Triebe, Tod und Teufel
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Zugegeben, man versteht nicht immer jedes Wort. Die Verse sind rund 150 Jahre alt, damals sprach man anders. Viele der Schauspieler stehen zum ersten mal seit acht Jahren oder zum ersten mal überhaupt auf der Bühne. Aber darum geht es heute nicht. Es ist kein professionelles Theater, wir sind beim Nikolausspiel in Prags. Und das ist allein wegen seiner Geschichte sehenswert.
Der Text des Spiels soll um das Jahr 1700 verfasst worden sein, Autor ist keiner bekannt. Die älteste erhaltene Handschrift stammt aus dem Jahr 1794. Um das Jahr 1850 überarbeitete der Sohn des Hufschmiedes von Schmieden, der Kapuzinerpater Emmerich Hofer, das Spiel. 1922 fertigte die Bäuerin Maria Taschler eine Handschrift der mehr als 1.500 Verse an, nach diesem Heft, das traditionsgemäß der Spielleiter aufbewahrt, wird bis heute gespielt.
Die Story ist klar: Gut gegen Böse. Hell gegen Dunkel. Der Nikolaus gegen den Teufel.
Und so finden wir uns im vollbesetzten Vereinshaus von Schmieden ein und warten auf die elf Szenen, die uns vor der Kulisse einer Bauernstube geboten werden.
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Der Klaubauf und der Nikolaus
Der Kehraus, der Tambour und der Kurier auf dem schiffrigen (ungeschickten) Esel kündigen das Spiel an, und schon bald betritt der Nikolaus die Bühne und besucht eine Familie. Der Klaubauf (das alte Wort für den Krampus) sagt dem Nikolaus, die Kinder machen kein Kreuzzeichen, wenn sie zu Tisch gehen. Er solle sie in Ketten legen! Die Kinder geloben Besserung und werden vom Nikolaus beschenkt.
Die Schauspieler reden das Hochdeutsch von vor 150 Jahren, es gibt nur einige kurze Sätze im Dialekt. So gibt es der Text vor. Es ist dann auch nicht immer einfach, den teils langen Monologen zu folgen, in einer antiquierten Sprache und manchmal etwas dahingenuschelt.
Aber die Story ist klar: Gut gegen Böse. Hell gegen Dunkel. Der Nikolaus gegen den Teufel. Belohnung und Bestrafung.
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Jux und Moral
Das Nikolausspiel ist eine Art gespielte Predigt. Die Menschen sollen vor gottlosem Leben, dem nahen Tod, vor Teufel und Hölle gewarnt werden. Sie sollen aber auch sehen, dass Gott jenen hilft, die Reue zeigen und ihr Leben ändern. Immer wieder erklingt ein „Gelobt sei Jesus Christus“ und weitere Satzfetzen aus dem Gottesdienst. Manchmal geht es derb zu und es darf auch gelacht werden.
Die Nikolausspiele wurden ursprünglich wohl von kirchlicher Seite initiiert. Der Sammler Karl Wohlgemuth, zu ihm später mehr, war der Ansicht, dass das Spiel im frühen 18. Jahrhundert von Knappen aus dem Inntal ins Pragsertal gebracht worden war.
Als man im 19. Jahrhundert das Spiel mancherorts ins Freie verlegte, entwickelten sich aus diesem Schritt wohl die heute bekannten Krampusläufe, vermutet die Volkskundlerin Herlinde Menardi.
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Alle Jubeljahre
Regelmäßige Aufführungen gibt es nicht. Wir wissen, dass die letzte Aufführung vor dem Krieg wohl 1880 war. Nach rund vierzigjähriger Pause wurde das Nikolausspiel 1922 und 1923 wieder aufgeführt.
Es war nicht selbstverständlich, dass das Spiel die Kriegswirren überstanden hatte. Denn in dieser Zeit wurden Kostüme, Larven und Requisiten auf die Pragser Höfe verteilt. „Mein Großvater Johann und zwei Knechte haben auf einem Pragser Hof eine Truhe mit alten Requisiten gefunden und sich an das Spiel erinnert“, erzählt der heutige Spielleiter Walter Lercher. „Sie haben den letzten übriggebliebenen Spieler finden können, mit ihm das Nikolausspiel rekonstruiert und neu aufgeführt.“
Auch die Option überstand das Schauspiel und nun wanderte das „Nigglasspiel“ von den Bauernstuben in die Gasthäuser und schließlich 1990 ins Vereinshaus.
In der Zeit des Faschismus waren die Texte und Lieder des Spiels der Zensur unterworfen. Im Jahr 1940 wurden im Zuge der Aktion „Deutsches Ahnenerbe“ in Bad Altprags Bild- und Tonaufnahmen hergestellt.
Auch die Option überstand das Schauspiel und nun wanderte das „Nigglasspiel“ von den Bauernstuben in die Gasthäuser und schließlich 1990 ins Vereinshaus. Zuvor zogen die Spieler von Hof zu Hof, die Vorläufer kündigten die Szenen an und zogen zur nächsten Bauernfamilie weiter. So wurde das Nikolausspiel an einem Tag an mehreren Höfen aufgeführt.
Die bisher letzten Aufführungen gab es 1990, 2003, 2012 und 2017. Alle paar Jahre treffen sich die vier Leiter und schauen erst mal, ob sie genug Schauspieler finden. Danach kommt die Maschinerie langsam in Gang.
