Jung und Alt am Arbeitsplatz
Es ist bereits allseits bekannt und wenig überraschend: Italien wies im Jahr 2020 mit einem Durchschnittalter von 47,9 Jahren eine der ältesten Bevölkerungen sowohl im EU- als auch im Weltvergleich auf (Our World in Data, 2020). Laut Prognosen des Statistik-Portals Eurostat kamen im Jahr 2012 auf einen Rentner rund 2,9 Erwerbstätige, im Jahr 2050 sollen dies nur noch 1,5 Erwerbstätige sein, sprich nicht einmal zwei ganze Arbeitskräfte pro pensionierter Arbeitskraft. Auch die Südtiroler Arbeitswelt bekommt dies zu spüren, beispielweise sehen sich viele Unternehmen sowie die öffentliche Verwaltung in den kommenden Jahren mit einer hohen Pensionierungswelle konfrontiert. Die Generation der Babyboomer, also die Jahrgänge von 1946 bis 1964, tritt vermehrt ihren Ruhestand an und überlässt das Zepter den Folgegenerationen. Sowohl aus strategischer als auch aus arbeitspsychologischer Sicht stellt sich dabei primär die Frage, ob und welche Unterschiede es zwischen den angehenden Ruheständlern und den „jungen Hungrigen“ gibt. Diese Erkenntnisse sind besonders für die generelle Tätigkeitsplanung von zentraler Bedeutung, um den Anforderungen beider gerecht werden zu können.
Altersbedingter Leistungswandel
Aus einer AFI-Studie, die im Rahmen der EWCS-Reihe (European Working Conditions Survey) veröffentlicht worden ist, geht hervor, dass sich der altersbedingte Leistungswandel von Mitarbeitern unmittelbar auf die betriebliche Leistungsfähigkeit auswirkt. Die daraus gewonnenen Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass die älteren ArbeitnehmerInnen im Laufe ihrer Berufslaufbahn zwar an Kraft und Schnelligkeit verlieren, dies aber mit ihrer Expertise und Erfahrung wettmachen. Kluge ArbeitgeberInnen können einen Nutzen aus den jeweiligen Stärken ziehen und die meist fehlende Fachkenntnis junger Beschäftigter mit dem Erfahrungsreichtum ihrer älteren Routiniers kompensieren - und umgekehrt. Das Resultat ist ein besonders effizienter Ausgleichsmechanismus, von dem Jung und Alt profitieren können.
Körperliche Belastung
Erstaunlicherweise gibt ein Großteil der älteren Beschäftigten an, sich in derselben Branche körperlich weniger belastet zu fühlen als jüngere Arbeitskräfte. Grund dafür ist eine Reihe von Faktoren: einerseits stellt sich mit der Zeit eine Art Gewöhnungseffekt ein, sodass die Last einer bestimmten Tätigkeit als geringer eingeschätzt wird, andererseits spielt auch die Betriebshierarchie eine bedeutende Rolle, da ArbeitnehmerInnen mit zunehmendem Alter meist auch mehr Verantwortung übernehmen. Die Knochenjobs werden also an jüngere Beschäftigte weitergegeben, während die „Seniors“ ihnen mit Ratschlägen zur Seite stehen.
Ein weiterer Grund dafür ist mitunter auch die sogenannte Branchenflucht. Diese vollzieht sich, wenn Beschäftigte ihre berufliche Tätigkeit aufgrund erhöhter körperlicher Belastung aufgeben, um beispielsweise in einen körperlich weniger fordernden Bürojob einzusteigen.
Psychische Belastung
Hinsichtlich der psychischen Belastung zeichnet sich bei den älteren Generationen dasselbe Muster ab wie bei jener körperlichen Natur: auch hier fühlen sich ältere Beschäftigte weniger gefordert als jüngere. Grund dafür ist eine hohe Resilienz sowie eine eingespielte Arbeitsroutine der älteren Mitarbeiter, die sie sich mit den Arbeitsjahren angeeignet haben. Diese schwächen den Einfluss psychischer Alltagsbelastungen im Arbeitsumfeld deutlich ab, was sich beispielsweise im wahrgenommenen Arbeitstempo beider Altersgruppen widerspiegelt: Während mehr als die Hälfte der jungen ArbeitnehmerInnen das eigene Arbeitstempo als hoch einschätzt, trifft dies bei nur mehr auf etwa ein Drittel der Älteren zu.
Während mehr als die Hälfte der jungen ArbeitnehmerInnen das eigene Arbeitstempo als hoch einschätzt, trifft dies bei nur mehr auf etwa ein Drittel der Älteren zu.
Geistige Herausforderungen bei der Arbeit
Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer sollten auf kognitiver Ebene gefordert, aber gleichzeitig nicht überfordert werden. Geistige Tätigkeiten halten den Kopf fit und bringen eine willkommene Abwechslung in den (oft monotonen) Arbeitsalltag. Arbeitnehmer über 50 fühlen sich laut AFI-Daten hinsichtlich ihrer Tätigkeiten deutlich weniger geistig herausgefordert als jüngere Beschäftigte (4% bzw. 7%). Die Art des Bildungsabschlusses fällt hierbei am meisten ins Gewicht, so absolviert heutzutage eine weitaus höhere Anzahl junger Erwachsener ein weiterführendes Studium im Vergleich zur älteren Arbeiternehmergeneration. Dies basiert auf der Tatsache, dass die Arbeitswelt immer spezialisiertere Fachkräfte benötigt.
Einschätzung der Karrieremöglichkeiten
„Du bist noch jung – dir steht die Welt noch offen“ bewahrt sich hinsichtlich der wahrgenommenen Karrieremöglichkeiten von Jung und Alt alle Ehre: Während die „jungen Hungrigen“ ihrer zukünftigen Karriere deutlich optimistisch entgegensehen (47% sind davon überzeugt, dass ihr Betrieb gute Aufstiegschancen bietet), schätzen nur noch 27% der Beschäftigten mittleren Alters (35 bis 49 Jahre) ihre Karrieremöglichkeiten als gut ein. Schlusslicht stellen die ArbeitnehmerInnen ab 50 dar, von denen nur noch 22% positiv gestimmt sind, was ihre bevorstehende Karrierelaufbahn anbelangt. Der Pessimismus der Arbeitgeber, der parallel zum Alter anzusteigen scheint, gründet im Umstand, dass die meisten älteren Beschäftigten die Karriereleiter bereits emporgestiegen sind und sich deshalb in absehbarer Zeit keine weiteren Beförderungen vorstellen können.
Fazit
Andere Zeiten erfordern andere Fertigkeiten – dies spiegelt sich auch in den Kenntnissen und Fähigkeiten der verschiedenen Altersgruppen von ArbeitnehmerInnen wider. Während die älteren Generationen - sprich jene von 50 Jahren aufwärts - über ein großes soziales Arbeitsumfeld und weitaus mehr (Berufs)Erfahrung verfügen als jüngere Beschäftigte, können sie der sogenannten Generation Z hinsichtlich des digitalen Know-hows nicht das Wasser reichen. Man sollte die verschiedenen Altersgruppen nicht isoliert betrachten, sondern in jeder von ihnen die Chance eines intellektuellen, physischen sowie technologierelevanten Lückenfüllers für die vorherige oder darauffolgende Generation zu sehen. Jung und Alt stehen also nicht als Konkurrenten gegeneinander, sondern vielmehr als Lern- und Ergänzungselemente zueinander, wovon sowohl die Betroffenen selbst als auch deren Arbeitgeber klar profitieren können.
Ein Artikel von AFI-Praktikantin Karin Inama