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Innsbrucker Balkensturz

In Innsbruck scheiden sich die Geister aufgrund der neuen künstlerischen Intervention für das Landhaus. Der Wettbewerb dazu war etwas mau. Nun hagelt es Proteste.
IBK
Foto: Wikipedia

„Für eines möchten wir uns an dieser Stelle dezidiert entschuldigen: Dass die drei erstgereihten Künstlerinnen mit ihren Projekten in der Presseaussendung des Landes nicht genannt wurden, ist ein nicht beabsichtigtes Versäumnis, das wir umgehend mit der Veröffentlichung der Siegerprojekte auf der Homepage des Landes korrigiert haben.“ Mit dieser fadenscheinigen Entschuldigung endet eine recht luftig formulierte Mitteilung der Tiroler Kulturlandesrätin Beate Palfrader, die sie vor wenigen Tagen den Wettbewerbsteilnehmenden zur künstlerischen Intervention am Landhaus in Innsbruck zukommen hat lassen. Der Rest des Schreibens ist eine kleine Anhäufung an Rechtfertigungen, kann aber auch als Ablenkung vom eigentlichen Problem gelesen werden. Die Vorgeschichte des leicht missglückten Wettbewerbs reicht in die Zeit des Nationalsozialismus zurück, als 1938/39 die in Innsbruck stark vertretenen Nationalsozialisten eine umfassende Landhauserweiterung in die Wege leiteten – Gauleiter Hofer bezog sein Büro im ersten Stock. Die Deckenbalken seines Büros sollen nun zu neuen Ehren kommen.


80 Jahre nach den Baumaßnahmen unter den Nazis, im Sommer 2019, nahm sich eine von der Tiroler Landesregierung beauftragte Expertenkommission der Aufarbeitung der Landhaus-Geschichte an. Bereits ein Jahr zuvor brachte die Sonderausstellung „Zwischen Ideologie, Anpassung und Verfolgung. Kunst und Nationalsozialismus in Tirol“ im Landesmuseum Ferdinandeum manches ans Tageslicht, was über Jahrzehnte Tabuthema gewesen war. Die Ausstellung widmete sich auch dem Innsbrucker Landhausbau und gab fundierten Einblick in Bauphasen und zur politischen Einflussnahme. Im August des vergangenen Jahres wurde, sozusagen als Sahnehäubchen der Landhaus-Aufarbeitung, ein Wettbewerb für Erinnerungskultur ausgeschrieben. Gesucht wurde nach einem künstlerischen Eingriff an der Gebäudefront oder im Eingangsbereich. Der Teilnehmerkreis für die zweite Wettbewerbsstufe setzte sich aus fünf geladenen sowie fünf KünstlerInnen bzw. interdisziplinären Teams aus einem vorher durchgeführten Bewerbungsverfahren der ersten Wettbewerbsstufe zusammen. Am Ende konnte sich bzgl. Umsetzung die geladene Teilnehmerin Ramesch Daha samt Architekturkollektiv AKT – von der Jury lediglich mit dem zweiten Platz bedacht – mit ihrem Projekt Balkensturz freuen, bei welchem 21 Deckenbalken – mit „ins Holz geschnitzten Ornamenten und nach dem Krieg abgeschliffenen NS-Symbole aus dem sogenannten Hofer-Zimmer,“ (welches nach dem Tiroler „Gauleiter“ Franz Hofer benannt ist) – symbolisch aus dem Fenster geworfen werden. Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass das Projekt der Präsidentin der Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession Ramesch Daha umgesetzt werden soll. Eine Überraschung? Der von der Jury einstimmig auf Platz eins gereihte und eigentliche Sieger Franz Wassermann darf hingegen sein Projekt Wir haften für unsere Geschichte nicht verwirklichen. Jedenfalls nicht am Landhaus. Wassermanns gesellschaftskritische Kunst hat der Politik seit jeher missfallen. So ist durchaus anzunehmen, dass aus diesem Grund das zweitgereihte Projekt zur Ausführung kommt. 

Was ist los in Tirol? Konkret werden unerwünscht? Textinstallationen nicht willkommen? Jury-Entscheidungen egal?
[Gerhard Ruiss]

„Dass meine Intervention nicht an dem vorgeschlagenen Platz stattfindet ist nicht haltbar, da bei der Begehung dezidiert darauf hingewiesen wurde, dass jeder Ort im und am Gebäude erlaubt ist solange der Denkmalschutz eingehalten wird!“ argumentiert der Künstler sichtlich verärgert und geht seit dem Bekanntwerden zur neuen Umsetzung auf die Barrikaden. Und er bekommt Rückendeckung. Nicht nur von der Tiroler Künstlerschaft, von zahlreichen anderen WettbewerbsteilnehmerInnen, sondern auch von der Literaturvereinigung IG Autorinnen Autoren in Wien: „Was ist los in Tirol? Konkret werden unerwünscht? Textinstallationen nicht willkommen? Jury-Entscheidungen egal?“ schreibt Gerhard Ruiss: „Die Tiroler Politik hat entscheiden lassen und da ihr die Entscheidung ganz offensichtlich nicht passt, hat sie die Entscheidung korrigiert.“
Palfrader beschwichtigt und verweist auf die Wettbewerbskriterien, aus denen klar hervorgehe, „dass die Künstlerinnen, die am Wettbewerb teilnehmen, keinen Anspruch auf tatsächliche Ausführung ihres Entwurfs erwerben und sich der Auslober letztlich die Entscheidung vorbehält.“ Zudem stelle das Projekt Balkensturz „den direkten Konnex zum Haus und somit einen Bezug auf die konkrete Geschichte der Örtlichkeit her, die man in Form einer Kontextualisierung im Umkreis des Kunstwerks auch erläutern kann.“ 


Wird der Innsbrucker Balkensturz bereits vor seiner Realisierung zum Bumerang? Stille Hilfe und breites Wissen in Sachen Erinnerungskultur und Kontextualisierung an faschistischen Gebäuden könnte die Tiroler Politik in Hinkunft mitunter direkt aus Bozen beziehen – die dort umgesetzten zeitgenössischen Interventionen am Siegesdenkmal oder am Piffrader-Relief genießen europäischen Ruf. Umgekehrt könnte das Land Tirol in Sachen Wettbewerbsmöglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler im öffentlichen Raum Südtirols etwas Schützenhilfe leisten.


In Südtirol wurde erst im Oktober 2021 der von den Grünen und großen Teilen der Künstlerschaft geforderte Entwurf, bei öffentlichen Bauten künftig verpflichtend 1% für Kunst zu investieren, niedergestimmt. Die Ablehnung seitens der Mehrheit zeigte, welchen Stellenwert Kultur für die Landesregierung hat. Aufschrei gab es keinen.
Die Künstlerinnen und Künstler des Innsbrucker Landhaus-Wettbewerbs wollen jedenfalls nun Kulturlandesrätin Beate Palfrader zur undurchsichtigen Umsetzungs-Entscheidung ein gemeinsam erstelltes Statement zukommen lassen. Vielleicht schon morgen, an ihrem Geburtstag. Allen: Alles Gute!