"Das hat es immer schon gegeben"

Alkohol, Drogen, Sex. Fast immer und überall verfügbar, einfach wie noch nie zu haben. So das Bild, dass der Journalist in der Montagsausgabe der Tageszeitung Alto Adige zeichnet. Er hat sich unter die Südtiroler Nachtschwärmer gemischt und die Probe auf’s Exempel gemacht. In insgesamt fünf Diskotheken war er unterwegs, beobachtete die Feiernden, um dann den Lesern darüber zu berichten. Glaubt man dem, was Anfang der Woche unter dem Titel “Alcol e pasticche, la notte in discoteca” auf Seite 12 des Alto Adige erscheint, gibt es landauf, landab haufenweise Minderjährige, die manchmal problemlos, manchmal nach Bestechungsversuchen der Türsteher die heimischen Diskotheken unsicher machen. Den (harten) Alkohol bringen sie meist selbst mit. Wem der Alkohol nicht ausreicht, der kommt problemlos an andere Substanzen. Die Folgen des Rauschmittelkonsums: Exzesse jeglicher Art: ungezügelte Tanzszenen, hemmungslose Intimszenen am Klo, gewalttätige Auseinandersetzungen, oder aber die Einlieferung ins Krankenhaus.
Kurz nachdem der Artikel sowohl auf der Internet- als auch der Facebookseite des Alto Adige erscheint, bricht eine Welle der Kritik über den Journalisten und die Zeitung herein. Übertrieben, erfunden und schlichtweg falsche Informationen, so die Vorwürfe der Leser. Vor allem angesichts der jüngsten Todesfälle zweier Jugendlicher nach dem Konsum von Rauschmittel in italienischen Diskotheken sowie der Tod des jungen Mädchens am Strand von Messina – Ursache vermutlich eine Ecstasy-Überdosis – scheint der Artikel zu einem für viele unpassenden Zeitpunkt veröffentlicht worden zu sen. Einer, der sich den Kritiken anschließt, ist Vanja Zappetti. Er organisiert selbst Konzerte, kennt die Bozner (Jugend-)Kulturszene wie seine Westentasche und arbeitet darüber hinaus als Mittelschullehrer. Am Montag Abend veröffentlicht er einen sarkastischen Kommentar auf seiner Facebook-Seite:
salto.bz hat nachgefragt – wie schätzt jemand, der beruflich sehr viel sowohl mit jungen Menschen als auch ihrem Nachtleben zu tun hat, die aktuelle Lage ein?
Herr Zappetti, in Ihrem Facebook-Kommentar geben Sie zu verstehen, dass Ihnen der Inhalt des Alto-Adige-Artikels keineswegs gefällt.
Vanja Zappetti: Der Artikel ist, typisch für einen 10. August, sehr sehr vereinfacht geschrieben. Es kommen viele Stereotypen vor und ganz allgemein trägt ein solcher Artikel einfach nicht dazu bei, das Problem zu lösen.
Dass es im Südtiroler Nachtleben aber problematisch – wenn auch nicht so zugespitzt wie in dem Bericht dargestellt – zugeht, steht außer Frage?
Sicher, es gibt das Problem der Exzesse. Alkohol, leichte und harte, chemische Drogen. Aber: Das hat es immer schon gegeben. Sprich, seit dem Beginn der 60er Jahre, seit bereits über fünfzig Jahren also.
Was hat sich dann heute im Vergleich zu früher geändert?
Heute wissen die jungen Leute zwar mehr über Alkohol, Zigaretten und Joints. Aber insgesamt wird jenen, die auf der Suche nach dem sballo sind, sich mal für einen Abend austoben wollen, viel zu wenig Information zur Verfügung gestellt. Also zum Beispiel über chemische Drogen, ihre Wirkung, Auswirkung und Risiken ist unter den Jugendlichen fast gar nichts bekannt.
Worauf ist das Ihrer Meinung zurückzuführen?
Der Staat betreibt ganz allgemein viel zu wenig Aufklärungs- und Informationsarbeit. In Berlin zum Beispiel – einer Stadt, die vom Nachtleben lebt – liegen in den Lokalen Broschüren auf, die Auskunft über die verschiedenen Rauschmittel geben.
Auch zur Schließung der Diskothek Cocoricò hat sich Zappetti seine Gedanken gemacht.
Wobei nicht nur in Lokalen wie Diskotheken und Nachtclubs, sondern durchaus auch auf Konzerten oder Musikfestivals die verschiedensten Substanzen konsumiert werden.
Da gibt es aber einen großen Unterschied. Einerseits was das Publikum anbelangt – während es den Konzertbesucher um die Künstler, also eher die Musik und die Kultur suchen, gehen die Diskobesucher dorthin, weil sich dort eine Menge Leute treffen. Andererseits ist auch die Art der Rauschmittel in den beiden Realitäten unterschiedlich. In den Diskotheken zirkulieren immer öfter und mehr chemische Drogen, Tabletten und Ähnliches. Auf Konzerten dröhnen sich die Leute eher mit der Musik zu. Wobei es sicher auch vorkommt, dass der eine oder andere über die Stränge schlägt.
Um auf die Frage der Verantwortung zurückzukommen – diese aber doch nicht nur bei den öffentlichen Institutionen?
Keineswegs. Wenn der Staat nichts macht, können die Lokalbetreiber oder Eventorganisatoren auch freiwillig Informationsarbeit betreiben. Und darauf schauen, dass während einer Veranstaltung nichts passiert, beziehungsweise sich die Exzesse in Grenzen halten. Ich denke da an Chill-Zonen, wo sich die Gäste ausruhen können oder gratis frisches Wasser ausgeben. Etwas, was im Fall von Cocoricò nicht passiert ist. Die Diskobesucher müssen sich das Wasser abgepackt in Plastikflaschen an der Theke kaufen. Unvorstellbar in so einem großen Lokal.
Unterm Strich besteht kein Grund, jetzt empört aufzuschreien und Sorgen zu machen?
Eher als sich zu sorgen sollte man sich mit dem Problem ernsthaft auseinandersetzen. Verstehen, dass es ein Problem gibt und die besten Methoden finden, um sich darum zu kümmern. An diesem Punkt möchte ich noch einmal unterstreichen, wie wichtig die Informationsarbeit ist. Sowohl vonseiten des Staates oder hierzulande der Provinz, aber eben auch von den Lokalbetreibern selbst. Schließlich ist es auch in ihrem eigenen Interesse. Um noch einmal das Beispiel von Cocoricò zu nennen. Es ist das erste Mal, dass eine Diskothek für so lange Zeit geschlossen wird, und das auch noch mitten im August, wenn Hochsaison herrscht. Bisher sind die großen Lokale immer ungeschoren davon gekommen, obwohl es durchaus Zwischenfälle gegeben hat.