Kultur | Salto Afternoon

Emotionen ohne Pathos

Reinhold Messners Regiedebüt „Still Alive...“ ist ein wunderbarer Dokumentarfilm geworden. Ruhig, einfühlsam und getragen von zwei beeindruckenden Protagonisten.
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Foto: servustv

Reinhold Messners Bild in der Öffentlichkeit ist geprägt durch klare Festschreibungen. Der Extrembergsteiger wird nicht nur in seiner Heimat als polternder Egomane, als besessener Macher und irgendwie als ein Verrückter wahrgenommen. Dass er in Wirklichkeit im Grunde seiner Seele aber durchaus bescheiden und schüchtern ist, kann sich niemand vorstellen, der ihn nicht besser kennt. Vor allem aber hat dieser Mensch, dessen Markenzeichen seine knochige Art ist, weit mehr Gefühl und Einfühlungsvermögen als mancher ihm zutrauen würde.
Der letzte Beweis dafür ist der eben erschienene Dokumentarfilm „Still Alive...“. Es ist Messner Regiedebüt. Hier steht der Extrembergsteiger nicht vor der Kamera, sondern dahinter. Das Ergebnis ist beeindruckend. Herausgekommen ist ein wunderbarer Dokumentarfilm. Ruhig, einfühlsam und vor allem ein Film, der Emotionen zeigt und noch mehr auslöst. Es ist ein Blick in die Abgründe des Menschen und gleichzeitig ein Paradestück für Hoffnung, Freundschaft und Leben.

Spitzenalpinisten Vitus und Hansjörg Auer: Kongeniale und überzeugende Darsteller

„Still Alive...“ zeichnet die unglaubliche Geschichte der beiden österreichischen Bergsteiger Gert Judmaier und Oswald Ölz nach. Die beiden damals jungen Mediziner besteigen am 5. September 1970 den 5.199 Meter hohen Mount Kenya. Beim Abstieg stürzt Judmaier unmittelbar unter dem Gipfel ab, schlägt nach 30 Metern freier Fall auf und zieht sich einen offenen Unterschenkelbruch zu. Damals ein Todesurteil. Denn auf dieser Höhe, mitten in Afrika, konnte ein Bergsteiger kaum gerettet werden. Ölz gelingt es am Ende seinen Seilpartner nicht nur sechs Tage lang am Leben zu halten, sondern auch Innsbrucker Bergretter (unter ihnen den bekannten Innsbrucker Transplantationsmediziner Raimund Margreiter) zu organisieren, die nach Kenia fliegen und am Ende Judmaier bergen können. Getrübt wird das Happy End durch den Absturz eines amerikanischen Hubschrauberpiloten, der an der Rettungsaktion teilgenommen hatte.
Getragen wird der Film durch die beiden Protagonisten Gert Judmaier und Oswald Ölz (beide waren bei der Premiere am Montag im Messner-Mountain-Kino auf Schloss Sigmundskron anwesend) und ihre unvergleichliche Art die Geschichte aus ihrer Innensicht zu erzählen. Ohne Schminke und nachträglichen Beschönigungen. Allein das Bekenntnis von Ölz, dass er sich am vierten Tag kurzzeitig wünschte, „wenn der Gerd doch sterben würde, dann könnte ich endlich absteigen“, zeigt mit welcher bewundernswerten Ehrlichkeit und Charakterfestigkeit beide hier zu Werke gehen.
In den Spielszenen im Film werden die beiden Hauptdarsteller von den Nordtiroler Brüdern und Spitzenalpinisten Hansjörg und Vitus Auer dargestellt. Sie machen deutlich, dass Bergsteiger hundertmal besser in einem Bergfilm aufgehoben sind, als umgekehrt Schauspieler am Berg.

"Man spürt, dass der Regisseur in seinem Metier ist. Reinhold Messner kennt das, was er darstellt nicht aus einem Drehbuch. Das machte diesen Fernsehfilm so stark."

Die dramatische Geschichte wäre für ein Actiondrama nur allzu verführerisch. Reinhold Messner hat als Regisseur genau das Gegenteil getan. Wie bei einer Klettertour hat er die Geschichte entschleunigt. Ruhig und gelassen wird Bild auf Bild gesetzt, bewusst unspektakulär dahinter das Wesentliche freigelegt: Das Leid, die Hoffnung, die Verzweiflung, der Tod und das Leben. Messner hat kein Heldenepos auf der Leinwand gezeichnet, befreit von jedem Pathos gelingt es ihm in diesem Film unverfälscht jene Emotionen zu vermitteln, die in diesen Extremsituationen am Berg und im Leben entstehen. Man spürt, dass der Regisseur in seinem Metier ist. Messner kennt das, was er darstellt, nicht aus einem Drehbuch. Das machte diesen Fernsehfilm so stark.
Als Reinhold Messner vor einigen Jahren bei der Südtiroler Filmförderung um einen Beitrag ansuchen wollte, wurde er von damaligen BLS-Chef Ulrich Stofner durchaus spöttisch gefragt: „Ja. können Sie das auch noch?“
„Still Alive...“ ist die beste Antwort auf diese blöde Frage.

 

 

Der Film „Still Alive... - Drama am Mt. Kenya“ wird am Mittwoch, den 12. Oktober um 20,15 Uhr auf servus.tv ausgestrahlt. Wiederholungen: Donnerstag 13. Oktober um 00.00 Uhr und um 9.10 Uhr, sowie am Samstag, den 15. Oktober um 12.50 Uhr.