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„Geschichten als Karte oder Kompass“
Foto: „A noi rimane il mondo“
Der morgige Doppeltermin, von Arci Bolzano-Bozen in Zusammenarbeit mit der Bozner Libreria Ubik und Albolina Film organisiert, beginnt im Bozner Filmclub um 18 Uhr mit dem neuesten Buch aus der Feder des Kollektivs . „UFO 78“ (erschienen bei Einaudi) wird im Gespräch mit dem Bozner Journalisten und Schriftsteller Jadel Andreetto präsentiert, welcher bereits in der Vergangenheit mit dem Literaturkollektiv aus Bologna zusammen arbeitete. Es wurde ein Roman, der auf ein geschichtlich spannendes Jahr blickt: 1978 war nicht nur das Jahr der drei Päpste und der Ermordung Aldo Moros, es war auch das Jahr, in welchem es in Italien zu den meisten Ufo Sichtungen kam. Aus Südtiroler Sicht besonders spannend ist in dem Roman sicherlich die Figur des, an den in Bozen geborenen Science-Fiction Autor Peter Kolosimo angelehnten, Martin Zanka.
Noch naheliegender die Bezüge des zweiten Programmpunkts, der um 20 Uhr, ebenfalls im Bozner Filmclub beginnt: In Beisein des aus Bozen stammenden Regisseurs feiert der Dokumentar „A noi rimane il mondo“ von Armin Ferrari mit einigen Mitgliedern der Crew seine Südtirol-Premiere. Der Film, welcher zu Beginn der Corona-Pandemie gedreht wurde, gibt einen Einblick in die Arbeit des 2000 gegründeten Kollektivs und seiner Ableger. Armin Ferrari dokumentiert - kurz aber dicht - eine in Italien (und darüber hinaus) einzigartige Literaturbewegung. Gedreht wurde unter anderem in Bozen und in der Bibliothek von Kloster Neustift. Salto.bz hatte bereits im vergangenen Sommer Gelegenheit den Film zu sichten und Ferrari zu sprechen (siehe Verlinkung am Ende des Artikels). Daher geht es im folgenden Austausch mit Wu Ming 4 mehr um das Buch als um den Film.
Wu Ming 4, Peter Kolosimo war auch in Giuseppe Gennas autofiktionalem Roman „Medium“ von 2011 eine wichtige Figur und er, Genna, war bei den Anfängen des Projekts „UFO 78“ vor 16 Jahren dabei. Wie unterscheiden sich Gennas Peter Kolosimo und Martin Zanka?
Wu Ming 4: Einer ist die Inspirationsquelle, die Person, welche es effektiv gegeben hat; Der andere ist eine fiktive Person, eine Ableitung von ihm, die wir uns ausgedacht haben, ausgehend von der Biografie von Peter Kolosimo. Wir haben natürlich viel geändert: Die Herkunft der Figur, aber auch andere Elemente der Biografie, angefangen damit, dass unser Martin Zanka, als wir ihn am Anfang unseres Buches antreffen, sich in einer persönlichen und beruflichen Krise befindet. Er hat es satt immer die selben Dinge zu schreiben und will etwas anderes versuchen. Das ist die erzählerische Freiheit, welche wir angewandt haben.
Warum bezieht man sich im Nachnamen Zanka auf das Kobaïanische, eine von der französischen Progressive Rock Band Magma geschaffene Alien-Kunstsprache?
Tatsächlich war das ein Zufall: Wir waren online auf Wörterbücher des Kobaïanischen gestoßen und hatten festgestellt, dass „Zanka“ ein Wort auf Kobaïanisch ist, aber es war wirklich ein Zufall. Den Namen der Figur hatten wir bereits zuvor festgelegt, als eine Ableitung von Zanchini, einem Nachnamen, welcher meldeamtlich registriert ist. Das erschien uns dann fast ein Wink des Schicksals, dass „Zanka“ auch im Kobaïanischen eine Bedeutung hat…
Noch dazu eine zu Kolosimo passende: Mit „Sonne“ ist man schon bei den Sternen…
Genau.
Das ist etwas, was komplett den Stil eines Schriftstellers ändern könnte, ob der nun Dan Brown, Wu Ming oder Peter Kolosimo ist.
Ich würde gerne euren Essay zu Kolosimo „UFO e Rivoluzione“ zitieren: „Kolosmio hasste Dan Brown ante literam (mehr noch, ante nominem).“ Im Buchhandel liegt „UFO 78“ nun mit einer Bauchbinde auf, auf welcher der New Yorker zitiert wird: „Sie schreiben, wie Dan Brown auf Acid schreiben würde.“ Wäre Dan Brown für Sie durch Acid noch zu retten?
Ich weiß es nicht. Es wäre witzig ihm diese Frage zu stellen. Die Bauchbinde war von uns gewollt, weil es uns eine unterhaltsame Kombination schien. Eine lustige Definition unserer Arbeit, jene des New Yorker: Und nebenbei auch sehr passend zu diesem Buch, in welchem Drogen eine Rolle spielen, eine positive oder negative Rolle, abhängig davon, welche Droge. Das wurden wir bei Buchvorstellungen schon gefragt, ob das zu uns passen würde, uns mit Dan Brown vergleichen zu lassen, der eher als maximalistischer Schriftsteller gilt, welcher Bücher im Dutzend schreibt. Was für uns wichtig war, ist „auf Acid“: Das ist etwas, was komplett den Stil eines Schriftstellers ändern könnte, ob der nun Dan Brown, Wu Ming oder Peter Kolosimo ist.
