Kultur | Poetry Slam

Morgenstern-Trophy geht an Haris Kovacevic

Wortpoetinnen und Satzakrobaten trafen sich am Sonntag, 7.9. auf Schloss Pienzenau, um den Poetry-Slam-König bzw. Königin der Südtiroler Szene zu ermitteln.

Das Finale auf Schloss Pienzenau war heiß erwartet. Nach den Vorrunden im Brunecker UFO, dem Sudwerk in Bozen oder dem Café Vis-a-Vis in Brixen wollten Slammer und Nicht-Slammer wissen, wer in diesem Jahr mit zündendem Text und ausdrucksstarkem Vortrag den Morgenstern-Preis mit nach Hause nehmen darf. In den Vorjahren waren es Lene Morgenstern aus Bozen und Arno Dejaco aus Brixen, die sich die Trophäe für ein Jahr ins Regal stellen durften, in diesem Jahr ist es wieder einer, der seit geraumer Zeit in der Slam-Szene von sich reden macht: Haris Kovacevic, 23-jähriger Germanistikstudent in Innsbruck, den salto.bz bereits vor einiger Zeit porträtiert hatte. Mit seinem Text  "Rote Ampel", einem laut Slam-Veranstalter Martin Hanni "lustig-bösen Kindererziehungstext und den bitteren Aufzeichnungen eines Lehramtsstudierenden" verwies Kovacevic den Münchner Markus Berg auf Platz 2 und Michael Denzer auf Platz 3. 

Der Sieger der 5. Morgenstern-Landesmeisterschaft im Poetry Slam heißt Haris Kovacevic.

Zu den 12 Finalisten zählten außerdem altbekannte Slammer wie Wolfgang Nöckler, Dominik Bartels oder Michael Denzer, auch Marion von Zieglauer lautmalt seit einer Weile, dazu junge neue Talente wie Anna Gius, Markus Berg, Johannes Kofler, Siria Mosconi, Emily Kuen, Nico Platter, Lisa Marie Pichler. 4 Stunden dauerte das Morgenstern-Finale in Meran, moderiert von Lene Morgenstern. Veranstaltet wurde die diesjährige Ausgabe von der Literaturplattform LIPO, ein Online-Portal das von Carla Thuile, Markus Windegger, Sophie Jochberger und Johanna Ortner ins Leben gerufen wurde, um junge Leute, die schreiben wollen, zu unterstützen. Übernommen wurde die Morgenstern-Trophy von den beiden Liebhabern des spontanen Gedichtvortrags Martin Hanni und Thomas Rainer, die den Wanderpokal erfanden.

Haris Kovacevics Slammer-Karriere hat sich entwickelt, im Oktober wird er an der Österreichischen Staatsmeisterschaft im Poetry Slam in Graz, dem sogenannten Ö-Slam teilnehmen, bald darauf auch an der Deutschen Meisterschaft in Dresden. "Was das Schreiben angeht und auch was das Vortragen angeht, bin ich erfahrener geworden," sagt uns Kovacevic in einem kurzen Telefonat aus Innsbruck. "Ich habe herausgefunden, wie ich meine Themen anpacken soll und wie ich meine Gedanken am besten zu Papier bringe. Und so ist auch der Text entstanden, der nun gewonnen hat."

Freundlicherweise hat uns Haris Kovacevic seinen Siegertext zur Verfügung gestellt. Wir veröffentlichen einen Auszug daraus.

Rote Ampel (?)

Es gibt da so Tage, an denen ich mich fühl, als würde ich als Linkshänder mit Rechts zu schreiben versuchen. Es geht dabei aber nicht nur ums Schreiben. Tage, an denen ich glaube: wenn ich einen Hund hätte, würde er heute überfahren werden, höchstwahrscheinlich von mir selber. Heute ist so ein Tag. Ich sitze in der Uni bei einem Lehramtskurs und fühle mich wie ein nasser Teebeutel. Am Abend zuvor saß ich mit Christian, einem guten Freund, in einer Bar. In der allgemeinen Suffstimmung, stellte er mir ein Rätsel, das ihn schon seit einer Weile beschäftigt. Er studiert Film- und Theaterwissenschaften, hat daher genug Zeit, sich irgendwelche Rätsel aus dem weltweiten Netz zu extrahieren und sich mit ihnen schlaflose Nächte zu bereiten. Man hat neun Goldkugeln. Eine der Kugeln ist aber falsch. Nicht aus Gold, daher leichter. Man darf zwei Mal mit einer Balkenwaage wiegen und muss herausfinden, welche der  neun Kugeln die Falsche ist.

Jetzt sitze ich in der Uni, etwas verkatert und das Rätsel geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Vorne sitzt eine Frau, die offensichtlich ein starkes Alkoholproblem hat und hält uns einen Vortrag über die neue kompetenzenorientierte Zentralmatura. Der Unterricht würde sich in Zukunft für uns Lehrer grundlegend ändern. Eigentlich, so meinte sie, müssen wir als Lehrpersonen nichts mehr wissen, sondern nur als Stütze für Schülerinnen und Schüler herhalten.          Wieso bin ich dann überhaupt hier? denk ich mir nach solchen Aussagen immer. Muss ich hier überhaupt was lernen?         Und was mach ich mit der neunten Kugel, wenn ich versuche, den Kugelhaufen einfach in zwei Hälften zu teilen? Und Wieso studiere ich überhaupt auf Lehramt?! Welcher Teufel hat mich geritten dieses beschissene Studium anzufangen?! Einst dacht ich mir, mit einem Lehramtsstudium stünden einem alle Türen offen. Schließlich hatten SIE ALLE ja auf Lehramt studiert: (an dieser Stelle sollte eine Liste von bedeutenden Menschen stehen, die ehemalige Lehramtsstudenten sind. Es gibt aber niemanden, der auf Lehramt studiert hat und es zu etwas gebracht hat).

Diese besoffene, dicke Frau da vorne, benutzte ständig Fremdwörter, oder sie verwendete so etwas, das man Jugendsprache nennt. Für mich repräsentierte sie die Phalanx der Dummheit, die mich bei ILS regelmäßig umzingelt. Jeder Versuch einer intelligenten Aussage scheitert, wie ein Furz in einem Tornado. Die Schüler der Zukunft wären mit der neuen Unterrichtsmethode auch zufrieden (die Schüler der Zukunft!!): sie biete ihnen Selbständigkeit und Freiheit. Und Freiheit ist ja zur Zeit voll Hip. Ich verstand die meisten Aussagen von ihr nicht, die anderen auch nicht. Niemand wollte nachfragen. Falls die Schüler mal „auf rote Ampel“ machen sollten, (auf Rote Ampel!!) so solle man sich ihnen individuell zuwenden und neue Methoden ausprobieren, das werden die Schüler sicher zu schätzen wissen. 

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copyright Text Rote Ampel: Haris Kovacevic