Politik | EU-Wahl 2024

Ladiner:innen: nicht EU-tauglich

Die Ausnahmeregelung zugunsten ethnischer Minderheiten gilt nur für die französische, slowenische und deutsche Minderheit. In Südtirol kann kein Ladiner gewählt werden.
Europa Bruxelles
Foto: Iulm
  • Die zur EU-Wahl Wahlberechtigten der Autonomen Provinz Bozen wählen im Wahlkreis Nord-Ost gemeinsam mit der Autonomen Provinz Trient und den Regionen Veneto, Friaul-Julisch Vene­tien und Emilia-Romagna.  
    Dabei beruht die Wahl zum Europäischen Parlament auf Rechtsvorschriften, die für alle Mitgliedsländer gelten, sowie auf speziellen Rechtsgrundlagen, die in den jeweiligen Mitgliedsstaaten zur Anwendung kommen. In Italien erfolgte dies mit der „Legge 24 gennaio 1979, n. 18 (testo aggiornato)”.
    Für alle Unionsländer gilt das Prinzip des Verhältniswahlsystems, während Bestimmungen über Sperrklauseln bzw. Schwellenwerte (bis zu 5 %) sowie bestimmte Unvereinbarkeiten mit dem Mandat als Mitglied des Europäischen Parlaments durch die nationale Gesetzgebung geregelt sind. Aber auch zahlreiche andere Fragen, wie etwa die Ausgestaltung des Wahlsystems oder wie die Einteilung des Mitgliedslandes in Wahlkreise zu erfolgen hat, liegt in der nationalen Zuständigkeit. Nicht zuletzt gilt dies auch für Sonder­regelungen gegenüber den nationalen Minderheiten.  
    Ohne solche Sonderregelungen würde es nicht wenigen nationalen Minderheiten kaum gelingen, eine Vertretung ins EU-Parlament zu entsenden. Und ohne solche Sonderregelungen würde die Südtiroler Volkspartei (SVP) mit einem durchschnittlichen Wähler/-innenanteil von knapp 0,5 Prozent auf gesamtstaatlicher Ebene nicht das Primat zusammen mit der Scottish National Party (SNP) halten können, seit der ersten ­Direktwahl im Jahre 1979 ununterbrochen im EU-Parlament vertreten zu sein.
    Für ethnische Minderheiten sieht das italienische Wahlgesetz von 1979 eine Ausnahmeregelung vor: Wer eine Liste zu den EU-Wahlen einreicht, muss diese von 30.000 bis 35.000 Wahlberechtigten unterschreiben lassen (Art. 12). Davon ausgenommen sind jene Parteien, die in der Legislaturperiode, in der die Wahl zum Europäischen Parlament stattfindet, in mindestens einem der beiden Häuser des italienischen Parlaments eine eigene Fraktion bilden, oder zumindest mit einem/einer politischen Vertreter/-in in einem der beiden Häuser oder im Europäischen Parlament vertreten sind (Art.12).
    Bereits diese Eingangshürde bringt der SVP einen Startvorteil, da sie im Gegensatz zu den anderen ethnoregionalen Parteien Südtirols im römischen, wie auch im europäischen Parlament vertreten ist.

  • Foto: Pixabay
  • „Dieses Wahlgesetz garantiert der SVP derzeit noch einen sicheren Sitz im EU-Parlament.“

     

    Das italienische EU-Wahlgesetz nimmt ausdrücklich auf drei ethnische Minderheiten Bezug, auf die französische Minderheit im Aostatal, auf die deutsche in Südtirol und auf die slowenische in Friaul-Julisch Venetien. Den ethnoregionalen Parteien dieser Minderheiten wird eingeräumt, in eine Listenverbindung mit anderen Parteien treten zu können (Art. 12). Wenn der Kandidat/die Kandidatin der ethnoregionalen Partei nicht kraft eigenem Stimmenkontingent gewählt wird, so geht der letzte Platz der Liste, mit der die ethnoregionale Partei verbunden ist, an jene/n Vertreter/-in der Minderheit, der/die mindestens 50.000 Vorzugsstimmen erzielt hat (Art. 22). 
    Dieses Wahlgesetz garantiert der SVP derzeit noch einen sicheren Sitz im EU-Parlament. Bislang hat die SVP nämlich immer mindestens doppelt so viele Stimmen auf sich vereinen können als im Gesetz mit 50.000 vorgesehen sind. Dazu würden ihr sogar die Stimmen in Südtirol allein genügen, nicht einmal die zusätzlichen aus dem gesamten Wahlkreis Nord-Ost wären dazu notwendig. Bei den Landtagswahlen vom vergangenen Oktober war die SVP trotz starker Stimmenverluste immer noch auf 97.000 Stimmen gekommen.

  • Foto: Südtirolfoto/O.Seehauser
  • „Daniel  Alfreider, Florian Mussner oder Elide Mussner könnten über das geltende Minderheitengesetz nicht ins EU-Parlament gewählt werden.“

     

    Nur weist das Gesetz eine Lücke auf. Als die SVP im Jahre 1978 mit der Regierung unter Führung von Giulio Andreotti die Ausnahmebestimmungen für Südtirols Minderheit im EU-Wahlgesetz verhandelte, haben die Vertreter der Volkspartei auf die ladinische Minderheit vergessen. Denn das Gesetz  spricht von der deutschsprachigen Minderheit, aber nicht von der ladinischen. Daniel Alfreider, Florian Mussner oder Elide Mussner könnten über das geltende Minderheitengesetz nicht ins EU-Parlament gewählt werden, weil sie von einer Kandidatur ausgeschlossen sind.

  • Der Autor

    Günther Pallaver, Jurist, Journalist und emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck schreibt als Gastautor periodisch für SALTO.