La Falda: Der Kampf gegen Grundwasser
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Den Bewohnerinnen und Bewohnern von Sinich steht das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals. Keller laufen voll, Spielplätze werden geflutet, Aufzugsschächte stehen unter Wasser, in Kontrollschächten sieht man die „Falda“, zu deutsch: den Grundwasserspiegel, oft nicht einmal einen halben Meter unter der Straßenoberfläche.
Die Ursache liegt tief im Boden und im Verkennen von Sinichs Geschichte. Lange wurde das Problem politisch ignoriert. Während bei der Suche nach Verantwortlichen von Gemeinde und Provinz der Ball hin und her gespielt wurde, waren die Menschen in Sinich auf sich allein gestellt, mit ihren Füßen im Grundwasser.
Die drei Bewohner Fabrizio Nicolini, Paolo Nardo und Roberto Scala zeigen SALTO jene Stellen, an denen deutlich wird, wie tief das Problem reicht und wie lange es übersehen wurde.
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Es war einmal ein Entwässerungssystem
Fabrizio Nicolini: steht auf einem der ehemaligen Kanäle, der einst das Grundwasser in die Etsch leitete. Foto: Mauro PodiniDort, wo heute Autos parken, verlief einst einer der wichtigsten Entwässerungskanäle Sinichs: ein offener Kanal nördlich des Ortskerns – der heutigen Piazza Vittorio Veneto –, der das Wasser sammelte, das vom Naiftal auf Sinich herabfließt und den Grundwasserspiegel anhebt.
Dabei ist der Kanal nur einer von vielen, die allesamt dieselbe Funktion erfüllten: Wasser aufnehmen, abführen und den Grundwasserspiegel niedrig halten. „Damit ein solcher Drainage-Kanal funktioniert, muss er offen sein“, erklärt Fabrizio Nicolini, der in Sinich geboren und aufgewachsen ist und noch genau weiß, wie breit und tief der Graben einmal war. Heute ist ein rund 300 Meter langes Teilstück verrohrt – und damit praktisch wirkungslos. Das Grundwasser gelangt gar nicht mehr in den Kanal, sondern staut sich unterirdisch, direkt unter dem Ortskern und den angrenzenden Gebäuden bis hin zu den südlicheren Siedlungen Sinichs nahe des Fußballplatzes an der Enrico-Fermi-Straße.
Der Kanal ist eine Hauptschlagader des durchdachten Kanalnetzes, welches die Besiedelung des Gebiets einst möglich machte.
Altes Sinich: Das Gebiet des ehemaligen Etschlaufs wurde durch ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem trockengelegt und von italienischen Kolonisten besiedelt. Auf der Fotografie des ältesten Gemeindeteils „Borgo Vittoria“ lässt sich noch ein großer Hauptkanal hinter der Dorfkirche erkennen. Foto: Tommaso CortellessaDie SALTO Video-Reportage, die dem Problem des Grundwassers unter den Gullys, in den Straßen und auf den Feldwegen Sinichs auf den Grund geht, findest du HIER.
„Früher war es Pflicht, die Kanäle sauber zu halten“
Sinich entstand auf einem Gebiet, das früher vom alten Verlauf der Etsch geprägt war. Es war Teil eines rund 440 Hektar großen Geländes des ehemaligen Herrn von Schloss Katzenstein, des Barons von Deuter. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieser vom faschistischen Regime als „Feind der Nation“ enteignet und vertrieben.
Im Zuge der Italianisierung wurde Ende der 1920er Jahre die vormals sumpfige Ebene systematisch entwässert und landwirtschaftlich nutzbar gemacht. Der Frontkämpferbund – Opera Nazionale Combattenti (ONC) übergab das gewonnene Land italienischen Siedlern („colonni“), die es landwirtschaftlich bewirtschaften sollten.
Später wurde das Gebiet noch um die Höfe von Optanten erweitert, die italienischen Siedlern von der Ente Nazionale per le Tre Venezie (ENTV) übergeben wurden, sowie um den Stadtteil Villaggio Montecatini, die Arbeitersiedlung der Fabrikarbeiter der ehemaligen Montecatini-Fabrik, wo Pumpsysteme zur Ableitung von Ab- und Grundwasser installiert wurden. So formte sich Sinich in seiner heutigen Ausdehnung und mit ihm die essenzielle Infrastruktur für die Entwässerung, welche die Bewohnbarkeit des Gebiets garantierte.
