Kultur | Ausstellungskritik

Wilde Beschimpfungen

Während die aktuell von Günther Oberhollenzer kuratierte Ausstellung in Bozen noch mediale Aufmerksamkeit benötigt, gehen die Wogen im Künstlerhaus in Wien hoch.
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Foto: Privat
  • „Ein bisschen war all das erwartbar, aber definitiv nicht gewollt“, meldet sich Günther Oberhollenzer aus Wien zur Nachfrage von SALTO rund um die medialen und hochheiligen Aufschreie im Zuge der von ihm kuratierten Ausstellung im Wiener Künstlerhaus DU SOLLST DIR EIN BILD MACHEN. Die Schau (SALTO hat dazu bereits berichtet) geht sehr achtsam und respektvoll mit dem Thema Religion und Kirche um, sie kontextualisiert sogar die gezeigten Arbeiten, Werk für Werk – auch jenes des bereits im Bozner Museion geschassten Kippenberger-Frosches. Doch was rechten Parteien und überempfindlichen Katholikinnen und Katholiken nicht in ihr enges Weltbild passt, wird verunglimpft. Dabei wäre es durchaus angebrachter, wenn die katholischen Talibane den Dreck in den eigenen Kirchenreihen aufarbeiten.
     

    Am Montag gab es ein Sühnegebet am Vorplatz.

  • Besuch aus Bozen: Direktor des Museion Bozen Bart van der Heide zu Gast in der Ausstellung vor wenigen Wochen. Foto: Privat

    Kippenbergers Frosch hängt neben weiteren 41 Arbeiten in Oberhollenzers Schau. Auch einige Kunstwerke von Künstlerinnen und Künstlern aus Südtirol sind dabei. „Die Ausstellung lässt Besucherinnen und Besucher nicht allein. Wir haben ein sehr engagiertes Kunstvermittlungsprogramm und schöne Rahmenveranstaltungen.“ Dass es aber zu einer derart heftigen Kritik an Oberhollenzers Ausstellung kommen wird, ist für den Kurator doch „überraschend“, auch das Ausmaß. Schließlich sei man doch in Wien. Nicht in der Provinz.

    „Die Ausstellung wird derzeit massiv von rechtskonservativen bis rechtsextremen christlichen wie politischen Kreisen angegriffen – auf deren Onlineplattformen oder Social-Media-Kanälen“, erzählt er, „es wurde auch eine Unterschriftenpetition gestartet mit der Aufforderung, die Ausstellung zu schließen, und am Montag gab es ein Sühnegebet am Vorplatz.“ Das erinnert stark an das Jahr 2008 in Bozen, als auch vor dem Museion gebetet wurde, die damalige Kulturlandesrätin nicht mehr weiter wusste und die Medien wissen ließ: „Ich hätte mir von den Fachleuten des Museion mehr Engagement – vor allem in der Informationsarbeit – erwartet“, so Sabina Kasslatter Mur damals. Und: „Südtirol ist nicht New York und Fronleichnam ist in Tirol ein besonderer Tag im Kirchenjahr“.
     

    Besuchermäßig ist sie schon jetzt die erfolgreichste Ausstellung seit Wiedereinzug ins Künstlerhaus 2020.


    Mit großem Interesse habe er vor nunmehr siebzehn Jahren „die hitzig geführte Blasphemie-Debatte rund um das Kunstwerk Fred the Frog Rings the Bell (1990) von Martin Kippenberger im Museion in Bozen mitverfolgt“, erinnerte Oberhollenzer im Interview mit SALTO vor wenigen Wochen. Und nun? „Wir kriegen viele dutzende Mails mit unchristlichen Beschimpfungen“, sagt er. Dabei nahm die Ausstellung Ende Oktober einen eigentlich protestfreien Beginn.

  • Sich ein Bild machen: Neben Arbeiten von Marina Abramović, VALIE EXPORT, Hermann Nitsch, Arnulf Rainer oder eben Martin Kippenberger, sind auch einige Arbeiten von Südtiroler Künstlerinnen und Künstler zu sehen. Etwa von Aron Demetz (im Bild mit Günther Oberhollenzer), Paul Sebastian Feichter, Siggi Hofer, Sissa Micheli, Sylvie Riant und Thomas Sterna. Foto: Privat
  • Einen guten Monat lang – die Ausstellung wurde am 22. Oktober vor insgesamt 900 Besucherinnen und Besuchern eröffnet – gab es „nur wohlwollende Rückmeldungen“, so Oberhollenzer, alle großen Medien wie die ZiB1 im ORF, Ö1-Mittagsjournal, Presse, Kurier, Standard, Krone haben berichtet, und „alle waren positiv bis sehr positiv – mit höchstens ein paar kritischen Anmerkungen“. Auch die Kirchenzeitungen von Wien und Linz fanden die Ausstellung ausgewogen und stimmig, und der ansonsten „sehr kritische Falter“ kommentierte „teuflisch gut“. Der österreichische Künstler und Kunstvermittler und seit 2017 Diözesanbischof von Innsbruck, Hermann Glettler, sprach sogar „eine Empfehlung aus, die Ausstellung anzusehen“, auch Dompfarrer Toni Faber widmete der Schau einen Kommentar in der Zeitung Kurier. 

