Meine Sprache - für andere

Mia Pollinger ist dieses Jahr 70 geworden und unterrichtet deutsch im Bozner Gefängnis. Ihre Sprachbiographie ist ebenso spannend wie ihr Sprachunterricht.
8_auf_dem_steig_zum_fischersee.jpeg
Foto: © Oswald Stimpfl

„Ich bin wie eine Schauspielerin, ich will, dass sie auf mich schauen." Diesen Satz sagt Mia Pollinger irgendwann im Laufe des Gesprächs, aber eigentlich gehört er an den Anfang. Denn die kleine, rührige 70-Jährige, geboren in München, aufgewachsen in Vorarlberg und mit zehn Jahren nach Bozen übersiedelt, fällt ins Auge. Energisch, mit hoch erhobenem Kopf kommt sie daher, immer ein Lächeln auf den Lippen, stets interessiert für Mensch – und Tier. Hugo, ihr kleiner Yorkshire-Terrier, ein treuer Begleiter. „Das Haarbandl mag er eigentlich nicht, er will, dass es herunter geht“, lacht Pollinger. Die, die auf sie schauen sollen, das sind ihre Schüler, zuletzt jene, im Bozner Gefängnis. Um ihre Pension aufzubessern tut sie es nicht, "es ist eine Leidenschaft, die mich antreibt", sagt sie.

Unterrichten heißt überrascht werden
Aufmerksamkeit möchte Pollinger für ihren Unterricht, "ich schaue immer wie viel biete ich an, wie viel halte ich zurück. Zu viel ist nicht gut." Im April 2013 ist Mia Pollinger auf der Sprachvermittlungsreise ihres Lebens im Gefängnis gelandet. Als Vertreterin für eine erkrankte Kollegin von Alpha Beta, ausgestattet mit der Erlaubnis des Römischen Ministeriums: „Es ist nicht so einfach ins Gefängnis hinein zu kommen für Leute, die nichts angestellt haben“, schmunzelt sie. Das Fach Deutsch bietet Pollinger im Gefängnis innerhalb des 150-Stundenkurses für den Mittelschulabschluss an oder im Rahmen des Berufsschulkurses für Kochcommis. Sprachen begleiten sie ihr Leben lang: „In Vorarlberg bin ich mit drei Sprachen groß geworden: Dem Südtiroler Dialekt meiner Eltern, dem Vorarlbergerisch der Kinder und dem Sudetendeutsch, das auch in der Südtiroler Siedlung gesprochen wurde, in der wir gewohnt haben.“ Hin und her switchen, das gehörte dazu. Andocken um mit zu machen, um dabei zu sein, um zu verstehen. Mit zehn Jahren übersiedelt das Mädchen mit ihrer Mutter nach Bozen, „mein Stiefvater war Italiener und er hatte vier Töchter. Am Anfang hab ich kein Wort verstanden. Nach drei Monaten war ich perfekt doppelsprachig, das war Immersion pur.“

Beziehung ist wesentlich
Im Bozner Gefängnis sind momentan Schulferien, im Herbst jedoch packt die Sprachwissenschaftlerin und Lehrerin aus Passion ihren kleinen Koffer und zieht damit wieder ins Gefängnis, drei mal pro Woche für jeweils drei Stunden. „Nur mit einem Buch zu unterrichten, das geht nicht. Ich bereite mich sehr intensiv auf den Unterricht vor, das ist mir sehr wichtig, aber was dann in der Klasse passiert, das kann man nie wissen. Es ist immer eine Überraschung und gerade das, ist das Spannende.“ Auf Respekt legt die Spracherfahrene sehr viel wert - wenn Sprachvermittlung gelingen soll ist Beziehung das Um und Auf, sagt sie. „Ich frage die Schüler im Gefängnis nicht, was sie gemacht haben. Ich behandle sie ganz normal und spreche sie per Sie an. Das ist etwas, was sie sehr schätzen, denn das macht sonst fast niemand.“ Eine Lernerfahrung für die Menschen im Gefängnis, auch für später, für den Schritt nach draußen.

Sprache lernen bunt gemixt
Von Albanern über Senegalsen, bis hin zum deutschsprachigen Südtiroler, der seinen Zweisprachigkeitsnachweis C machen will - bei Pollinger sind sehr unterschiedliche Schüler zusammengewürfelt. Neben dem Faktor Nation, variiert auch der Bildungsgrad oder das Alter der Schüler, „Ingenieure sitzen oft neben Männern, die nur drei Jahre ihres Lebens auf der Schulbank gesessen sind“, erzählt die Deutschlehrerin. Natürlich, manchmal kribbelt es auch, „es gibt schon Spannungen unter ihnen, das merke ich, aber sie reißen sich dann zusammen, denn sie wollen bei mir ja deutsch lernen und dafür sind sie dankbar.“ Das Alter gereicht Pollinger in diesem Kontext zum Vorteil „ich genieße Respekt, gerade wegen meines Alters. Unsere Schule schickt bewusst keine jungen Lehrerinnen ins Gefängnis.“

Selbständig werden
Acht Schüler pro Klasse, untergebracht in kleinen, engen und finsteren Räumen, die alte Struktur des Gefängnis sei nicht gerade zeitgemäß, sagt Pollinger. „Dafür ist die Stimmung umso besser, die Direktorin ist sehr wertschätzend und pflegt einen guten Umgang miteinander." Sprache vermittelt Pollinger über Inhalte, gelehrt wird das, was die Menschen gerade brauchen. Im Gefängnis zum Beispiel ist es die Vorstellung bei einem Arbeitsgespräch, der ganz normalen Behördengang, der Arztbesuch „sie sollen ein Formular ausfüllen können, sie sollen von ihrer Situation erzählen können, sie sollen selbständig werden.“

Sprache öffnet Türen, das hat Pollinger früh erfahren: „Als ich kein Italienisch konnte, da wurde ich oft von meinen Stiefschwestern verspottet. Ich bin dann in der Nacht wach gelegen und hab mit meinem Mund Laute geformt. Immer wieder hab ich Worte ausgesprochen, die für mich ja keinen Sinn ergeben haben – und plötzlich konnte ich es.“ Diese Erfolgserlebnisse wünscht Mia ihren Schülern auch „sie müssen raus aus der sprachlichen Isolation, das ist wie ein Befreiuungsschlag. Das war es auch für mich.“