Kultur | Verkehr und Dörfer

Der Verkehr ist nicht das Problem…

... aber auch nicht die Lösung.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Leonhard Angerer RING-ROAD

Text: Thomas Huck

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

 

Im letzten Sommer war es soweit, unbemerkt durch die Freude über zwei weitere Tunnel im Eggental verschwand in Kardaun die ENI Tankstelle und somit der letzte noch in Betrieb befindliche Zeuge der alten Eggentaler Straße. Über 15 Jahre brauchte der Transformationsprozess, ob er schon zu Ende ist, weiß man noch nicht.

 

Kurz vor der heißen Phase des letzten Wahlkampfs überraschte die Landespolitik mit einem neuen Verkehrskonzept für die Landeshauptstadt. Eine Tram inkl. Verlängerung bis ins Überetsch samt Umfahrungen für Bozen. Gekrönt wurde das Ganze mit einem Festtag „20 Jahre Straßenkompetenz“. Zeit also um einen Blick auf realisierte Verkehrsprojekte im Lande zu werfen, welche wurden umgesetzt, welche Erfahrung gibt es und wem haben sie eigentlich geholfen? Handelte es sich um eine Investition in den Verkehr oder um eine Investition in die Ortschaften. Dabei sollte man nämlich nie vergessen „Der Verkehr ist nicht das Problem, sondern der Grund [wieso es einen Ort überhaupt gibt]“.

 Versteht man eine Umfahrung also nur als Verkehrslösung, können die positiven (Neben-) Effekte erst verzögert die Ortschaft erreichen

Kardaun, Naturns, Brixen. 500, 5.000 und 20.000 Einwohner. Drei Orte, welche ähnlich starkem Durchzugsverkehr ausgesetzt waren, aber aufgrund ihrer Größe und Platzverhältnisse völlig unterschiedliche Motivationen für den Bau einer Umfahrungsstraße hatten. Die Lösung war jedoch stets ein Tunnel , oder besser gesagt gleich mehrere.

 

Kardaun

Vor dem Bau des Tunnels war das ganze Dorf eine Art Verteilerkreuz für Bozen. Auf drei Ebenen durchquert Kardaun der Durchzugsverkehr. Gewerbe und Gastronomie florierten seit jeher entlang der Straße, dicht vermischt mit den Wohnhäusern. Das Dorfleben blühte auf seine ganz eigene Art durch den Verkehr, denn das rege Treiben am Tag verschwand mit den Autos in der Nacht. Als dann der Tunnel kam, konnte man es nicht erwarten, endlich einen Teil des Verkehrs zu verlieren und dachte, dass das Dorf durch den Wegfall des Verkehrs am meisten profitieren würde. So dachten auch die Zuständigen und so konzentrierten sie sich ganz auf eine autogerechte Einfahrt ins Eggental ohne weiter über Kardaun nachzudenken.

Naturns

Als zehntgrößter Ballungsraum in Südtirol wuchs Naturns seit jeher genährt vom Verkehr. Doch für den beliebten Urlaubsort wurde der stetig zunehmende Verkehr immer mehr zum Problem. Denn je flüssiger man ihn gestalten wollte, umso mehr öffentlichen Raum fiel im zum Opfer. Besonders für die Hotels an der Hauptstraße wurde die Straße immer mehr zum trennenden Element, das immer schwerer zu überwinden wurde. So erhielt Naturns vor gut zehn Jahren einen Umfahrungstunnel, welcher damals mit seinen 2,5 km als unwirtschaftlich und übertrieben galt. Auch fürchtete man finanzielle Einbußen im Ort aufgrund der fehlenden Autos. So bildeten sich bereits während der Bauphase Vereine und Komitees um „die Zeit nach dem Verkehr“ einzuleiten. Was passiert mit dem Handel, wie gestalten wir das Dorf und wo müsste interveniert werde?

Brixen

Bereits in den späten 60er Jahren wurde das gesamte Straßensystem in Brixen überarbeitet. Zwar wurde dabei keine neue Umfahrung geschaffen, aber bestehende Straßen so ausgebaut, dass das Altstadtzentrum großräumig umfahren wurde. Doch nach 50 Jahren wurde diese „Umfahrung“ immer mehr Teil der Stadt. Durch gezielte Kreisverkehre -als Geschwindigkeitsbremse- und Unterführungen – als Verkehrsbeschleuniger-, versuchte man zwar die Straße sicher zu machen. Doch zu den Stoßzeiten platzte die Straße aus allen Nähten und die Fahrtzeit innerhalb der Stadt verlängerte sich erheblich. Doch wie eine Stadt umfahren, wenn sie den Verkehr selbst produziert

 

Drei Orte mit unterschiedlichen Ausgangssituationen also. So nährte der Durchzugsverkehr sowohl Kardaun wie Naturns und ließ sie über ihre eigene Größe hinauswachsen, jedoch wurde er in Naturns langsam zum Problem seines eigenen Erfolgs. In Brixen und Kardaun galt es nie wirklich als vorrangiges Ziel, die Ortschaft neu zu bespielen, sondern viel mehr den Verkehr zu optimieren und Gefahrenquellen zu reduzieren was bereits als Gewinn für den Ort galt. Während sich Brixen entschieden dagegen wehrte und konkrete Vorteile für die Stadt forderte, entwickelte sich in Kardaun erst im Nachhinein das Bewussten, dass man das Dorf nun neu denken muss.

