Krampus
Foto: Othmar Seehauser
Gesellschaft | fritto misto

Von Krampussen und Krippen

In Sterzing wird geprügelt, in Bozen geschleimt. Oh, du fröhliche Weihnachtszeit!

Ich freue mich ja immer, wenn Tabus fallen und offen über ansonsten verschämt Verschwiegenes geredet wird. Wie groß also meine Freude, als ich auf Salto.bz den Artikel mit dem schönen Titel „Wir sind auf ‚Prügel‘ aus“ erblicken durfte: Endlich meldete sich da mal die Südtiroler BDSM-Community zu Wort, von der ich bis dato ja leider herzlich wenig wusste. Die Ernüchterung folgte sogleich: Statt Züchtigungs- und Unterwerfungsspielen ging’s da natürlich wieder „nur“ um den Sterzinger Krampuslauf, der ja national schon breit gecovert worden war, nachdem die Krampusse dort besonders heftig gekrampust und, das ist wohl das einzig Neue daran, dabei gefilmt worden waren. 

Hach. Die Empörung ist natürlich groß: „Brutal“ sei das, „primitiv“, „furchterregend“. Furchterregend finde ich persönlich in erster Linie, wie lieblos und billig die meisten Krampusse heutzutage daherkommen. Mit grellen Lämpchen als Augen wie eine abgewrackte Leuchtanzeige für einen drittklassigen Nachtclub, mit verfilztem Synthetikpelz, der dem Träger ich möchte nicht wissen welchen Ausdünstungsmief und Juckreiz beschert, mit schäbigen Made in China-Latexmasken aus dem „Pfiff Toys“, die so grotesk schaurig sein wollen, dass sie fast schon wieder komisch sind. Geh bitte. Wo bleibt der Stil, liebe Krampusse? Ich verlange ja keine Ausstattung by Lagerfeld, aber ein bissl mehr Wert auf euer Äußeres könntet ihr schon legen. Ich denke da etwa an Bram Stoker’s Dracula, der hat Klasse UND ist schiach. Ihr hingegen nähert euch optisch immer mehr einem Rudel Streunerkatzen an, denen man hauptsächlich deshalb nicht zu nahe kommen will, weil sie verdächtig nach Milbenbefall und starkem Mundgeruch aussehen. Macht da was! Lasst euch nicht so gehen! Ich habe alte Barbies, die mir mehr Schrecken einjagen als ihr. Eure neumodische Pseudo-Schocker-Version erinnert mich immer ein wenig an das da. Oder an das da. Jedenfalls sieht so für mich ein „schöner“ Krampus aus, dessen Anblick einem die Tränen in die Augen treibt. Bei euch passiert das hauptsächlich aus Leiden am ästhetischen Fail.

Ich kann es ja sogar ein stückweit nachvollziehen: Jede*r von uns hat schließlich genug Dreck am Stecken, der sich das ganze Jahr so ansammelt. Wie befreiend also, sich einmal jährlich vom Krampus kasteien zu lassen und als Buße ein paar blaue Flecken einzustecken.

Aber Schluss mit diesem Exkurs, zurück nach Sterzing: Dort, und nicht nur dort freut man sich offenbar das ganze Jahr drauf, beim Krampusumzug verdroschen zu werden. „Manche wären todunglücklich, wenn sie nicht erwischt worden wären“, beteuert Bürgermeister Fritz-Karl Messner, und das gibt mir jetzt ein bisschen zu denken bezüglich Persönlichkeitsstruktur der Sterzinger*Innen (wobei: Machen da Frauen überhaupt mit? Und wenn nein, sagt uns das eventuell etwas?). Aber gut, ich will diesmal nicht so sein, wie ich sonst immer bin, und sage: Lasst sie doch! Die einen wollen hauen, die anderen verhauen werden: Ist doch schön, wenn sich Angebot und Nachfrage so harmonisch ergänzen. Muss ja keiner mitmachen, der oder die nicht will. (Einvernehmlichkeit ist ja auch beim BDSM ganz wichtig, nur um drauf zurückzukommen.) Ich kann es ja sogar ein stückweit nachvollziehen: Jede*r von uns hat schließlich genug Dreck am Stecken, der sich das ganze Jahr so ansammelt. Wie befreiend also, sich einmal jährlich vom Krampus kasteien zu lassen und als Buße ein paar blaue Flecken einzustecken. Es hat was von den Flagellanten, nur eben in der Light-Version, und dass man halt doch ein bisschen toller dasteht, wenn man sich mit den bösen Zottelmännern angelegt hat, als wenn man sich selber etwas ungelenk die Peitsche über den Rücken zieht. Man spart sich die Beichte, die Entschuldigungen bei den Mitmenschen, eventuell auch den Psychologen oder den Frust-Alkohol: Einmal Krampus-Katharsis, schon ist man geläutert und kann dann weitermachen wie zuvor. Das hat doch was. 

