Gesellschaft | Moral und Recht

Franziskus und der Auftragsmord

Den Sager, dass Abtreibung Auftragsmord ist, hat Franziskus wohl nicht gründlich überlegt. Einige Fragen an die Leser – und die Theologen:
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Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch einen Friedhof und Ihre Aufmerksamkeit fällt auf ein Grab-Kreuz auf dem steht „Hier ruht Franz von …., gestorben durch einen Auftragsmord am …., durchgeführt von Dr.…… in der Krankenhaus-Abteilung …..“ Nun das war nur eine Aufforderung sich das vorzustellen, denn in Wirklichkeit werden Sie das nicht finden. Sie finden auch keine Grabkreuze für Frühgeborene. Sie werden auch noch nie von einer Trauerfeier oder einem Begräbnis für bei einer Frühgeburt verstorbenen Fötus gehört haben! Aber  warum nicht, wenn für die Kirche und Franziskus ungeborenes Leben dem geborenen gleich gesetzt wird? Wenn ein halbentwickelter Fötus schon einem geborenen Menschen gleichgesetzt wird? Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Haben Sie schon eine Mutter kennen gelernt, die wenn sie nach der Anzahl ihrer Kinder gefragt wird, ihre evtl. Frühgeburten mitzählt und nennt? Kennen Sie Menschen, die um ihre ungeborenen Geschwister trauern?

Uns wurde jedenfalls vom Katecheten beigebracht, dass mit der Geburt das Leben beginnt und dass mit dem ersten Atemzug dem Kind die Seele eingehaucht wird. Darauf stützen sich auch alle astrologischen Berechnungen für das Horoskop. Und erst dann werden wir mit der genauen Uhrzeit in das Geburtsregister der Gemeinde eingetragen und gelten als eigenständige Person und nicht mehr als werdende Frucht im Mutterleibe. Und was sagt die Kirche zu Lebewesen ohne Seele?

Bei der Suche nach Definitionen für Mord finde ich keine, die auch die Tötung ungeborenen Lebens beinhaltet!

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Benno Kusstatscher Fr., 12.10.2018 - 08:35

Sepp, hier lesen nicht nur unbetroffene Theologen mit, deshalb möchte ich Deine provokante Fragestellung in Bahnen lenken.

Bei allem berechtigten Zweifel an päpstlichen Vergleichen, den Tod von ungeborenem Leben zu bagatellisieren, entwürdigt die Tränen, die Mütter, Väter, Geschwister vergießen und die teils dramatische Trauerarbeit, die junge Familien sehr wohl zu leisten haben. Das Schmetterlingsgrab am Oberauer Friedhof etwa ist ein beklemmender Ort - natürlich auch deshalb, weil ungetauftem Leben die christliche Begleitung verweigert wird, weil die Gesellschaft erwartet, dass die schmerzliche Erfahrung nicht an die große Glocke gehängt wird. Tabu!

Es reicht, sich das Paradox eines Kaiserschnittshoroskops zu vergegenwärtigen, bestenfalls Tranzendenz des Urlaubsplans der Klinik, oder Fremdatmung im Brutkasten, um die Allgemeingültigkeit der Geburt als Stunde null anzuzweifeln. Somit bleibt Abtreibung eine ethische Frage, eine Gewissensentscheidung, bei der junge Frauen gewiss auf pauschalierende Sprüche alter Männer in Rom verzichten können. Mit der Entscheidung allein gelassen zu werden, mag schrecklich sein, aber immer noch besser als archaischen Moralleitlinien und gesellschaftlichen Erwartungshaltungen ausgesetzt zu werden. Den unschuldigen Geschöpfen gleich die Seele abzusprechen, ist da wohl auch kein Trost.

Fr., 12.10.2018 - 08:35 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 12.10.2018 - 09:27

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Benno, danke dass du diese Sichtweise einbringst und somit meine provokante Fragestellung in Bahnen lenkst. Ich bin mit deiner Sichtweise und den Verweisen voll einverstanden. Den Begriff Schmetterlingsgrab oder Schmetterlingsfriedhof kannte ich nicht. Ich habe Schmetterlingskinder immer in Zusammenhang mit einer Krankheit kennen gelernt. Im Dorf, von dem ich stamme, gibt es z.B. keinen ausgeklammerten Teil für ungetauftes Leben mehr. Ich denke, dass diesbezüglich die Kirche in der Ehevorbereitung das Paar auch darauf vorbereitet, eine sogenannte Nottaufe vorzunehmen. Ein Bekannter von mir hat mir beschrieben, wie schaurig es war, wenn der Pfarrer ihnen erklärt hat, wie sie das bei einer Frühgeburt machen müssten. Also dann wäre auch der tod-geborene Frühling schon Teil der Kirche, wird aber immer noch nicht entsprechend mit Trauer-Ritualen verabschiedet.
Ich weiß, dass es heute kaum noch Frühgeburten gibt und sich die Frage immer seltener stellt. Die Kirche hat aber eine Tradition, welche die paradoxe Behauptung des Papstes, den ich sonst schätze, total wiederlegt. Wenn ich nun heute in einer deutschen Tageszeitung lese, dass eine Reporterin dem Papst einen Brief geschrieben hat, in dem sie behauptet, dass Abtreibung keine Todsünde sei, dann erachte ich das als nicht zielführend. Ich bin auch deiner Meinung, dass man als aufgeklärter und selbstbestimmter Mensch in moralischen Fragen nicht mehr auf dem Papst und noch weniger den konservativen Theologie-Apparat hören muss.

