Politik | Grenzen

Zaun-Bau im Zeitgeist

Während einige in Italien "nichts mehr von einem Zaun hören" wollen, wächst in Europa der Wunsch nach überwachten Grenzen.

Es ist das Reizwort par excellence, und das seit mehreren Monaten. Angefangen hat alles mit einer Pressemitteilung der Südtiroler Handelskammer am 5. Februar. “Nein zum Zaun am Brenner”, so der Titel. Was folgten waren Dementi, dann das Eingeständnis der österreichischen Regierung, dass man doch im Rahmen eines “Grenzmanagements” am Brenner neben Grenzkontrollen auch “bauliche Maßnahmen” in Erwägung ziehe, um zu verhindern, dass unkontrolliert Menschen auf der Flucht ins Land gelangen. Schließlich folgten Appelle, Warnungen und gar Drohungen aus Südtirol, Rom und Brüssel Richtung Wien. Die dortige Regierung solle von der Errichtung eines Grenzzaunes absehen, auch angesichts der symbolischen Bedeutung, die der Brenner für das Projekt Europa habe, so der einheitliche Tenor. Bis zum heutigen Tag ist die Debatte und Rhetorik rund um “den Zaun” am Brenner nicht abgebrochen. “Grenzzäune sind nicht sinnvoll”, sagte der Grüne Abgeordnete im österreichischen Nationalrat Georg Willi bei einem Südtirol-Besuch am Dienstag. “Niemand will Zäune am Brenner”, betonte auch Willis Kollege von der ÖVP, Hermann Gahr.

Die notwendigen Vorrichtungen für die Einhängung des Zauns am Brenner sind inzwischen errichtet, doch soweit soll es nicht kommen, wie Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka im Rahmen seiner Anwesenheit bei der SVP-Landesversammlung vergangenen Samstag in Meran versprach – “wenn Italien seinen Aufgaben in der Kontrolle der Flüchtlingsströme Richtung Norden nachkommt”. Dann seien auch Grenzkontrollen am Brenner nicht nötig, so Sobotka. Um sich abseits der Zaun-Rhetorik selbst ein Bild von der Situation zu machen, ist die Präsidentin des Schengen-Überwachungsausschusses im italienischen Parlament Laura Ravetto am gestrigen Dienstag (10. Mai) selbst an den Brenner gereist. Dort angekommen, gab sie eine offizielle Erklärung ab: “Sono venuta al Brennero, assieme a una delegazione del Comitato Schengen, per verificare se al confine tra Italia e Austria ogni azione fosse coerente con l’accordo di Schengen. Ho visto collaborazione tra le forze dell’ordine, nessun muro, né recinti.” Nichtsdestotrotz hat Ravetto davon erfahren, dass soweit alles bereit sei, um einen Zaun aufzustellen. Auch wenn sie den Eindruck habe, dass das niemand wolle – “la parola recinzione non deve essere neppure nominata”, so die Forza-Italia-Politikerin.
Den Zeitgeist dürfte sie mit ihrer klaren Ansage allerdings nicht getroffen haben. Denn in Europa wächst der Wunsch nach überwachten Grenzen.

Wie eine jüngst im Auftrag des Osservatorio Europeo sulla Sicurezza der Unipolis-Stiftung in Auftrag gegebene Umfrage zeigt, sprechen sich 87 Prozent der Italiener gegen die Beibehaltung des Schengen-Systems samt freiem Personenverkehr aus. Nur 13 Prozent der 5.000 Befragten geben an, gegen Kontrollen an den Grenzen innerhalb des Schengen-Raums zu sein. Am größten ist die Zustimmung für Kontrollen und anderweitige Grenzsicherungsmaßnahmen unter den älteren Semestern. Während sich 32 Prozent der 15 bis 17-Jährigen sowie 21 Prozent der 18 bis 24-Jährigen und 18 Prozent der 25 bis 34-Jährigen für die Personenfreizügigkeit aussprechen. Es sind Daten, die zu denken geben. In der Repubblica hat der italienische Journalist Ilvo Diamanti seine Überlegungen folgendermaßen dargestellt: “Così, diventiamo sempre più vecchi, sempre più soli. Sempre più impauriti. E vorremmo chiuderci in casa. Alzare muri e confini dovunque. Intorno a noi. (…)  Noi italiani, noi europei: chiusi in casa, in attesa dell'invasione, fra anziani in mezzo ad altri anziani, monitorati da sistemi di allarme sofisticati, sorvegliati da cani mostruosi, osservati da telecamere a ogni passo e a ogni movimento. Ma come possiamo illuderci di essere felici?