Brixen

Da ein Großteil des Brixner Verkehrs auch innerstädtischer Verkehr ist, wurde lange über den Sinn einer Umfahrung diskutiert. Nach langen Studien und mehreren Bürgerinitiativen wurde eine Umfahrung für Brixen und Vahrn mit zwei Mittelanschlüssen ausgearbeitet. Auch für die teilweise massiven Baumaßnahmen unmittelbar in der Stadt wurde von Seiten der Bevölkerung eine harmonische Gestaltung der Trasse und Einbindung in die Landschaft gefordert. Kritiker verweisen jedoch darauf, dass nur mit dem Umstieg auf Öffis und Rad der Verkehr bewältigt werden kann.

Kardaun

Zwar wurden in Kardaun die frei werdenden Verkehrsflächen mit öffentlichen Gebäuden verbaut, trotzdem brauchte es Jahre bis diese ihre Wirkung zeigten. Plötzlich gab es keine Autos mehr, die durchs Dorf fuhren und stehen blieben, und die, die noch durch fuhren, fuhren nach Bozen weiter. So änderte sich langsam das Dorf. Weniger Kaufkraft - weniger Geschäfte. Die Geschäfte, die es jedoch noch gib sind heute fixer Bestandteil des Dorfs. Auch Vereine und Organisationen blühen im neuen Kontext neu auf, denn nach dem Gesundschrumpfungsprozess entwickelte Kardaun langsam ein neues Bewusstsein, welches seiner Größe angemessener scheint.

Naturns

Ausgehend von den verschiedenen Organisationen, die sich im Laufe des Baus der Umfahrungsstrecke gebildet haben, wurde ein Kreisverkehr an der Osteinfahrt des Dorfes erdacht. Einerseits sollte er die Gleichbehandlung der Ortseinfahrt und der Umfahrungsstraße symbolisieren Andererseits dient er als Tor zum Dorf mit Infocenter, Tourismusbüro und Aussichtsplattform. Diese Gestaltung des öffentlichen Raums, wurde nach und nach mit dem Rückbau und Neugestaltung der Hauptstraße durchs Dorf gezogen und machte den von der Straße belegten Raum wieder zugänglich. Durch diese und weitere koordinierte Maßnahmen konnte das Dorf sein Eigenleben halten und entlang der Straße neu aufblühen lassen.

 

Anders als in Kardaun und Naturns, deren Dorfbilder sich stark bis komplett verändert haben, war es in Brixen wohl vielen von Anfang an klar, dass eine Umfahrung allein bloß die Spitzenwerte im Verkehrsdiagramm abmildern würde, aber keine große Umgestaltung des Straßenbildes ermöglichen kann, da die überbelasteten Straßen lediglich wieder ihre geplante Auslastung erreichten. Anders war es mit der Wirtschaftlichkeit, während die lokalen Betriebe in Naturns von der Straßenverlegung im Großen und Ganzen profitierten wurde sie in Kardaun völlig aus der Bahn geworfen und die Veränderungen in Brixen kann man wohl erst nach der Vollendung der gesamten Umfahrung erkennen und bewerten.

 

Versteht man eine Umfahrung also nur als Verkehrslösung, können die positiven (Neben-) Effekte erst verzögert die Ortschaft erreichen, aber auch die Involvierung der Bürger auf rein planungstechnischer Ebene wie in Brixen kann nicht das Ziel sein. Eine Zusammenarbeit wie in Naturns benötigt jedoch viel Eigeninitiative, wo die Bürger gefordert sind, aktiv zu werden. Dann können auch Themen diskutiert werden, die weit über Streckenverlauf, Lärmbelästigung und Sichtbarkeit der Umfahrung hinausgehen und das Gesamtbild des Ortes als Ziel haben.

An diesen Beispielen sieht man, dass je nach Dorf ganz andere Initiatoren für eine Umfahrung ausschlaggebend waren und sind. Es hat sich gezeigt, dass die Umfahrungsstraße zwar ein Mittel ist, um das Dorfleben zu regenerieren, jedoch nur dort, wo es durch den Verkehr behindert wurde. Um ein neues Dorfleben zu initiieren sind andere, nicht bauliche Maßnahmen gefordert. Auch lernt man, dass es wichtig ist, eine Umfahrung als Teil einer Dorfumgestaltung zu sehen, die nur funktionieren wird, wenn das Dorf vorher und nachher mit Leben gefüllt werden kann.

Deshalb kann man nur hoffen das Bozen endlich seine Sehnsüchtig erwartete Umfahrung bekommt, zusammen mit einem eng gebundenen Maßnahmenpaket was man mit dem zurück gewonnen Stadtraum machen will.