 

Sogar bis in den englischen „Guardian“ schafften es die Sterzinger Krampus-Exzesse; der beschrieb den Zottel als „no one’s idea of a welcome guest on a winter’s night“, also jemanden, den man in einer Winternacht ganz sicher nicht freiwillig die Haustür öffnen würde. Womit wir bei Giuliano Vettorato wären. Der Lega-Abgeordnete im Südtiroler Landtag verschickte jüngst in seiner Funktion als Landeshauptmannstellvertreter einen rührseligen (obgenannter „Guardian“ würde ihn wohl „schmaltzy“ nennen) Brief an die italienischen Schulen des Landes, in dem er die „dirigenti“ dazu auffordert, in den Schulen Krippen aufzustellen sowie in den Klassenzimmern Lichter und „simboli“ anzubringen „che trasmettano gioia e possano riscaldare, ancor di piu‘, i cuori dei nostri ragazzi“. Ich bin mir nicht sicher, ob schnöde Weihnachtsdeko die Herzen unserer Teenager riskaldiert, oder ob das nicht eher der oder die fesche Banknachbar*in erledigt; unbestritten ist natürlich, dass sich der desolate Zustand so manches italienischen Schulgebäudes mit etwas Flitter von OBI zumindest oberflächlich kaschieren ließe. Unbestritten auch, dass sich der pathetisch-klebrige Tonfall Vettoratos vorzüglich im „Adventsfest der 100.000 Lichter“ machen würde; flatterte mir jedoch als Führungskraft so ein Briefchen ins Haus, fühlte ich mir unangenehm ans Allerheiligste gefasst: War Religion nicht mal Privatsache? Soll ein Politiker sich ungefragt in derart hochpersönliche Angelegenheiten mischen? Genauso übergriffig wäre es, würde er an das regelmäßige Wechseln der Unterwäsche erinnern; der Wortlaut des Briefes müsste sich gar nicht groß ändern:

„Si trattera‘, voglio porlo fin subito in evidenza, di una scelta personale, che non vuole e non sara’ certamente imposta dalla Provincia e dal sottoscritto. [Wäre auch noch schöner.] Il mio e’ un appello accorato, restando fermamente convinto che un cambio giornaliero delle mutande e le sue tradizioni siano un simbolo della nostra societa’, sul quale riflettere e che esprime valori profondi e universali come l’igiene e la pulizia, in cui tutti noi possiamo ritrovarci. Il cambio giornaliero delle mutande e la sua tradizione si impara da bambini, ce lo tramandano nonni e genitori. Abbiamo il dovere di coltivarlo e tramandarlo a chi verra’.” Unangenehm, oder?

Ich bin mir nicht sicher, ob schnöde Weihnachtsdeko die Herzen unserer Teenager riskaldiert, oder ob das nicht eher der oder die fesche Banknachbar*in erledigt; unbestritten ist natürlich, dass sich der desolate Zustand so manches italienischen Schulgebäudes mit etwas Flitter von OBI zumindest oberflächlich kaschieren ließe.

Aber ich tue Herrn Vettorato Unrecht, bestimmt will er durch das Aufstellen der Krippe tatsächlich nur das Verbindende zwischen den Kulturen der Schüler*innen unterstreichen, die „fratellanza“ eben, und nicht etwa Unterschiede herausarbeiten, wie sie sich durch verschiedene Religions- und kulturelle Zugehörigkeiten eben ergeben. Deshalb sein Beharren auf konkret christlichen Symbolen und Traditionen wie dem „presepe“, anstatt einem Verweis auf rein weltliche Zeichen von Frieden und Nächstenliebe, die universal verwendet und verstanden werden.