Fr., 12.10.2018 - 09:27 Permalink
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Sepp.Bacher Sa., 13.10.2018 - 01:06

Ich habe nicht nach strafrechtlichen Definitionen gesucht, sondern nach Definitionen für Mord gegoogelt? Und ich habe den Begriff Mord eingegeben und nicht Totschlag oder Tötung; wir wissen doch alle, dass es zwischen diesen drei Begriffen nicht nur einen juridischen Unterschied gibt!

Sa., 13.10.2018 - 01:06 Permalink
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Erwin Demichiel Sa., 13.10.2018 - 22:10

Ich glaube, diese Aussage muss man auf dem Hintergrund des zur Zeit in der katholischen Kirche tobenden (mittlerweile auch offen) Krieges zwischen den extremen Fundamentalisten und den Liberalen interpretieren. Das Leben im Vatikan ist der Gesundheit nicht zuträglich und er wäre nicht der erste tote Papst. Papst Franziskus hat Angst - wie jeder Mensch an seiner Stelle.

Sa., 13.10.2018 - 22:10 Permalink
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Sepp.Bacher So., 14.10.2018 - 06:54

Antwort auf von Erwin Demichiel

Erwin Demichiel, was du schreibst ist verblüffend, einerseits, dass Franziskus im Vatikan um sein Leben bangen muss und andererseits dass die Aussagen eines Papstes zu grundlegenden Ethik-Fragen, von solchen Situationen abhängig sein sollen. Also in der kath. Weltkirche läuft´s nur gleich, wie in der Politik?!

So., 14.10.2018 - 06:54 Permalink
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Erwin Demichiel Di., 16.10.2018 - 13:46

Antwort auf von Sepp.Bacher

Ab einem bestimmten Punkt läuft es wohl gleich. Über mehr als 1000 Jahre war in Europa Geschichte gleich Kirchengeschichte mir allem was dazugehört: Macht und Verrat und Krieg und Mord und Totschlag. Es gibt wohl kein Verbrechen, das innerhalb der kirchlichen Institutionen nicht ausgiebig praktiziert worden wäre.
Den Fundamentalisten - egal welcher Farbe - ist alles zuzutrauen. Und heute sind sie in Kirchenkreisen stark wie schon lange nicht. Verteufelung von Schwangerschaftsunterbrechung ist ein Steckenpferd von denen, weil es auch bedeutet, die Frauen wieder an die Kandare zu nehmen. Ohne die kirchlichen Fundamentalisten gäbe es auch keinen Trump in den USA. Deshalb ist ein Schwenker des Papstes in dieser Sache verständlich.

Di., 16.10.2018 - 13:46 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 19.10.2018 - 17:24

Antwort auf von Erwin Demichiel

Hallo Erwin, da - wie zu erwarten - sich kein Theologe in die Diskussion eingeschaltet hat, habe ich einen mir bekannten Priester um seine Meinung gefragt, die ich in der Folge poste - dabei vertritt er eine analoge Ansicht: " Das Thema ist zu komplex, als dass es in wenigen Sätzen abgehandelt oder, noch schlimmer, auf ein paar Schlagwörter reduziert werden kann. Zur Wortwahl des Papstes (Auftragsmord): ich halte diesen Begriff im Zusammenhang mit Abtreibung für völlig unangebracht, noch dazu wenn er aus dem Munde des Papstes kommt. Unangebracht nicht zuletzt, weil der Begriff (ich nehme an ungewollt) zu undifferenziertem Denken und Sprechen einlädt und damit dem Problem als Ganzem nicht gerecht wird. Soviel zum Grundsätzlichen.
Zum Strategischen: Papst Franziskus redet sehr oft frei ohne von anderen vorbereitete Texte einfach vom Blatt abzulesen. Das macht ihn sympathisch bei sehr vielen Menschen. Frei reden ist immer auch mit einem gewissen Risiko verbunden, das darin besteht, manchmal Begriffe zu verwenden, die man von der Wirkung her betrachtet besser vermieden hätte. Franziskus hat wegen seiner manchmal unbedachten Wortwahl schon des Öfteren angeeckt gerade in innerkirchlichen Kreisen. Vielleicht wollte der Papst auch seinen zahlreichen konservativen Kritikern etwas entgegenkommen. Die werfen ihm ja immer wieder vor, er knicke vor dem Zeitgeist ein, er verwässere die traditionelle Lehre und Moral."

Fr., 19.10.2018 - 17:24 Permalink
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Karl Trojer Mi., 17.10.2018 - 18:41

Das Wunderbarste was auf unserem blauen Planeten entstanden ist, ist das LEBEN. Die Zeiten, da der Mensch das Zentrum des Universums war, sind Vergangenheit. Thomas von Aquin hat den Menschen ab dem 4 Monat nach der Zeugung als solchen erkannt. Damit könnte auch die 3-Monatsfrist für gesetzlich erlaubte Schwangerschaftsabbrüche einhergehen. Fragen wir uns, wo das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung bleibt, wenn ihnen ein Schwangerschaftsabbruch als Mord angelastet wird. Diese Handlung wird von keiner Frau leichtfertig vollzogen, meist bedingen verschiedenen Arten von Not diesen Entschluss. Wo bleibt der Aufschrei unerer Gesellschaft, wenn täglich zig-tausend Kinder verhungern oder als Strassenkinder in unmenschlichen Konditionen sich durchschlagen und Gewalt erfahren ? Wer springt jenen Müttern, ohne dass sie um Hilfe betteln müssten, bei, die trotz allem ihre "nicht gewünschten" Kinder pflegen ? Es ist absurd, dass Männer Frauen verurteilen, ohne dass sie vorher in solchen Notsituationen Hilfe leisteten !

Mi., 17.10.2018 - 18:41 Permalink