Kleider machen Gifte
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Kleidung ist giftig, wenn sie neu ist, egal, ob sie billig oder teuer war, ob sie schlicht oder auffallend daherkam. Kleidung wird in der Regel mit viel Chemie traktiert, bevor sie in den Verkauf kommt.
Warum werden in der Kleiderindustrie überhaupt Gifte verwendet?
Nunu Kaller: Unsere T-Shirts sollen bügelleicht sein und die Hemden knitterfrei. Die Gummistiefel sollten nicht zu hart, die Bergschuhe wasserfest sein. Der Pullover braucht je nach Mode eine besonders knallige Farbe, die Socken hingegen sollen Schweißgerüche unterbinden. Die Jacke muss feuerbeständig sein, die Hose schmutzabstoßend. Der coole Spruch auf dem Hoody darf auch nach vielfacher Wäsche nicht weichen. Um den Kund*innen all diese Vorzüge so günstig wie möglich anbieten zu können, braucht es eine ganze Menge an Chemie: Alkylphenole nutzen in Reinigungs- und Färbeprozessen, Phthalate dienen als Weichmacher, BFR macht feuerbeständig, Tributylzinn verhindert Schädlinge, Geruchsbildung und Schimmel, PFC macht wasser- und schmutzabweisend, Aldehyden macht knitterfest, Triclosan hemmt Bakterien- und Pilzwachstum, Schwermetalle helfen bei T-Shirt-Drucken.
Welche Gefahren gehen von der Verwendung dieser Substanzen aus?
Viele Untersuchungen bestätigen, dass zahlreiche Substanzen, die bei der Textilherstellung verwendet werden, schädlich für den menschlichen Körper und die Natur sind. Diese Gefahren beziehen sich aber nicht in erster Linie auf das reine Tragen der Kleidung: In 99 Prozent der Fälle sind die Kleider nicht schädlich für den menschlichen Körper, auf dem sie aufliegen. Giftig sind die Substanzen in unseren Kleidungsstücken über einen kleinen Umweg: Beim Waschen der Kleidung gelangen die giftigen Substanzen in unser Abwasser. Sie können von den Kläranlagen kaum aufgehalten werden und breiten sich in den Gewässern aus. Die aufgefangenen Substanzen hingegen landen im Klärschlamm, der häufig auf landwirtschaftlich genutzte Felder ausgebracht wird und letztendlich in unserem Essen landet. Das erklärt auch, warum das Waschen der Kleidung vor dem ersten Tragen nicht die Lösung des Problems ist, auch wenn zahlreiche Chemikalien dadurch vollständig von der Kleidung entfernt werden können. Mit dem Waschen beginnt das Problem teilweise erst. Ein geschädigtes Hormon- und ein geschwächtes Immunsystem, eingeschränkte Fruchtbarkeit, erhöhtes Krebs- und Tumorrisiko sind nur einige mögliche Gefahren, die uns Textilunternehmen in den Kleiderschrank hängen.
Nunu Kaller
Wo werden unsere Kleidungsstücke hauptsächlich gefärbt?
Die sogenannte Nassproduktion, bei der die meisten Chemikalien eingesetzt werden, findet häufig in China statt. Dort sind die Arbeitskosten nach wie vor günstig und Umweltgesetze quasi nicht vorhanden. Flüsse werden von Modeherstellern als private Abwasserkanäle missbraucht und verschmutzen so das Trinkwasser von Millionen Menschen.
Welche Auswirkungen haben diese Giftstoffe auf die Produzent*innen?
Das Hantieren mit derartigen Chemikalien ist für den Anwender immer gefährlich. Aber die noch größere Gefahr geht von den Chemikalien dann aus, wenn sie einmal im Grundwasser gelandet sind. Häufig pumpen Fabriken das Abwasser komplett ungeklärt in die nächsten Flüsse. Die Chemikalien hinterlassen in der Umwelt massive Spuren, vergiften die Flüsse, die Fische und später auch die Menschen. Die Natur kann ihnen nicht mehr Lebensgrundlage sein.
Stimmt es, dass man an den Flüssen Chinas die Modefarben Europas erkennen kann?
Ja. Dieser Spruch kommt nicht von irgendwo her. Ich würde ihn aber nicht als allgemeinen Stehsatz verwenden. Oft ist Umweltverschmutzung nämlich gar nicht sichtbar: Chemikalien landen farblos in den Flüssen und sind dort persistent. Andere dagegen kann man gut erkennen, auch an dem dreckigen Schaum, der das Abwasser mancher Fabriken bedeckt.
Bei welchen Produktionsschritten werden Giftstoffe eingesetzt?
Bereits beim Baumwollanbau findet ein massiver Einsatz von Pestiziden und Insektiziden statt: Die Baumwolle ist die meistbespritzte Pflanze der Welt und verbraucht ein Viertel der weltweit gehandelten Insektizide und elf Prozent der Pestizide. Der Einsatz von Giftstoffen zieht sich im Anschluss durch die gesamte Produktionskette: beginnend bei den verschiedenen Färbungsschritten bis hin zu Bedruckung, Imprägnierung und Fertigstellung des Stoffes.
