Italiens dreiste Agrarmafia
Die Zeit der Hühnerdiebe ist vorüber. Italiens Agromafia greift nach Handfesterem. Nach Rindern, Pferden und vor allem nach wertvollen Agrarprodukten wie Parmigiano Reggiano. Wichtigster Schauplatz dieser rasch wachsenden Kriminalität sind Käsereien außerhalb der Wohngebiete in der Emilia Romagna. Sie sind zwar mit Alarmanlagen gesichert, aber die Polizei benötigt zu lange bis zum Tatort. "Jeden Monat werden uns Zentner Käse gestohlen", klagt Riccardo Deserti, Direktor des Konsortiums Parmigiano Reggiano. Die Käserei von Roncocesi bei Reggio war bereits zweimal Ziel von Dieben. Am 8. März stahlen sie zuletzt 220 Käselaibe im Wert von rund 100.000 Euro. Lorenzo Pinetti, Vorsitzender der Genossenschaft, macht seinem Ärger Luft: "Nel giro di un anno abbiamo subito due furti. Già mesi fa ci avevano rubato 146 forme. Il sistema d'allarme c'é, ma la banda é superorganizzata e capace di eluderlo."
Der gestohlene Käse wird meistens in Stücke geschnitten und auf dem Schwarzmarkt verkauft oder ins Ausland gebracht. "Non ne possiamo piú. Ogni mese ci portano via quintali di parmigiano", klagt Deserti. "Il fenomeno ha avuto un'impennata negli ultimi anni". Meistens handelt es sich um Diebesbanden bis zu 10 Personen, die nicht länger als 15 Minuten für ihren Coup benötigen. Die Polizei in Modena hat letzthin eine Bande gestellt, die 168 Parmesanlaibe und 16.000 Flaschen wertvoller Weine gestohlen hatte. Ein Laib wiegt 40 Kilo und kostet rund 400 Euro. Auf über drei Milliarden Euro schätzt Italiens Bauernverband Coldiretti den Gesamtschaden im Agrarbereich.
Auch die Zahl der Viehdiebstähle nimmt stark zu. In Castelletto Cervo bei Biella wurden einem Viehzüchter über Nacht elf Kühe einer wertvollen Rasse aus dem Stall gestohlen. In den ländlichen Gegenden der Provinz sind in den vergangenen Jahren bereits kleinere Herden von Weidetieren verschwunden. In Foggia hat die Polizei die Mitglieder einer Bande verhaftet, die 209 Rinder und Pferde gestohlen hatte.
Doch wichtigster Tummelplatz der Viehdiebe bleibt Sizilien, wo allein im letzten Jahr über 2000 Kühe, Schafe und Ziegen von den Weiden verschwanden, um meist in illegalen Schlachthäusern zu landen.
Im Parco dei Nebrodi bei Messina wurden 12 Personen wegen Viehdiebstahls verhaftet, darunter der Bürgermeister von Floresta, der als Tierarzt die nötigen Bescheinigungen der Sanitätsbehörde ausstellte.
Profibanden haben längst nicht nur den Parmesan im Visier: Das Spektrum reicht von Oliven, Öl und Nüssen bis zu frisch gepflanzten Reben und Bienenstöcken. In Barletta haben die Olivenbauern nächtliche Patrouillen organisiert, um den häufigen Öldiebstählen vorzubeugen. Schauplatz eines besonders dreisten Coups war Spoleto, wo Unbekannte mit drei Tankwagen aus einem Ölbetrieb fast 100.000 Liter frisch gepresstes Olivenöl im Gesamtwert von 300.000 Euro entwendeten. Einer der Diebe hatte sich am Abend im Gebäude einschließen lassen.
Prosecco-Setzlinge bei Dieben beliebt
Alarmstimmung herrscht auch im Prosecco-Anbaugebiet des Veneto, wo es die Diebe auf die raren barbatelle abgesehen haben. 1600 dieser frisch gesetzten Setzlinge wurden bei Asolo in einer Nacht entwendet, weitere 800 in Pieve di Soligo. Die Ermittler tippen auf osteuropäische Banden.
Auch Bienenvölker sind längst nicht mehr sicher. Erst vor wenigen Tagen wurden bei Finale Ligure 20 Bienenstöcke im Wert von 6000 Euro gestohlen. Reifenspuren zeigen, dass die Diebe mehrere Lastwagen benützten. In Aosta hat das Landwirtschaftsressort der Region Imker zur Wachsamkeit aufgerufen.
Allein 2015 wurden in Italien 2570 landwirtschaftliche Fahrzeuge entwendet - einschließlich einiger mit Haselnüssen beladenen Lastwagen in der Provinz Cuneo. In Lodi verhaftete die Polizei 12 Personen, die riesige Mengen an Obst und Gemüse gestohlen hatten. Vor allem im Süden werden viele Großmärkte von der Mafia kontrolliert.
Nicht immer freilich hat die Mafia die Hände im Spiel. Im Großbetrieb der Latterie Vicentine, die für ihren Asiago Dop berühmt ist, wurde ein Unverdächtiger als Milchdieb verhaftet: der capo casaro Lorenzo Bistore, bekannt als mago del formaggio. Mit zwei Komplizen hatte er jeweils an 132 Wochenenden erhebliche Milchmengen für seinen begehrten Asiago gestohlen. Jetzt hat ihm die Genossenschaft dafür die Rechnung präsentiert: 1,54 Millionen Euro.