Politik | Landtagswahlen

Robin Hood aus Afing

Thomas Widmann hat auf RAI Südtirol perfekt vorbereitet 25 Minuten lang Wahlwerbung in eigener Sache gemacht. Die Hintergründe eines "Scoops".
Widmann, RAI
Foto: RAI Südtirol
Thomas Widmann ist sehr clever und ein Vollblutpolitiker.
Der ehemalige Gesundheitslandesrat hat am Dienstagabend in der besten Sendezeit im Fernsehen einen Auftritt hingelegt, von dem der Großteil jener, die bei den Landtagswahlen 2023 bereits als Fixtstarter gelten, nur träumen können.
Genau 23 Minuten und 31 Sekunden dauerte die neue Fernsehsendung „Im Fokus“ auf RAI Südtirol. Widmann nutzte diese Zeit für eine persönlich-politische Belangsendung. Der SVP-Politiker, der seit 20 Jahren im Landtag sitzt, hat sich dabei auf der einen Seite zum kritischen Geist in der SVP hochstilsiert, der deshalb zur „persona non grata“ wurde, und auf der anderen Seite scharf die Zustände in seiner Partei kritisiert, indem er ernsthafte Demokratiedefizite unterm Edelweiss anprangert.
Auf dem Tisch vor sich ein Skript, hat Thomas Widmann dabei, perfekt gecoacht, ein professionell vorbereitetes Drehbuch abgespult. Die Versuche des Journalisten und Moderators Hannes Senfter, die Gesprächsführung wieder an sich zu reißen, konterte der SVP-Politiker mit einem einfachen Kunstgriff. „Das ist ja keine Frage“ oder „ich verstehe ihre Frage nicht“, antwortet Widmann immer dann, wenn ihm eine Frage nicht gefallen hat, um danach völlig unbekümmert mit seiner vorbereiteten Botschaft fortzufahren.
 

Schutzheiliger der Unzufriedenen

 
Thomas Widmann nutzte den Fernsehauftritt, um seine Rolle in der SAD-Affäre aus seiner Sicht richtigzustellen. Er bestätigte nochmals den Sager gegen Landeshauptsmann Arno Kompatscher, spielte diesen als Nachlässigkeit herunter und beteuerte, dass er weder mit der SAD AG noch mit Ingemar Gatterer etwas zu tun hatte. Die Botschaft: Das eigentliche Problem sei nur „dieses Buch“ gewesen, mit dem alles aufgebauscht wurde.
 
 
 
Vor allem aber profiliert sich Thomas Widmann an diesem Fernsehabend als Schutzheiliger der Unzufriedenen unterm Edelweiß. “Man wird an den Rand gedrängt, wenn man anderer Meinung ist, eine andere Meinung wird schwer toleriert, vor allem von ganz oben und es ist so, dass wirklich deshalb viele Menschen nach Alternativen suchen und sich hier in dieser Partei nicht mehr aufgehoben fühlen”, erklärt Widmann vor laufender Kamera.
Der ehemalige SVP-Landessekretär stellte dann die SVP-Geschichte so dar, als sei aus einem Hort der Demokratie, des freien Konkurrenzkampfes der Ideen, der harten, aber fairen und von persönlichen Interessen befreiten Debatte eine gelähmte und von Arno Kompatscher geknechtete Partei geworden. Dieser „große Wandel in der Partei“ würde viele Menschen von der SVP entfernen.
 

Im Fokus Kompatscher

 
Der Alleinschuldige für dieser Entwicklung ist im Widmann-Kosmos schnell ausgemacht: Arno Kompatscher. Thomas Widmann skizziert den Landeshauptmann - den Namen spricht er ganz bewusst nicht einmal aus - als eine Art Diktator, der weder Kritik noch den Erfolg der anderen vertrage. Der von oben vorgebe, was andere tun müssen. Einer, der allein bestimmt, was in der SVP passiert.
Das Zeugnis, das der 63-jährige Bozner Politiker dabei dem amtierenden Landeshauptmann ausstellt, ist vernichtend. In zehn Jahren sei nichts weitergegangen. Während Widmann Silvius Magnago und Luis Durnwalder als Lichtgestalten darstellte, ließ er kein einziges gutes Haar am amtierenden Landeshauptmann.
 
 
Thomas Widmann skizziert den Landeshauptmann als eine Art Diktator, der weder Kritik noch den Erfolg der anderen vertrage.
 
