Gesellschaft | kalašnikov&valeriana

Mutterschaft und Selbstbestimmung

Am Pranger steht die leibliche Mutter und ihr legitimes Recht, über ihre Mutterschaft zu entscheiden, ohne dafür verurteilt zu werden.
Babyklappe in Dortmund
Foto: commons.wikimedia.org

Am Ostersonntag kam die Babyklappe der Mailänder Klinik Mangiagalli zum Einsatz. Zahlreiche „culle per la vita“ wurden von der „No-Choice“-Bewegung für das Leben in Italien installiert; Wie oft sie tatsächlich verwendet werden, wissen wir nicht, da sie zumindest theoretisch Anonymität garantieren. Laut besagter Klinik wurden in Mailand in 16 Jahren drei Kinder aufgenommen.

So weit so gut, theoretisch ein Dienst zum Schutz der Neugeborenen, durchgeführt in absoluter Sicherheit und Reserviertheit für Eltern und Kind. Wenn da nicht die unangebrachte mediale Aufmerksamkeit durch die Klinik gewesen wäre, ganz entgegen den Versprechungen von Anonymität und ungeachtet der gesetzlich verankerten Rechte wie den „diritto al segreto del parto“ und den „diritto alla scelta sul riconoscimento“. Innerhalb weniger Stunden waren Name des Kindes und körperliche Kennzeichen öffentlich, genauso wie intime Details zur Übergabe. Was dann folgte war vorhersehbar: Ein medialer Pranger, auf dem sich NutzerInnen von sozialen Medien, öffentliche Personen und selbsterklärte ExpertInnen mit (Ver)Urteilen und ungebetenen Ratschlägen ausließen. Vom Primar der Klinik, welcher hartnäckig über einen "abbandono" statt über einen "affido" spricht (der Unterschied zwischen den zwei Begriffen markiert die Linie zwischen No-Choice-Ideologie und einer Pflege-Kultur) zum Komiker, der in seinem hoheitlichen Mansplaining an das Recht des Kindes auf seine „richtige“ Mutter, die biologische, appelliert (als ob bspw. Adoptivmütter keine richtigen Mütter wären).

Nichts Neues aus dem Patriarchat: Recht auf und Bedürfnis nach Privacy für Eltern und Kind fällt der Verurteilung von nicht stereotypem Verhalten zum Opfer. Und am Pranger steht (wieder einmal) eine Frau: die leibliche Mutter und ihr legitimes Recht, über ihre Mutterschaft zu entscheiden, ohne dafür verurteilt zu werden. Das Recht auf Selbstbestimmung  ̶  ein gesellschaftlicher Spießrutenlauf wie aus dem Lehrbuch: „Die Frau sollte gar nicht erst schwanger werden.“ „Wobei eine Frau ohne Kinderwunsch auch keine richtige Frau ist und eine, die keine Kinder kriegen kann, fast schon minderwertig.“ „Wenn die Frau ungewollt schwanger wird, sollte sie abtreiben, das wäre immer noch besser gewesen.“ „Eigentlich hätte sie das Kind zur Adoption geben sollen.“ „Das Kind zur Pflege geben? Eine monströse Vorstellung, wie kann Frau nur ihr Kind verlassen!“

Was auch immer eine Frau wählt, eines ist sicher: Es ist die falsche Entscheidung ... und obwohl am Zeugungsakt bekannterweise zwei beteiligt sind, bleibt unbekannt und auch nebensächlich, wo sich der beteiligte Mann aufhält bzw. positioniert. Schließlich ist Elternschaft nach wie vor Frauensache. Männer melden sich erst zu Wort, wenn es um den vermeintlichen Verlust der Vaterschaftsrechte bei einer Trennung geht, selten vorher, um Verantwortung zu übernehmen. Das ganze „Vorher-Paket“ liegt auf den Schultern der Frau. Und selbstbestimmtes Entscheiden ist nicht drin, nicht, ohne medial gelyncht zu werden von einer Gesellschaft, der im Grund nicht das Wohl des Kindes am Herzen liegt, sondern die Kontrolle über den Körper der Frau.

Wir wissen eigentlich nichts über diese Oster-Geschichte in Mailand. Nichts über die Hintergründe. Nichts über die Beweggründe der Frau. Wir können und müssten ihre Entscheidung akzeptieren, ohne zu urteilen und hoffen, dass zumindest die Präsidentin des Jugendgerichtes in Mailand die notwendigen Schritte einleitet, um dieses Kind, seine Privacy und seine ganz persönliche Geschichte zu schützen und ihm ein sicheres Umfeld zu garantieren.

 

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Peter Gasser Di., 18.04.2023 - 11:50

Neben dem Recht der Mutter auf Anonymität und Privacy gibt es auch das Recht des Kindes auf seine Herkunft.
Meines Wissens steht das Recht des Kindes auf seine Herkunft höher als das Recht von Mutter oder Vater auf Anonymität.
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Jeder Mensch hat das Bedürfnis und das Recht nach und auf seine Herkunft.

Di., 18.04.2023 - 11:50 Permalink