Kultur | Salto Weekend

Operation Drususkaserne

Lehre im leeren Baubestand. Studierende mit internationalem Background erforschen die Drususkaserne in Schlanders. Ein universitäres Projekt, das Schule machen könnte.
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Foto: Tiberio Sorvillo

Sie bleiben bis zum kommenden Wochenende. Dann werden ihre frischen Vorschläge präsentiert, die sie im Rahmen eines Workshops erarbeiten werden.
Seit Donnerstag tummeln sich allerhand Studenten und Studentinnen auf dem Gelände der ehemaligen Drususkaserne in Schlanders, um den umstrittenen Baubestand für eine mögliche neue Nutzung genau unter die Lupe zu nehmen. Angereist sind auch renommierte Lehrende aus den Bereichen Architektur, Innenarchitektur, Stadt- und Landschaftsplanung, die gemeinsam mit den Studierenden Umnutzungsmöglichkeiten der akut vor dem Abriss bedrohten Drususkaserne erarbeiten.
 


Die Dursuskaserne in Schlanders wurde in den Jahren 1935/36 unter dem faschistischen Regime für die Landesverteidigung im neuen Grenzgebiet Südtirol errichtet. Im Jahr 1995 außer Dienst gestellt, ging das Areal 2010 an die Provinz über und wurde dann an die Gemeinde verkauft, die die Gebäude abreißen und ein Wohnprojekt errichten möchte. Die Möglichkeit einer Sanierung und nachhaltigen Umgestaltung des Areals und seiner Gebäude wurde dabei nie in Betracht gezogen. Eine bedauernswerte Nachlässigkeit, der nun die jungen Köpfe die Stirn bieten. Zum Wohle aller.
 

Das universitäre Bau- und Kulturprojekt sucht nach neuen Ideen, die alle Menschen und nicht nur wenige bereichern. 


Ob Professoren und Studierende vom Politecnico in Mailand, von den Universitäten in Bologna, Bozen, Trient und Wien – mit einer praxisnahen Herangehensweise stellen die Teilnehmer*innen in den kommenden Tagen die Arbeit für eine zukunftsweisende städtebauliche Entwicklung des vier Hektar großen Areals mit seinen Gebäuden und Freiflächen in den Mittelpunkt des Studiums, um eine bestmögliche Umnutzung der bestehenden Gebäude, sowie den vor wenigen Monaten in einer Nacht- und Nebelaktion teilweise zerstörten Gebäudestrukturen, zu planen. Die zentralen Kriterien richten sich dabei an modernen und nachhaltig gedachten Prinzipien einer fortwährenden Entwicklung, die auf Energieeinsparung, lokal verfügbare Ressourcen und Materialien, Wiederverwendung vorhandener Bauelemente, reduzierte Kosten und größtmögliche Flexibilität setzen.
 


Am 5. Oktober 2022 ordnete der Bürgermeister von Schlanders in einem überraschenden Akt der Zerstörung den sofortigen Abriss an und wurde von der Aufsichtsbehörde für das kulturelle Erbe gestoppt. Umgehend wurde das gesamte Gebiet für die nächsten sechs Monate unter vorläufigen Schutz gestellt. Eine Gruppe der Studierenden wird sich nun auch intensiv mit der Palazzina Commandi beschäftigen, die beim Abriss stark beschädigt wurde und von dem nur die Ostfassade mit dem Marmorportal erhalten blieb.
Im Hinblick auf den Wiederaufbau zerstörter Gebäude in der Ukraine beinhaltet die Beschäftigung demnach auch einen durchaus aktuellen Umgang mit zerstörten Gebäuden, die tagtäglich die News-Berichterstattung bestimmen.
Wird der tölpelhafte Baggereinsatz  für die lokale Aufarbeitung vielleicht sogar als Mahnmal Geschichte machen? Ausgeschlossen ist das nicht. Auch in Deutschland und Polen gab es nach dem Zweiten Weltkrieg und auch danach viele verschiedene Arten des Umgangs mit (halb)zerstörten Gebäuden. 
 


Eine weitere Gruppe von Studierenden wird sich mit der Palazzina Misurata und dem Tagliamento beschäftigen, also jenen Gebäuden, in denen vor allem die Soldaten untergebracht waren. Eine dritte Gruppe wird sich hingegen mit den Freiflächen und den städtebaulichen Verbindungen zu den verschiedenen Dörfern und Infrastrukturen auseinandersetzen. Und dabei vielleicht einen Akzent gegen die übermächtige Apfel-Industrie ringsherum setzen – als fruchtbare Insel, in der furchtbaren Einöde einer wenig nachhaltigen Monokultur-Denke.
 


Bei einer der ersten Führungen durch das obskure Objekt der Begierde war auch Walter Angonese, Südtiroler Architekt mit internationalem Ruf, zugegen. In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol soll im Anschluss eine Wanderausstellung konzipiert werden, in der die besten Projekte der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Außerdem werden die Projekte in einer eigenen Ausgabe der vierteljährlich erscheinenden Publikation Turris Babel der Stiftung vorgestellt.
Eine erste Projektvorstellung wird es hingegen schon am kommenden Samstag geben. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet. Wohl nicht von allen.
 

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Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer So., 12.02.2023 - 06:25

Im Sinn vom Klima-Schutz und Wohnqualität, ist die Weiterverwendung bestehender Baustrukturen die bessere Lösung, wie die NEO-LIBERALE Gier, daraus nur "Kaninchen-Käfig-ähnliche-Wohnanlagen zu schaffen, in denen sich möglichst viele m2 Wohnflächen verkaufen lassen."

So., 12.02.2023 - 06:25 Permalink