Führung ja, Personenkult nein
FABBRINI, Sergio: Addomesticare il Principe. Perchè i leader contano e come controllarli, Marsilio ed., Venezia 2011. Frei übersetzt: „Den Fürsten zähmen. Welche Bedeutung Führungsfiguren haben, und wie man sie bändigt“.
In diesem Buch skizziert Fabbrini den Rahmen, in dem wir uns bewegen, folgendermaßen, vor allem im Bezug auf die amerikanische, die britische und die französische Entwicklung: Liberale Demokratien ermöglichen und erfordern beides: einerseits wechselseitige Kontrolle der Gewalten, anderseits Entscheidungsfähigkeit und Führungsqualität. Führung gibt Ziele vor, Richtlinien aus, fällt Entscheidungen und handelt; das ist gut so und gehört wesentlich zu funktionierenden Demokratien. Führung immer nur be- oder verhindern ist unrealistisch und unproduktiv. Zu bändigen ist jedoch eine zu starke Personalisierung und „Deinstitutionalisierung“ der Politik in der „Teledemokratie“ bzw. „Publikumsdemokratie“. Diese beschleunigen europaweit den Niedergang von Volksparteien und den Aufschwung von Volksführern, nicht nur im Italien von Berlusconi und seinem Wegbereiter Craxi, sondern auch im Großbritannien von Thatcher und Blair, und im Frankreich von Mitterand und Sarkozy. Solchen neuen Führungsfiguren ist gemein, dass sie nicht direkt aus dem etablierten Politikbetrieb kommen, sondern als große Veränderer oder Neugründer einer Partei auftreten. Sie wenden sich mehr an die öffentliche Meinung als an Parteieliten. Das hatte ja schon Machiavelli empfohlen, als er 1513 schrieb: „Wer mit Unterstützung der Adeligen Fürst wird, der bekommt bei der Machtausübung mehr Schwierigkeiten als der, der es mit Unterstützung des Volkes wird. Denn im ersten Fall ist der Fürst von vielen umzingelt, die sich ihm als ebenbürtig betrachten, so dass er weder Befehle erteilen noch nach seinem Gutdünken schalten und walten kann“. (S.27)
Nach Gutdünken schalten und walten möchten zuweilen auch Führungsfiguren unserer demokratischen Staaten. Auch wenn jemand zum primus inter pares gewählt worden ist, gerät er meist bald in die Versuchung, sich kraft Volkswahl als primus super pares zu gebärden, wenn nicht gar als primus sine pares, als unvergleichlich. Da ist eine europaweite Präsidialisierung des Regierens in Gang gekommen, die in Staaten wie Italien besonders auffällig, woanders hingegen schleichend erfolgt.
Das gehört, wie jede Macht, gebändigt. Unsere nicht mehr mono-, sondern demokratischen Rechtssstaaten sehen für jede Institution, auch für die entscheidenden, Gegengewichte und wechselseitige Kontrollen vor. Aus guten geschichtlichen Gründen haben unsere Verfassungsväter Gesetz- und Regelwerke geschaffen, um einer ineffizienten Machtkonzentration mit Interessenkonflikten, Oligarchisierungen und Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen. Denn in der Demokratie zählen Stimmen, aber auch Ressourcen. Wesentlicher denn je ist dabei die Sicherstellung unabhängiger Medien. Von EINER öffentlichen Meinung zu sprechen, weist übrigens in die falsche Richtung: In Demokratien hat es nicht eine, sondern viele öffentliche Meinungen zu geben. (S.173) Soweit eine kurze grundsätzliche Einführung in das europäische Umfeld des Berlusconismus aus der Sicht von Sergio Fabbrini.
Stichwort: Präsidialisierung