Na gut, dann eben die Krippe. Aber wenn schon, bitte authentisch. Mit einer dunkelhäutigen Heiligen Familie, der unbarmherzige Menschen die Aufnahme verweigerten, und die deshalb in einem Stall hausen müssen. Aber hoppala. Erstaunlich aktuell das alles. Ob der Leghista sich das wirklich gut überlegt hat? Die Kreativität der Schulen unterschätzt er jedenfalls. 

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Christoph Moar Mi., 11.12.2019 - 18:23

Oh mein Gott. Das hat er wirklich geschrieben. Den Wortlaut hatte ich bewusst nicht gelesen. Ich merke jetzt, dass ich dabei was verpasst hatte.

Mi., 11.12.2019 - 18:23 Permalink
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Lorena Ruaz Do., 12.12.2019 - 08:42

"Na gut, dann eben die Krippe. Aber wenn schon, bitte authentisch. Mit einer dunkelhäutigen Heiligen Familie, der unbarmherzige Menschen die Aufnahme verweigerten, und die deshalb in einem Stall hausen müssen. Aber hoppala. Erstaunlich aktuell das alles."
Danke Frau Kienzl, vielleicht sollten Herr Vettorato & friends mal zu Ihnen in die Bibelstunde.

Do., 12.12.2019 - 08:42 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Do., 12.12.2019 - 09:05

"....in den Schulen Krippen aufzustellen sowie in den Klassenzimmern Lichter und „simboli“ anzubringen „che trasmettano gioia e possano riscaldare, ancor di piu‘, i cuori dei nostri ragazzi“. Ich teile diesbezüglich ziemlich die Meinung von Arnold Tribus, die er in einem Leitartikel diesbezüglich geäußert hat. Mit der Einschränkung, dass man das macht, wenn es in dieser Schule schon vorher gemacht wurde.
Ich teile nicht die Meinung von Frau Kienzl, dass Religion in der Schule nichts zu suchen habe. Das Problem ist nur die Beschränkung auf die christliche bzw. katholische Religion. Das Fach müsste heißen Religionen und Märchen aus aller Welt: in der Grundschule das Weihnachtsmärchen, in der Mittelschule Geschichten aus tausend und einer Nacht, in der Oberschule die Novellen des Decamerone und der Racconti di Canterbury. Sie würden sehen Frau Kienzl, dass die Augen vieler Schüler/innen - unabhängig von ihrer Herkunft, Kultur und Religion - leuchten würden!

Do., 12.12.2019 - 09:05 Permalink
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Michl T. Do., 12.12.2019 - 12:23

der Text von Vettorato ist vielseitig einsetzbar!

Egregi signori e signore,
si trattera‘, voglio porlo fin subito in evidenza, di una scelta personale, che non vuole e non sara’ certamente imposta dalla Provincia e dal sottoscritto.
Il mio e’ un appello accorato, restando fermamente convinto che un *Brocken Speck und awian a herts Brout dahoam zu hobm* siano un simbolo della nostra societa’, sul quale riflettere e che esprime valori profondi e universali come *Hausverstond, Gostfreindschoft und guater Gschmock*, in cui tutti noi possiamo ritrovarci. *Den Wert fa Südtiroler Qualitätsprodukte* e la sua tradizione si impara da bambini, ce lo tramandano nonni e genitori. Abbiamo il dovere di coltivarlo e tramandarlo a chi verra’.”

Do., 12.12.2019 - 12:23 Permalink
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gorgias Fr., 13.12.2019 - 16:56

Antwort auf von Oskar Egger

Es ist absolut irrelevant welche ethnizität der christliche Messias hat, (der jüdische kann es nicht sein, die warten noch immer darauf, dass er kommt), weil er über diese hinausgeht und für die ganze Menschheit am Kreuze gestorben ist. So wurde Jesus schon sehr früh mit helenischen Gesichtzügen dargestellt und wird auch heute noch in unterschiedlichen Kulturen mit verschiedenen Gesichtzügen dargestellt. Authentisch ist die Botschaft und nicht ob der Esel links war und der Ochse rechts oder umgekehrt.

https://www.youtube.com/watch?v=hhtOGkUqVTU
https://www.youtube.com/watch?v=VNucU38A67k

Fr., 13.12.2019 - 16:56 Permalink