Gesellschaft | Verwaltung

"Die Selbstständigkeit genommen"

Volksanwältin Gabriele Morandell über die Schwierigkeiten älterer Menschen mit der Digitalisierung, der Verwaltung und die unterschiedliche Auslegung vieler Bestimmungen.
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Foto: Othmar Seehauser
Salto.bz: Frau Volksanwältin Morandell, einer der Kritikpunkte im Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft sind die Probleme, die ältere Menschen mit der Digitalisierung der Verwaltung haben. Wo genau hakt es?
 
Gabriele Morandell: Die Schwierigkeiten sind vielfältig, es fängt zum Beispiel schon in der Sanität an. Etwa mit den Arztrezepten oder den Resultaten der Blutproben, welche jetzt per E-Mail gesendet werden. Es gibt Senioren, die weder ein Smartphone, geschweige denn eine eigene E-Mail-Adresse haben. Dann folgen Schwierigkeiten mit dem SPID, wobei alte Menschen hier auf die Hilfe von Private oder Angehörige angewiesen sind. Die direkte Folge dieser Schwierigkeiten ist eine große Unzufriedenheit, weil der älteren Bevölkerung dadurch ihre Selbstständigkeit genommen wird. Immer wieder müssen diese Menschen jemanden suchen, der ihnen hilft. Aber sie wollen auch nicht ständig ihre Familien damit belasten.
 
Auch in Sachen Impfung läuft inzwischen alles digital. Auch dort dürften ältere Menschen vor Hindernissen gestanden haben?
 
Das wurde noch gut gelöst, da man sich an den eigenen Arzt wenden konnte und die Apotheken ihnen die Impf- und Covid-Test Zertifikate ausgedruckt haben. Man muss dabei bedenken, dass es eine Gruppe von Senioren gibt, die bereit sind zu lernen, aber es gibt immer noch eine große Gruppe, die sich der Technik verweigert, die sich nicht traut und auch schnell den Überblick verliert. Es ist nicht richtig diese Menschen auf der Strecke zu lassen. Man muss sie mit ins Boot holen und ihnen einen Weg ebnen, auf dem sie mit den Verwaltungen kommunizieren können.
Es ist nicht richtig diese Menschen auf der Strecke zu lassen. Man muss sie mit ins Boot holen und ihnen einen Weg ebnen, auf dem sie mit den Verwaltungen kommunizieren können.
 
Was können die öffentlichen Verwaltungen hier konkret tun?
 
Zum Beispiel sollte man die Möglichkeit schaffen, einen Tag in der Woche zur Verfügung zu stellen, wo man direkt persönlich hingehen kann, auch ohne SPID-Vormerkung. Eine mögliche Lösung sind auch die Gemeinden, welche den ersten Zugang für viele Menschen zu den Verwaltungen darstellen. Dort könnte man eine Hilfeleistung anbieten, um zum Beispiel den SPID zu aktivieren, ein Formular auszufüllen, oder eine Anfrage auszufüllen. Es gibt schon ein paar Projekte in die Richtung, die Gemeinde Bozen hat beispielsweise SPID-Points organisiert. So etwas könnte man landesweit machen.
 
Eine weitere Hürde, scheint auch die elektronische Identitätskarte zu sein, für dessen Ausstellung die Gemeinde Bozen jetzt die Geburtsurkunde verlangt?
 
Es ist ein Bescheid vom Ministerium gekommen, welches besagt, dass es nun eine Geburtsurkunde braucht. Dies könnte besonders für die älteren BürgerInnen ein Problem darstellen, welche in Österreich und Deutschland geboren wurden und erst nach 1948 wieder nach Südtirol zurückgekehrt sind. Ich habe aber gerade vorhin mit der Leiterin der Abteilung Demographische Dienste in der Gemeindeverwaltung von Bozen telefoniert und sie hat erklärt, dass das nicht so genau interpretiert wird, wie von uns im Bericht beschrieben wird. Speziell für die ältere Bevölkerung, hat sie mir gesagt, würden sie eine Ausnahme machen. Mal sehen, vielleicht machen sie diese ja wirklich.
 
 
Immer zum Thema Identitätskarte: Es hat einige Beschwerden gegeben, dass ein Elternteil eines minderjährigen Kindes die Zusage des anderen Elternteils braucht, um eine eigene Identitätskarte für Auslandsreisen zu bekommen.  Sprich, ein Vater braucht die Zusage der Mutter, um mit seiner Identitätskarte ins Ausland reisen zu können und umgekehrt?
 
Ja genau. Es handelt sich dabeium eine Interpretation des Innenministeriums, die besagt, dass bei zwei Elternteilen minderjähriger Kinder, damit die Identitätskarte des anderen für Grenzüberschreitungen gültig ist, auch der andere Elternteil zustimmen muss. Nicht alle Gemeinden wenden diese Regel aber an. In Südtirol ist es nur Bozen. Hier ist man kleinlich. Der Hintergrund dieser Bestimmung: Man will sicher stellen, dass keiner mit dieser Identitätskarte das Land verlassen kann, um sich möglicherweise vor Unterhaltszahlungen zu drücken.
Was verwunderlich ist, in einige Gemeinden wird diese Bestimmung angewendet und in anderen überhaupt nicht.
Diese Information steht jedoch nur auf der Seite des Innenministeriums, es gibt also kein offizielles Rundschreiben oder sonstiges dazu. Zudem, immer Laut der Seite des Innenministeriums, sollte einer doch mit der Identitätskarte ausreisen wollen, muss er zum Vormundschaftsrichter gehen und dort einen Antrag stellen. Das finde ich sehr übertrieben. Was verwunderlich ist, in einige Gemeinden wird diese Bestimmung angewendet und in anderen überhaupt nicht. Bei geschiedenen Paaren ist die Anerkennung der Rechte oft bereits dokumentiert. Wenn die Eltern aber getrennt leben, nie geheiratet haben oder sonstiges, dann ist man auf die Unterschrift des anderen angewiesen. Dies wird vor allem dann ein Problem sein, wenn sich die beiden Elternteile streiten.
 
Wie agieren sie als Volksanwältin in diesen Fällen?
 
Bei diesem Problem habe ich ein Schreiben ans Innenministerium geschickt und eine Klärung beantragt. Es kann doch nicht sein, dass das in ganz Italien unterschiedlich gehandhabt wird. In einer Gemeinde wird diese Bestimmung angewandt, in einer anderen nicht. Ich suche immer einen Austausch mit den Verwaltungen. Ich hatte ein Gespräch mit der Verantwortlichen des Meldeamtes in Bozen, die mir erklärt hat, dass sie das so machen muss, da es sich um eine Vorgabe handelt und sie sonst Probleme bekommen könnte. Die Kommunikation fängt immer mit den Behörden an, wir telefonieren, schreiben ihnen und treffen uns mit den Verantwortlichen. Wir versuchen immer Fürsprecher für die Anliegen der Bürger zu sein, um Klarheit und einheitliche Regelungen zu finden.