublich aussagekräftig sein. Es gibt optische und haptische Aspekte, bis hin zu akustischen. Eine textile Oberfläche kann glänzend, matt, transparent, opak, skulptural, viskos und noch sehr viel mehr sein. Wenn dann noch die Farbigkeit hinzu kommt, scheinen die Ausdrucksmöglichkeiten schier endlos. Ich bin glaube ich besessen davon. Überdies reizt mich die Kombination mit scheinbar textilfremden Materialien besonders. Ich mag den Bruch, der bei einer solchen Kombination entsteht.

     

    In deiner Kunst kombinierst du das Prinzip des Löschens und Hinzufügens – eine Mischung aus Zerstörung und Schöpfung. Wie beeinflusst dieser Gegensatz deine Arbeit?

    Die Perspektive und der Kontext sind zwei Aspekte, die im Leben absolut ausschlaggebend sind. Es gefällt mir, verschiedene Blickwinkel einzunehmen und Gewohntes zu hinterfragen. Ein und dasselbe Material oder Motiv kann in einem anderen Zusammenhang dargestellt etwas komplett gegensätzliches aussagen.

    In dieser ‘Irritation’ erkenne ich einen Reiz. Im Alltag liegt mehr Magie und Poesie als wir es wahrnehmen. Diese Momente zu erkennen und einzufangen und zu transformieren ist Teil meiner Arbeit, die mich vorantreiben. Ein vermeintlich wertloses Stück Kunststoff lässt sich verschmelzen mit einem anderen Werkstoff und dient dann als Material, aus dem ich zum Beispiel Pailletten mittels einer eigens entwickelten Technik herausstanze, um diese dann auf eine Leinwand zu applizieren. Ein zerbrochener Spiegel mit seinen facettierten Teilchen ist für mich der Anfang eines neuen Gedanken und Werkes.

    In meinen Arbeiten kommen Folien vor, die ursprünglich in der Produktion von Kreditkarten und Identitätsausweisen verwendet werden. Somit werden sie von ihrer eigentlichen Funktion entkoppelt und transformieren sich zu Puzzleteilen meiner Erzählung. Inhaltlich unterstützt diese Transformation die gesellschaftskritische Position der Arbeit. Ich bin fasziniert von dem Phänomen des Fakes. Thematisch wie auch oberflächlich visuell betrachtet. Der Begriff dafür ist “Trompe-l’œil” (das ist französisch und bedeutet: täusche das Auge)- eine Illusion. Es wird der/dem Betrachter/in etwas vorgegaukelt, das eigentlich so gar nicht der Wahrheit entspricht. Darin sehe ich soziologisch und politisch betrachtet eine große Parallele zu unserer Gegenwart.

     

    In deiner ersten Ausstellung „The Mole and the Garden“, 2023 auf Schloss Gandegg hast du das Muttersein mit der Metapher eines Maulwurfs und seines Gartens verbunden. Was steckt hinter diesem Bild?

    “The Mole and the Garden” ist eine Arbeit, die zu einem frühen Zeitpunkt 2021 entstand. Damals befand ich mich in einer neuen Lebenssituation als frische Mutter. In dem Werk beschäftige ich mich im emanzipatorischen Kontext mit der Erfüllung und Verwirklichung seiner selbst als Künstlerin und Mutter. Der Spagat zwischen der unendlichen, bedingungslosen Liebe, die einen “übermannt“ - oder besser gesagt “überfraut“ ….!- und den Drang zum Schaffen und zu Kreieren. Ich habe das zu der Zeit als sehr herausfordernd empfunden. Bei der Arbeit handelt es sich um ein Selbstportrait, das mich und meinen kleinen Sohn darstellt. Wir sind verkleidet. Er trägt ein Maulwurfs Kostüm und ich stelle den Garten dar. Der Maulwurf und der Garten sind aufeinander angewiesen. Der Garten bildet die Lebensgrundlage für den Maulwurf. Er beherbergt den Maulwurf und wird zudem von ihm nahezu destruktiv untertunnelt, indem er die Erde durchgräbt und sie zugleich auflockert.

    Diese Beziehung zueinander habe ich humorvoll als metaphorisch zu der Mutter-Kind-Situation empfunden.

     

    In Welcome World, Benvenut* Tutt* hast du dich mit dem „Wir-Gefühl“ auseinandergesetzt. Welche Rolle spielen Textilien dabei, um diese kollektive Erfahrung zu vermitteln?

