Ricciardis Impfalarm
Mitte September versucht er es mit Überzeugungsarbeit, nun setzt Walter Ricciardi auf öffentlichen Druck auf die Landesverwaltung. Dem Präsidenten des nationalen Institutes für Gesundheit, des Istituto Superiore di Sanità (ISS) in Rom, zugleich Mitglied der WHO-Beratungskommission für Gesundheitsforschung, sind die Südtiroler zunehmend ein Dorn im Auge. Mitte September haben sie ihn bei seinem vom Sanitätsbetrieb organisierten Impfvorträgen vor leeren Sitzreihen sprechen lassen. Nun gibt es in der störrischen Provinz im Norden immer noch 1000 bis 1100 Kinder, die in den Kindergarten gehen dürfen ohne die gesetzlich vorgeschriebene Dokumentation bzw. Eigenerklärung zum Impfstatus ihres Kindes abgegeben zu haben, klagt Ricciardi in nationalen Medien wie dem Corriere della Sera.
Dort sei die deutschsprachige Bevölkerung der Provinz „kulturell bedingt gegen alles, das aus ihrer Sicht nicht natürlich ist“, wie die Südtiroler im nationalen Blatt beschrieben werden. Während sich also die Durchimpfungsrate laut dem ISS-Präsidenten in den vergangenen zwei Monaten im restlichen Staatsgebiet über die Erwartungen hinaus verbessert hätte, bleibe die Lage in Bozen "alarmierend", warnt Walter Ricciardi. Denn immerhin gehe es um jene Provinz, die seit jeher Schlusslicht in Italien sei – und bei Impfungen wie Masern, Mumps und Röteln eine Impfrate von nur 67 Prozent vorweisen kann, während für einen Schutz für die gesamte Bevölkerung laut Wissenschaft 95 Prozent nötig wären.
„Es braucht nun einen Akt der Verantwortung von Seite der lokalen Behörden“, ruft der Präsidenten des Istituto Superiore di Sanità die Landespolitik zum Handeln auf. Denn bisher könne man in Südtirol auch von dieser Seite „eine Art Duldung“ des zivilen Ungehorsams beobachten, kritisiert er Stocker & Co. Um mit einer Art „Siamo in Italia“ zur Räson zu rufen: „Es muss daran erinnert werden, dass das Gesetz, das zehn Pflichtimpfungen als Zugangsvoraussetzung für Schulen und Kindergärten vorsieht, ein nationales Gesetz ist und deshalb überall eingehalten werden muss.“
"Für sie ist alles bio"
Eine gewisse Resignation zeigt diesbezüglich nicht nur Martha Stocker. „Unsere Sensibilisierungskampagnen waren erfolglos“, gesteht die Gesundheitslandesrätin im Corriere ein. „Ich fürchte es wird schwierig, die hartnäckigen Impfgegner zu überzeugen.“ Auch Hausärzte-Gewerkschafterin Susanna Hoffmann spricht von einem hartnäckigen Widerstand, auf den HausärztInnen bei der erwachsenen Bevölkerung stoßen. „Schon für die Grippeimpfung kann man nur 30 Prozent der Über-65-Jährigen überzeugen“, sagt sie. Während die Überzeugungsarbeit in der Stadt noch gewisse Früchte trage, stoße man auf dem Land nicht nur bei Impfungen auf Barrieren. „Dort werden vielfach auch alle Arten von Screenings oder Untersuchungen wie Koloskopie oder Mammografie verweigert“, wird Hoffmann zitiert. „Die Menschen dort fühlen sich der Natur nahe, für sie ist alles bio.“