Kultur | Buchpreis

„Ungehörte Stimmen“

Miriam Unterthiner gewann den Debütpreis beim Österreichischen Buchpreis. Mit SALTO hat sie über den feierlichen Moment und ihr Schreiben gesprochen. Und über Handball.
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Foto: Österreichischer Buchpreis/Lechner
  • SALTO: Sie haben am Montag einen weiteren wichtigen Literaturpreis erhalten – den Debütpreis zum Österreichischen Buchpreis. Ab wann wussten sie, dass sie wieder ganze vorne landen werden?

    Miriam Unterthiner: Ich glaube, von allen Personen, die live bei der Verleihung des Preises dabei waren, war ich die letzte, die davon erfahren hat. Im Moment der Bekanntgabe habe ich zwar meinen Namen gehört, doch nicht wirklich verstanden, dass mein Text tatsächlich mit dem Österreichischen Buchpreis Debüt ausgezeichnet wird.
     

    Schreiben, Löschen, Verwerfen und Hinterfragen des Geschriebenen.


    Sie haben eine besondere Form gefunden – meinte die Jury – um Historisches in die Gegenwart zu hieven. Mit welchen literarischen Tricks arbeiten Sie?

    Leider habe ich nicht wirklich Tricks, die ich beim Schreiben anwende, viel eher ist es ein kontinuierliches Schreiben, Löschen, Verwerfen und Hinterfragen des Geschriebenen. Wichtig ist für mich dabei die Form des Textes auf dem Blatt und das laute Aussprechen des Textes beim Schreiben – vielleicht sind das meine Tricks...

    Erinnerung, Verantwortung und Schuld sind Ihre Themen. Wie sind diese Ihnen zugefallen?

    Im Schreiben interessiere ich mich vor allem für ungehörte Stimmen beziehungsweise Stimmen, denen bewusst nicht zugehört wird, die nicht zu Wort kommen. Vielleicht hängt dies mit Erinnerung, Verantwortung und Schuld zusammen, denn um ehrlich zu sein, ist mir gar nicht bewusst, dass Erinnerung, Verantwortung und Schuld zu meinen Themen geworden sind.

    Sie waren über viele Jahre Handballerin, als Kreisläuferin. Ist es im übertragenen Sinn der direkteste Weg zum Tor und zum Erfolg?

    Was ich vom Handball mit an den Schreibtisch nehme, ist der Gedanke an die Mannschaft oder in meinem Fall die Frauschaft. Schreiben wird häufig als einsame Tätigkeit bezeichnet, ich empfinde das nicht so, Schreiben ist für mich viel eher etwas Gemeinschaftliches. Damit ich Schreiben kann, brauche ich Vordenkerinnen und Vordenker, andere Texte und Autorinnen und Autoren sowie viel Unterstützung von anderen Personen. Ähnlich ist es im Handball auch, denn damit ein Tor gemacht werden kann, bedarf es viel Vorarbeit. In einer Frauschaft ist es am Ende egal, welche Person das Tor schießt, denn im Grunde ist jedes Tor eine Gemeinschaftsarbeit.
     

    Lieber setzte ich mich wieder an den Schreibtisch, abseits des Rummels, denn der Preis ermöglicht es mir, weiterzuschreiben, was in Zeiten von Kürzungen von Kulturgeldern keine Selbstverständlichkeit ist.

  • Was die Jury meinte

    Miriam Unterthiners Theatertext Blutbrot nimmt sich eines Kapitels der Südtiroler Nachkriegsgeschichte an, das bislang kaum literarisch bearbeitet wurde: der Fluchthilfe für NS-Verbrecher über den Brennerpass. Figuren wie Eichmann oder Mengele passierten auf ihrem Weg nach Italien und weiter nach Südamerika, eine Region, die heute gerne als idyllische Landschaft inszeniert wird.  Der Makel, Zufluchtsort für NS-Verbrecher gewesen zu sein, wurde lange Zeit verdrängt.

    Unterthiner begegnet diesem schwierigen Stoff nicht mit dokumentarischem Realismus, sondern mit großer poetischer Wut und Wucht. Indem sie „Das Dorf“, „Das Brot“ oder „Die Landschaft“ selbst zu Figuren macht, öffnet sie den Blick auf Mechanismen kollektiven Schweigens und stellt Fragen nach Erinnerung, Verantwortung und Schuld. Das Historische wird so zur Metapher für eine Gegenwart, in der Ressentiments und die Angst vor dem Fremden erneut virulent sind. 

    Unterthiner erschafft eine kraftvolle Sprache, die bildstark und präzise das Verschüttete freilegt und dabei einen schreienden, oft verzweifelten Humor entwickelt. Das Grundnahrungsmittel Brot wird dabei, unterstützt durch die Figur Max Brod, zur schwer verdaulichen Kost. Blutbrot zeigt, wie sich unsere grausame Geschichte in Körper, Sprache und Landschaft einschreibt und wie sie vielleicht doch durch einen „Nationalhumanismus“ überwunden werden könnte.

  • Olé, Olé, Olé: Andreas Babler, Dimitré Dinev, Miriam Unterthiner, Renate Anderl, Benedikt Föger. Foto: Walter Pobaschnig / facebook

    Dimitré Dinev gewann den Österreichischen Buchpreis. Er war auch einmal Gast in Meran, als Lesender des Romans "Engelszungen" und auch mit dem Theaterstück „Haut und Himmel“. Sie kennen seine Bücher?

    Bislang habe ich Dimitré Dinevs Texte noch nicht kennengelernt. Die vorgetragene Leseprobe am Montag hat mich allerdings sehr beeindruckt, ebenso wie seine kontinuierliche Arbeit und Ausdauer an diesem Text zu schreiben. Ich glaube ein solches Vorhaben verlangt einem Autor oder einer Autorin sehr viel ab. Ich werde „Zeit der Mutigen“ definitiv noch lesen.

    Was steht gerade an? Außer Siegesfeiern?

    Das große Feiern liegt mir nicht so wirklich. Lieber setzte ich mich wieder an den Schreibtisch, abseits des Rummels, denn der Preis ermöglicht es mir, weiterzuschreiben, was in Zeiten von Kürzungen von Kulturgeldern keine Selbstverständlichkeit ist.
    Aktuell schreibe ich für das Schauspielhaus Wien am Theatertext „Mundtot”. Der Text beschäftigt sich mit weiblichem Leistungssport – unter anderem auch mit Handballerinnen –, den Blicken auf die Sportlerinnen, sexualisierte Körperbilder, Konkurrenzdruck und Solidarität, zu knappen Trikots und unangemessenen Berührungen. Die Figuren probieren über das zu sprechen, was lange ungesagt geblieben ist und kämpfen mit ihrer eigenen Sprache gegen das mundtotmachen der Sportlerinnen an.

  • Große Freude über den Debütpreis: "Unterthiner erschafft eine kraftvolle Sprache, die bildstark und präzise das Verschüttete freilegt und dabei einen schreienden, oft verzweifelten Humor entwickelt." Foto: Österreichischer Buchpreis/Lechner