    In der Installation „Welcome world, benvenut* tutt*“ habe ich das „Wir-Gefühl“ auf verschiedenen Ebenen und aus unterschiedlichen Perspektiven erkundet. Ein kluger, geliebter Mensch sagte einmal: „We all try to be different, in the same way.“ Diese Worte berühren mich und werfen die Frage auf: “Wie können wir, die alle einzigartig sein wollen, in einer kollektiven, aufgeschlossenen Gesellschaft friedvoll zusammenleben und einander willkommen heißen?” 

  • Ausstellung Benvenut* Tutt* Foto: Kira Kessler

    Mit der Installation und den darin enthaltenen Werken wollte ich anregen, über Diversität, Akzeptanz und Frieden in einer polarisierten Welt nachzudenken und sich selbst zu reflektieren. Im Zentrum steht die Frage, wie wir ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ entwickeln können, das über unsere persönliche Zugehörigkeit hinausgeht und sich in einen pluriversalen Horizont einfügt.

    Ich arbeite hauptsächlich mit Textilien und auch textilfremden Materialien. Sie sind meine Sprache, durch die ich mich ausdrücken kann. Jeder Mensch hat einen Bezug zu Textilien, da jeder sie in irgendeiner Form braucht. Textilien kleiden uns, sie wärmen uns, sie haben funktionale Zwecke und umgeben uns; teilweise am Körper, teilweise in unserer Umgebung. Ich möchte einladen unsere vorgefassten Vorstellungen von Material und Materialität zu überdenken, indem ich Techniken und Kontexte miteinander verbinde, und eine lebendige Bildsprache forme.

     

    Wenn jemand Deine Werke “Land” oder “Scape” über den Salto Art Store erwirbt, wird es Teil eines neuen Raums und einer neuen Geschichte. Was wünschst du dir, dass die Menschen in deiner Kunst entdecken oder fühlen?

    Ich möchte, dass die Menschen etwas für sich hinter der Oberfläche entdecken. Die Arbeiten “Land” und “Scape” sind Studien, die entstanden, als ich von der Schweiz aus nach Südtirol zog. Sie sind Zeugen des Ankommens. Ich bin damals im Sommer sehr viel gewandert und habe die Umgebung wahrgenommen. Ich war fasziniert von der Landschaft und den darin wohnenden Strukturen. Es ist eine Makro- und eine Mikro Ansicht, die ich auf eine Baumwollleinwand mittels Pailletten gestickt habe. Die Pailletten funktionieren hier quasi wie Pixel und formen das dargestellte Bild. Ich glaube fest daran, dass ein Werk zu einem sprechen muss und man immer wieder etwas Zusätzliches entdecken kann. Wie ein Ausblick aus dem Fenster. Ein Blick von drinnen nach draußen. Eine andere Perspektive.

  • Scape & Land Foto: Kira Kessler
  • Werkangaben

    Künstler: Kira Kessler 

    Titel: Scape, Land (auf dem Foto- links Scape, rechts Land) 

    Material: Baumwoll Leinwand, gestickte Pailletten, gerahmt 

    Dimension: 34 x 44cm 

    Jahr: 2016 

    Auflage: Unikat 

    Preis: je 1350 Euro 

    Fotocredits: Marta Tonelli (Land und Scape)

  • SALTO hat mit dieser digitalen Galerie einen speziellen Raum für Künstler aus dem Euregio-Tirolo-Gebiet geschaffen.
    Die Kunstwerke werden exklusiv im Artstore von SALTO präsentiert.

    Artstore ist ein Projekt, das von der Kulturvereinigung BAU entwickelt wurde. Heuer liegt die Kuratorenschaft in den Händen von Eau&Gaz, ein Residenzprogramm für KünstlerInnen, KuratorInnenund andere im Kulturbereich tätige Personen. Seit 2022 organisiert es auch das Kultur- und Bildungsprogramm auf Schloss Gandegg in Eppan. Für den Artstore hat sich das Team von Eau&Gaz entschieden, künstlerische Positionen vorzustellen, die sie dieses Jahr in Südtiroler Ausstellungen anzutreffen sind. Eau&Gaz wird von Kathrin und Sarah Oberrauch sowie Johannes Nowak kuratiert.

    Interessiert?
    Kontaktieren uns jetzt, um ein Kunstwerk zu erwerben!
    E-Mail: [email protected]

     

    SALTO artstore