Was ist euer „Acid“? Welche Methodik hebt euch von anderen Kollektiven ab?
Wir haben unsere Methode, aber ich wüsste nicht, welche bei anderen Kollektiven zur Anwendung kommt. Unsere Methodik ist mittlerweile gefestigt und funktioniert. Ich denke, was dieses Buch im speziellen anbelangt, ist das „Acid“, oder der Leitfaden, der dem Buch das gewisse Etwas verleiht, die Musik. Deswegen ist das Buch in „Sätze“ unterteilt, als ob es eine Sinfonie wäre, was eine Möglichkeit war, anzuerkennen, dass wir einen musikalischen Subtext gewählt haben, welcher den Roman begleitet. Musik ist mehr oder weniger überall, wie das auch in den 70ern der Fall war, die Jahre großer musikalischer Experimente waren.
Wie hat sich im Laufe der Zeit Ihre Lektüre der Werke Peter Kolosimos, der ja vor über 100 Jahren zur Welt kam, verändert? Die Zeiten haben sich geändert.
Ja, die Zeiten haben sich geändert und zu den Themen, welche Kolosimo in den 60ern und 70ern behandelte gab es einige sehr banalisierende Neudeutungen in den folgenden Jahrzehnten. Banalisierend in dem Sinne, dass wir Kolosimo immer als einen Romanschriftsteller sahen, einen Autor, welcher Romane als Aufsätze verkleidet schrieb. In Wahrheit schrieb er große, fantastische Spekulationen, die mit einer Aura der Wissenschaftlichkeit vorgestellt wurden, welche sie klarerweise nicht hatten. Seine Arbeitsweise erinnert an Michael Baigent, Richard Leigh und Henry Lincoln, die Autoren von „The Holy Blood and the Holy Grail“, jenem Buch das, wie der Zufall so will, einen gewissen Dan Brown zu „The Da Vinci Code“ (dt: „Sakrileg“, Anm. d. Red.) inspirierte. Eine Arbeitsweise, über die sich auch Umberto Eco in „Il pendolo di Foucault“ lustig machte: Assoziationen herstellen, ihnen folgen und so tun, als wären diese ausreichend um Dinge zu beweisen und an diesem Punkt damit beginnen Geschichten zu erzählen und überzogene und grandiose Hypothesen aufzustellen. Es steckte aber tatsächlich etwas Grandioses und sehr Schönes in paleokosmonautischen Theorien Kolosimos. Auch gab es eine Projektion hin zu etwas „Anderem“, komplett Verschiedenem. Im Laufe der Zeit wurde dieser Zugang stark reduktiv und banalisierend behandelt. Es ist klar, dass es sich um ein Spiel mit der Fiktion handelt, aber um ein sehr interessantes. Im Laufe der Zeit haben auch wir Kolosimo neu gewertet, der etwas in Vergessenheit geraten war.
Es steckte aber tatsächlich etwas Grandioses und sehr Schönes in paleokosmonautischen Theorien Kolosimos. Auch gab es eine Projektion hin zu etwas „Anderem“, komplett Verschiedenem.
Um auf den zweiten Programmpunkt zu sprechen zu kommen: War für Sie als Tolkien-Anhänger das kurze visuelle Zitat zu Peter Jacksons Verfilmung von „Die Gefährten“ gegen Ende von „A noi rimane il mondo“ ausreichend? Oder hätte man in 78 Minuten Raum schaffen müssen um von Tolkien zu sprechen?
Das Zitat scheint mir sehr explizit und gewollt. Ich denke, es ist eine Hommage, nicht nur auf einer Ebene der Bildsprache, sondern auch auf einer konzeptionellen: Der Film erzählt von Wegen, vom Gehen durch die Welt, wobei Geschichten als Karte oder Kompass dienen. Dieses Bild schließt für mich damit perfekt den Dokumentar ab: Eine Gemeinschaft am Weg, die Flanke eines Bergs hinauf. Es ist eine sehr verschiedenartige Gemeinschaft, auch da gibt es offensichtlich Parallelen, auch wenn sie sich in der Ansicht von der Seite kaum unterscheiden. Für mich ist das vielleicht stärkste Bild des ganzen Films, nicht einfach nur ein postmodernes Zitat oder ein angeheftetes. Es ist ein Zitat, welches das Bild der Gefährten, welche durch Mittelerde gehen rekontextualisiert und eine sehr treffende Entscheidung.
Ein weiterer für das lokale Publikum besonders interessanter Handlungsstrang dürfte die von Wu Ming 2 aufgegriffene Geschichte von Giorgio Marincola sein, einem schwarzen Partisanen, der im Bozner Lager inhaftiert war. Wissen Sie, ob diese Geschichte noch weiter verfolgt werden wird, oder ob die Arbeit an ihr abgeschlossen ist?
Ich glaube, es gibt noch Entwicklungen. Der Neffe Marincolas ist ja im Film zu sehen und ich weiß dass er noch anderes vor hatte. Da ich mich nicht persönlich damit befasst habe, möchte ich aber nichts Falsches vorhersagen. Dieser Handlungsstrang ist aber sehr interessant, über das Ereignis selbst hinaus: Die Tatsache, dass es im italienischen Widerstand militante Partisanen gab, die aus vielen Ländern kamen und der Widerstand nicht nur ein Phänomen des Patriotismus war, sondern des internationalen Kampfes gegen den Faschismus: Diese Arbeit, den Widerstand auf eine neue Weise zu erzählen, hat gerade erst begonnen und die Geschichte von Giorgio Marincola ist eine dieser Geschichten.
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