Auch der Autor dieser Zeilen fragt seit einiger Zeit alljährlich nach, wann es denn wieder soweit sein wird. Am 17. Juli 2024 kam dann die erlösende Mitteilung, „Das nächste Nikolausspiel von Prags findet 2025 statt. Wir haben es diese Woche so beschlossen.“
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Ein buntes Treiben
Wieder der Nikolaus. Beelzebub und Klaubauf. Allerlei Teufel gegen allerlei Engel, einmal Jesus, oder ist es sein Vater? Der Höllenfürst Luzifer mit Plateauschuhen, einen Kopf größer als alle anderen. Er und Beelzebub auf der einen Seite und der Engel auf der anderen streiten um die Weiße Seele.
Die Bettlerkomödie wird – überraschend gut! – gesungen. Sie betteln den Nikolaus an, bekommen Geld und versaufen es, obwohl der Nikolaus sie gewarnt hatte. Zwei Spielleute treten auf, dann streitende Hirten. Ein Teufel jammert, dass er wegen eines kleinen Vergehens ewig in der Hölle brennen muss. „Quäl’ er ewig die verdammten Seelen.“
Ein Spieler will sich vom Teufel helfen lassen. Er unterschreibt leichtsinnig den Pakt und wird sofort vom Höllenfürsten geholt. Ein Betrunkener im Gasthaus. Sein Bruder sieht ihn dort und sie streiten. „Du versäufst alles!“ Auch hier erscheinen ein Teufel und ein Engel als Gegenspieler. Schließlich hat der Tod in weißem Gewand seinen großen Auftritt.
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Hinter der Larve versteckt
Die Masken, die sie tragen, oder besser gesagt die Larven (die Maske bezeichnet das komplette Kostüm) sind nicht mehr die originalen, die werden heute im Stadtmuseum Bozen ausgestellt. Der Sammler Karl Wohlgemuth hatte sie irgendwann nach dem Krieg gesammelt und dem Museumsverein Bozen verkauft. Ebenso den Umhang des Kehraus, ein mit Teufeln und Schlangen geschmücktes rotes Kleid aus Leinen, als Schellen dienten Schneckenhäuser und Nussschalen. Im Tal schnitzte man dann nach den Vorbildern neue Larven.
Der Unterwelt verpflichtet, aber noch nicht Teufel, ist er auf der Welt, um die Seelen zu suchen und in die Hölle zu führen.
Die eindrücklichste Figur – abseits der prächtigen Larven – ist wohl der Verstellte. Der Unterwelt verpflichtet, aber noch nicht Teufel, ist er auf der Welt, um die Seelen zu suchen und in die Hölle zu führen. Das Gesicht halb rot und halb schwarz, mal als Jäger, mal im gelb-schwarzen Gewand, auch dieses vertikal geteilt. In der Hand hält er einen schwarz-roten Garn, ein Zeichen, dass er zur Hölle gehört. Mit dem Teufelsgarn zieht er die Leute in die Hölle.
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Viel Tradition
Die Rollen bleiben in der Familie. Wenn der Vater nicht mehr will, haben die Söhne das Vorrecht. Erst wenn sie ablehnen, werden andere gefragt. So auch die Rolle des Spielleiters, die die Lerchers in dritter Generation innehaben und die Walter heuer zum ersten mal ausübt. Die ersten Aufführungen nach dem Krieg leitete sein Großvater Johann, von 1963 bis 2017 führte sein Vater Josef Regie.
Die Rolle der Frauen beschränkt sich aufs Nähen, Bügeln, Kochen und Schminken.
Früher war es einfacher, genügend Schauspieler zu finden, sagt Lercher. Es gab größere und stabilere Haushalte. Denn es sind 42 Rollen zu besetzen. Dabei hat ganz Prags nur rund 690 Einwohner. Zieht man die zu alten und zu jungen ab, jene, die partout nicht wollen, und schließlich die Frauen, bleiben nicht viele übrig. Vor allem die Sängerrollen sind schwer zu besetzen. Dafür dürfen alle mitmachen, Erwachsene und Halbwüchsige, Verheiratete und Ledige, Hofbesitzer, Hoferben, Weichende und Knechte, Jäger und Wilderer.
Die Frauen zu fragen, so weit ist man noch nicht. Die Rolle der Frauen beschränkt sich aufs Nähen, Bügeln, Kochen und Schminken. Ob sich das irgendwann ändert? „Eher nicht“, sagt Spielleiter Walter Lercher. Das war schon immer so. Und ein paar würden vehement darauf bestehen. Dabei würde das bedeuten, dass die Ära der Lerchers als Spielleiter endet, hat Walter doch nur Töchter.
Aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja noch.
Denken wir nicht dran, genießen wir lieber das Spiel. In der letzten Szene wird ein Pilger von einem Verstellten verleitet, aber dann doch gerettet. Allerlei Teufel stehen auf der Bühne und bereiten dem Spektakel einen würdigen Abschluss.
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Weitere Aufführungen im Vereinshaus von Schmieden/Prags:
13. Dezember 20 Uhr
14. Dezember 14.30 UhrPlatzreservierung: Tourismusverein Prags, 0474 748 660, [email protected]
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