    Günther Oberhollenzer absolvierte auch „unzählige Führungen und Gespräche in der Ausstellung mit zahlreichen jungen Menschen, Theologinnen und Theologen, Geistlichen oder Museumsleuten. Besuchermäßig ist sie schon jetzt die erfolgreichste Ausstellung seit Wiedereinzug ins Künstlerhaus 2020“, freut sich der Kurator. „Es gab rund um die Eröffnung nur ein paar wenige Protestmails. Von offizieller Seite entweder Lob oder Schweigen.“ 

  • Petition gegen "Missbrauch" in der zeitgenössischen Kunst Foto: Website TFP
  • Vor zwei Wochen allerdings hat dann der Verein TFP (Tradition, Familie und Privateigentum) „wegen Gotteslästerung eine Petition gestartet“. TFP ist eine katholisch-traditionalistische und monarchistische Organisation mit zahlreichen Ablegern in mehreren Ländern. Mitglieder der TFP beteiligten sich in den vergangenen Jahren auch am rechtsextremen „Marsch für die Familie“ in Wien; der Verein stellt innerhalb der internationalen antifeministischen Bewegung eine der einflussreichsten und wirtschaftlich stärksten Organisationen dar.

  • In die BILD kommen: Auflagenstarles Boulevardblatt widmet sich der Ausstellung. Aus polemischer und weniger aus künstlerischer Sicht. Foto: BILD

    Auf diesen (Kreuz-)Zug sprangen unmittelbar darauf der konservative Verein christenschutz.at auf und in der Folge auch Medien wie Krone, ServusTV, FPÖ-TV und Exxpress sowie andere rechte oder sehr rechte Medien. Stets „mit polemischen und z. T. auch falschen Behauptungen“, so Oberhollenzer. „Dazu kommen Anrufe und vor allem viele E-Mails. Manche sind noch detailliert, viele aber sind nur mehr wilde Beschimpfungen. Tenor: ‚Blasphemie‘, ‚müssen sich Christen alles gefallen lassen?‘ ‚Christen als Freiwild‘.“ 

    Die Beschimpfungen richten sich gegen zeitgenössische Kunst im Allgemeinen, gegen Künstler und Künstlerinnen, gegen den Kurator. Am Anfang habe er E-Mails „meist noch beantwortet“, so der aus Bruneck stammende Autor und Kurator. Nun antworte er „nur mehr sporadisch“, da viele Mitteilungen „nicht mehr differenziert“, sondern „echt arg“ seien. Sein Anliegen sei von Anfang an ein Dialog gewesen, und dieser würde in der „Ausstellung prima funktionieren“. Nebenbei hätten die meisten Personen, die die Ausstellung jetzt angreifen, „sie gar nicht gesehen“; es würden in der Kritik auch immer nur zwei, drei oder vier Werke punktuell „herausgekramt“. Das Ganze sei „natürlich auch aufgebauscht und ein gefundenes Fressen für den Boulevard“, so Oberhollenzer, „gleichzeitig ist es klarerweise auch Werbung für die Schau“. Nicht zu vergessen sind „die positiven Rückmeldungen und Unterstützungsnachrichten, die nun natürlich auch zahlreich eintreffen.“

  • Im Antlitz des Kurators: Günther Oberhollenzer bei der Eröffnung der von ihm kuratierten Ausstellung ANTLITZ / VOLTO in der Sparkasse Bozen Ende November Foto: Sparkasse Bozen

    Über Wien und Österreich hinaus gelangte die Ausstellung DU SOLLST DIR EIN BILD MACHEN auch in die BILD-Zeitung. Auch die italienische Nachrichtenagentur ANSA berichtete gestern und erinnerte in der Meldung „Kippenbergers Frosch am Kreuz sorgt noch immer für Empörung“ an die Ausstellung 2008 in Bozen, als es im (schein)heiligen Südtirol zu Hungerstreiks, Interventionen des Bistums, Kritik aus dem Vatikan und sogar den Rückzug von Franz Pahls Kandidatur für die SVP bei den Landtagswahlen gekommen war. 

    In einer Aussendung des Künstlerhauses hieß es vor wenigen Tagen: „Wir respektieren, dass Menschen sich von Kunstwerken irritiert oder auch gekränkt fühlen. „Ob ein Kunstwerk eine Provokation darstellt, liegt oft im Auge des jeweiligen Betrachters, der jeweiligen Betrachterin. Viele Besucherinnen und Besucher, darunter auch viele Christen und auch hohe katholische Geistliche, waren von der Ausstellung sehr angetan, es entstanden auch immer wieder stimmige, tiefgreifende Diskussionen und Gespräche auf Augenhöhe. Diesen respektvollen Dialog möchten wir auch weiter fördern.“ 
    Wie Respektlosigkeit geht, zeigen hingegen – im Namen des Herrn – bornierte Zeitgenossen und Zeitgenossinnen.