Arno Kompatscher führe das Gesundheitsressort sozusagen im Nebenjob, was Widmann als „anmaßend“ abkanzelt. Widmann selbst huldigt plötzlich der Nachhaltigkeit, gebärdet sich als Umweltschützer und versucht an einzelnen Beispielen aufzuzeigen, was Kompatscher alles kaputt gemacht habe. Für seine Argumentation bezieht sich Widmann immer wieder auf prominente Zeitzeugen aus der SVP. Von Franz Locher und Manfred Vallazza über Hubert Frasnelli bis hin zu Julia Unterberger kommen alle zum Handkuss.
Der scheidende SVP-Politiker bedient sich im Fernsehen dabei einer bewährten Methode, die auch Jörg Haiders Erfolgsrezept war. Er wiederholt an diesem Abend jedes Argument, jede Geschichte mindestens dreimal.
So bleibt die Botschaft bei der Seherin und beim Seher auf jeden Fall hängen.
 

Die abgewehrte Klage

 
Dabei hat dieses Interview auch eine Vorgeschichte.
Anfang des Jahres hat Thomas Widmann über die Anwaltskanzlei Brandstätter RAI-Chefredakteurin Heidy Kessler eine Schadenersatzklage über 250.000 Euro wegen „schwerwiegender übler Nachrede“ zukommen lassen. Gegenstand ist die Berichterstattung von RAI Südtirol über die sogenannte "Freunde-im-Edelweiss"-Affäre. Der langjährige SVP-Landesrat beanstandet in seiner Klageschrift die „markante Einseitigkeit in Berichterstattung und Kommentaren“.
Zentraler Punkt dabei: Ein Kommentar von Heidy Kessler, der am 29. März 2022 sowohl gesendet wurde als auch auf der Nachrichtenseite von RAI Südtirol erschienen ist. Darin fand sich auch der Satz, „dass sich Thomas Widmann und ..[…].. mit zweifelhaften Akteuren darüber austauschten, wie man den Landeshauptmann absetzen und einem Privatunternehmen Gewinne zuschanzen kann.“ 
 
 
 
Weil diese Behauptung so nicht standhält, hat man beim verpflichtenden Mediationsverfahren vor der Anwaltskammer eine einvernehmliche Lösung gefunden. Heidy Kessler sollte diese Aussage in einem eigenen Kommentar richtigstellen. Genau das hat die RAI-Chefredakteurin am 20. April im Äther und online auch gemacht.
Nach Informationen von Salto.bz stellte Thomas Widmann für den Rückzug oder die Nichteinreichung seiner Klage vor dem Landesgericht aber weitere Forderungen. Demnach könnte man die gestrige Fokus-Sendung auch in dieser Optik sehen.
Dem widerspricht Heidy Kessler. „Kollege Senfter, und nicht nur er, ist seit Monaten hinter einem Widmann-Interview her“, sagt die RAI-Chefredakteurin zu Salto, „und diese Sendung ist völlig unabhängig von der erzielten Einigung geplant worden“.
Aber auch wenn es anders sein sollte: Das Widmann-Interview von Hannes Senfter war und ist ein journalistischer "Scoop", den jeder Journalist und jede Journalistin gerne und sofort gemacht hätten.
 

Widmanns Zukunft

 
Besonders interessant waren am Dienstagabend aber die Antworten zu Thomas Widmanns politischer Zukunft. Ganz gleich, ob es um ein Antreten Widmanns mit einer eigenen Liste bei den Landtagswahlen ging oder um eine Berufung von außen als Bozner Vizebürgermeister, Widmann antwortete immer mit einer Standardformel: „Es ist noch zu früh, darüber zu reden“, sagte er dann.
Während nicht nur seine Partei mehr oder weniger die Landtagsliste vervollständigt hat und sich täglich Kandidatinnen und Kandidaten in Stellung bringen, tut Widmann so, als bleibe ihm noch ein halbes politisches Leben, um seine Vorstellungen umzusetzen.
Thomas Widmann hat sich mit diesem Auftritt alle Optionen offengelassen. Vor allem aber hat er mit diesem politischen Bekenntnis sein mögliches Wahlprogramm Zigtausenden Südtirolern und Südtirolerinnen wortgewandt nahelegen können. Er produzierte sich dabei geschickt als Anti-Kompatscher und als Leader der Partei der Unzufriedenen.
Thomas Widmann produzierte sich geschickt als Anti-Kompatscher und als Leader der Partei der Unzufriedenen.
Dass etwa ein Manfred Vallazza am Mittwoch auf RAI Südtirol offen sagt, dass er Widmanns Rundumschlag einiges abgewinnen könne, macht deutlich, dass die Saat des Afinger Großbauern bereits erste Früchte trägt. Geerntet wird bekanntlich im Herbst.
Thomas Widmann hat am Dienstag einen Stein in den Südtiroler Wählerteich geworfen. Es wird sich schon bald zeigen, wie groß die Wellen am Ende wirklich werden.