Vernachlässigte Verantwortung
Paolo Nardo: Der Großvater des Kolonisten-Sohns und gebürtigen Sinichers gab sein Leben für die Instandhaltung des Kanalsystems. Umso größer ist das Bedauern, mit dem Paolo Nardo heute auf das verkannte Grundwasser-Problem blickt. Foto: Mauro Podini„Früher war es Pflicht, die Kanäle sauber zu halten“, erinnert sich Paolo Nardo, gebürtiger Sinicher und Sohn eines Kolonisten. Den italienischen Kolonisten wurde mittels Halbpacht ein Hof zur Bewirtschaftung überlassen – zur Hälfte blieb er also Besitz der ONC. Als Pächter waren die Siedler vertraglich dazu verpflichtet, die Gräben und Kanäle auf seinem Grundstück, die im Zuge der „Bonifica“-Phase zur Landgewinnung ausgehoben wurden, instand zu halten. „Später wurden diese Verträge leider nicht mehr verlängert und viele Hofpächter verloren ihre Grundstücke“, erklärt Nardo. Mit der Auflösung der ONC in den 1970er-Jahren gingen dann große Flächenanteile in das Eigentum des Landes über – samt Verantwortung für die Entwässerung. Wie Paolo Nardo bekräftigt: „Eine Verantwortung, die faktisch nicht mehr wahrgenommen wurde“.
„Das Abschaffen der Systeme, die in einem bewohnten Areal die Trockenlegung garantieren, ist, als würde man in einem Steinschlaggebiet alle Schutzdämme und Netze abbauen!“
In den 1980er-Jahren begann die systematische Bebauung der Flächen. Wohnhäuser, Straßen, Obstplantagen und Schulen entstanden dort, wo früher Wasser durch das Entwässerungssystem seinen Weg fand. Viele Kanäle wurden verrohrt, zugeschüttet, verlegt oder verengt, das Pumpwerk stillgelegt. Mitte der 2000er-Jahre kulminierte der Rückbau: Die Pumpstation in der Via Fermi wurde komplett stillgelegt. Wo einst Messwannen und Pumpsysteme waren, befindet sich heute ein Haus mit Garten. Aufgrund unnachsichtiger baulicher Eingriffe, so bestätigen dies auch Hydrologen und Geologen, wurde die Trockenlegung des ehemaligen Etschlaufs konsequent rückgängig gemacht.
Die Folgen prägen den Alltag der Anwohnerinnen und Anwohner Sinichs.
Grundwasser bis zum HalsIn Kontrollschächten, die früher trocken waren, steht heute dauerhaft eine Wassersäule. Zeitweise klettert das Grundwasser bis zu etwa einem halben Meter unter Straßenniveau, sichtbar an den Rostspuren unter den Gullydeckeln im Gemeindezentrum. Zum Vergleich: In der Zeit der funktionierenden Bonifizierung wurde das Grundwasser laut Zeitzeugen konstant auf zwei bis zweieinhalb Meter unter der Oberfläche gehalten. „Das jetzige System hat den Zustand von vor der Bonifizierung beinahe wiederhergestellt“, heißt es im Gespräch mit Fabrizio Nicolini. Er zieht einen drastischen Vergleich: „Das Abschaffen der Systeme, die in einem bewohnten Areal die Trockenlegung garantieren, ist, als würde man in einem Steinschlaggebiet alle Schutzdämme und Netze abbauen – unter dem Motto: Solange nichts passiert, wird es schon passen.“
„Im Ernstfall sind wir auf uns gestellt“
Roberto Scala: „Im Ernstfall sind wir auf uns gestellt. Wenn die Keller unter Wasser stehen, müssen wir uns auf eigene Kosten Pumpen installieren.“ Foto: Mauro PodiniFür die Bewohner bedeutet das: „Im Ernstfall sind wir auf uns gestellt“, erzählt auch Roberto Scala, der bereits seit rund dreißig Jahren in der Fermi-Straße wohnt. In den Wohnungen und Häusern rund um die Fermi-Straße mussten viele der Anwohnenden auf eigene Kosten Pumpen installieren, um Wasser aus Kellern und Aufzugsschächten zu entfernen. Wo die Technik versagt oder zu spät anspringt, bleiben Schäden: durchnässte Einlagerungen, feuchte Wände, Schimmel.