Werden auch beim beliebtesten Kleidungsstück, der Jeans, Giftstoffe eingesetzt?
Klar, auch bei der Jeansproduktion werden viele Chemikalien und Farbstoffe eingesetzt. Für die Herstellung einer Jeans braucht es enorm viel Wasser: Pro Paar Jeans sind es in etwa 8.000 Liter notwendig, das entspricht 36 gefüllten Badewannen.
Greenpeace kämpft seit 2012 im Rahmen der Kampagne Detox gegen den Einsatz besonders schädlicher Substanzen in der Kleiderproduktion: Was haben Sie bisher erreicht?
Wir kämpfen für eine Entgiftung der Lieferkette großer Unternehmen. Bis heute haben wir fast 40 Unternehmer überzeugen können, das Versprechen abzugeben, dass sie gezielt Schritte vornehmen, um bis 2020 giftfreie Mode auf den Markt zu bringen. Aber wir können auch schon von Erfolgen berichten: 15 Prozent der Textilproduzent*innen konnten wir erreichen, darunter sehr große Unternehmen wie H&M oder Zara. Wir beobachten weiterhin, ob die Versprechen eingehalten werden.
Warum fällt es Hersteller*innen so schwer, auf die Giftstoffe zu verzichten?
Unternehmen halten vor allem aus einem Grund an der Verwendung der giftigen Chemikalien fest: Sie sind billig. Außerdem sind sie bereits seit geraumer Zeit in die Produktionskette integriert. Eine Umstellung ist zeitintensiv und kostenaufwändig. Unsere Untersuchungen zeigen, dass es zu all den Giften und Chemikalien, die die Umwelt zerstören, vergleichsweise harmlose Alternativen gibt. Das Problem bleibt immer dasselbe: Er kostet etwas mehr.
Und wie sehen diese Alternativen aus?
Es gibt solche und solche Chemikalien. Wir haben uns im Zuge der Kampagne auf die Suche nach funktional gleichen, aber weniger umweltgefährdenden Chemikalien gemacht. Das heißt, dass es sich dabei um Chemikalien handelt, die beispielsweise in der Umwelt nicht persistent sind, sondern sich rückstandslos auflösen bzw. gut gefiltert werden können.
Was kann das Gift bei der Kleiderfarbe, was Alternativen nicht können?
Ganz einfach gesagt: Gift macht die Produktion günstiger.
Wie wirken sich Alternativen auf den Preis aus?
Den Preisunterschied würden wir als Kund*innen vermutlich gar nicht merken, weil er sich in einem einstelligen Centbereich befindet. Bedenken wir aber die Masse, die die meisten Unternehmen täglich produzieren und verkaufen, dann sprechen wir von beträchtlichen Summen. Aber es ist nicht die Profitgier allein, die wir bekämpfen. Eine Umstellung ist unumgänglich, weil ansonsten Mensch und Umwelt unwiederbringlich geschädigt werden.
Bewusste Konsument*innen könnten also auch im Kleidungsbereich den Markt bestimmen?
Jede*r einzelne Konsument*in kann in seinem*ihrem Rahmen etwas tun, ja, wir haben definitiv diese Macht. Was wollen die Unternehmen in der freien Marktwirtschaft von uns? Sie wollen unser Geld, sie rittern mit Werbung, Sonderangeboten und aggressiven Marketingstrategien um unsere Brieftaschen. Am Ende liegt es an uns, wo wir unser Geld investieren. Durch kritischen Konsum können wir politische Statements setzen und Unternehmer*innen zwingen, für sie auch weiterhin gewinnbringende Entscheidungen zu treffen.
Welchen Kleidermarken vertrauen Sie persönlich?
Das ist unterschiedlich – ich mag biofaire Produktion wie etwa „Göttin des Glücks“ sehr, allerdings bin ich auch ein riesengroßer Fan von Second Hand, denn nichts ist ökologischer, als die Lebensdauer eines Kleidungsstücks so weit wie möglich zu verlängern.
Und wie viele Kleidungsstücke kaufen Sie pro Jahr?
Das kann ich schlecht beziffern, da ich momentan leidenschaftlich gerne auf Tauschparties gehe (und sie auch selbst veranstalte). Damit ändern sich die Teile in meinem Schrank häufig, aber ich habe in Summe nicht mehr.
Conflict kitchen: Kleider machen Leute & chi fa i nostri vestiti?
Mit blufink, oew & Südtiroler Weltläden am Donnerstag, 12. Mai 2016 von 18.30 bis 21.30 Uhr, Wianui, Stadelgasse, Brixen
Dieses Interview von Verena Gschnell stammt aus der Ausgabe 05/2016 der Straßenzeitung zebra.