Beschwerden an Land und Gemeinde seien lange ins Leere gelaufen, erzählen die Betroffenen. Die Provinz verweise auf die Zuständigkeit der Gemeinde, die Gemeinde sehe die Verantwortung eher beim Land als Eigentümerin der Flächen. Währenddessen steigt das Wasser.
Eine zusätzliche Verschärfung des Problems sieht Scala auch im Rückgang industrieller Wasserentnahmen. Der ehemalige Mitarbeiter im Polysilizium-Werk des Konzerns MEMC (später Solland) beschreibt, dass, solange der Betrieb aufrecht war, große Mengen Grundwasser für Kühlanlagen entnommen wurden – mit spürbarer Wirkung auf das Gesamtsystem. Seit der Stilllegung dieses Bereichs Anfang der 2010er-Jahre falle dieser „Nebeneffekt“ weg.
Wie soll es weitergehen?
Tommaso Cortellessa: erklärt die politischen Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte und verweist auf die Notwendigkeit den Schaden nun zu begrenzen. Foto: Mauro PodiniInzwischen haben Gemeinde und Land das Problem offiziell anerkannt. Im Rathaus wächst das Bewusstsein, dass es sich nicht um Einzelfälle in einigen Kellern handelt, sondern um ein strukturelles Risiko für das ganze Viertel. Laut dem Meraner Gemeinderat Tommaso Cortellessa (Alleanza per Merano) hat die Gemeinde für 2025 rund 170.000 Euro vorgesehen, um eine Machbarkeitsstudie zu finanzieren. Sie soll bestehende Studien und Projektideen bündeln und eine wirtschaftlich tragfähige Lösung ausarbeiten, die die Grundwasserprobleme entschärft. Die beteiligten Techniker würden die Erwartungen allerdings dämpfen: Weder die veränderte Bebauung noch der Klimawandel lassen sich zurückdrehen, deshalb sei eine vollständige Lösung kaum realistisch. Es gehe darum, die Risiken und Schäden zu minimieren.
„Das Wasser holt sich zurück, was man ihm genommen hat“
Konkret ist etwa geplant, in bestimmten Feldern wieder Drainagen zu verlegen und einzelne Kanäle zu reaktivieren. Aus Sicht der Betroffenen wäre ein zentraler Schritt, die ehemalige Pumpstation in der Fermi-Straße – oder eine moderne Variante davon – wieder in Betrieb zu nehmen. Erst wenn das Wasser aktiv aus dem System gehoben werde, könne der Grundwasserspiegel gesenkt werden.
Allen Befragten scheint bewusst, dass die Rückkehr zu einem Entwässerungssystem, wie es in den 1920er- und 1930er-Jahre bestand, illusorisch ist. Die Landschaft ist heute dicht bebaut, die Topografie durch Straßen, Häuser und Gewerbegebiete verändert. Doch eines, sagen sie, sei politisch und technisch unumgänglich: „Zumindest ein Teil des ehemaligen Entwässerungssystems muss wiederhergestellt werden, sonst holt sich das Wasser zurück, was man ihm genommen hat“, so Paolo Nardo. Es gehe darum, ob eine Gemeinde, die einst dem Sumpf abgerungen und für viele ein Zuhause wurde, langfristig bewohnbar bleibt oder wieder langsam im Wasser versinkt.
UpdateKorrektur vom 13.12.25, 23:00 Uhr: Der Bau des Kanals hinter der Grundschule "Giovanni XIII" wird von der Provinz mit dem Bereich für Wildbachverbauung der Agentur für Bevölkerungsschutz durchgeführt, nicht von der Gemeinde Meran.
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