Umwelt | Emissionen

Der NO2-Rekurs

Der Dachverband für Natur und Umweltschutz will mit einem Rekurs beim TAR Latium die Einhaltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte in Südtirol durchsetzen.
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Foto: Dachverband für Natur und Umweltschutz

Schluss mit dem Gerede und den immer gleichen Forderungen – jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht: Ganz dem aktuellen Südtiroler Trend entsprechend beschreitet nun auch der Dachverband für Natur- und Umweltschutz den Gerichtsweg. Aber nicht etwa, um Buchautoren oder Impfgegner wegen Falschaussagen oder übler Nachrede zu verklagen, sondern um ein Recht einzufordern, das Südtirols Bevölkerung spätestens seit Anfang 2015 zustehen würde: die Einhaltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte, sprich des von der EU festgelegten Grenzwerts von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Ein Wert, den die Weltgesundheitsorganisation WHO mittlerweile empfiehlt, auf 25 Mikrogramm abzusenken. Immerhin zeigt auch der aktuelle erschienene Luftqualitätsbericht der Europäischen Union, wie schädlich NO2  oder Stickstoffdioxid für die Gesundheit ist: Europaweit sterben demnach 75.000 Menschen jährlich vorzeitig an den Folgen von erhöhten Stickoxid-Werten. Auf Südtirol umgelegt, wo acht Prozent der Bevölkerung in einem Überschreitungsgebiet leben und arbeiten, bedeutet das 68 vorzeitige Todesfälle pro Jahr, hat der Dachverband ausgerechnet. Also fast doppelt so viel wie die 38 Verkehrstoten, die im Vorjahr in Südtirol beklagt wurden.

 

Angesichts solcher Zahlen ist es für den Dachverband für Natur und Umweltschutz nicht mehr länger hinnehmbar, der Untätigkeit in Rom und Bozen zuzusehen. „Wenn man beobachtet, wie die Politik derzeit beim Thema Bär und Wolf in Rom wie in Brüssel auf Hochtouren läuft, um sich für Ausnahmeregelungen stark zu machen, ist es schon verwunderlich, wieso man sich beim Thema Verkehr immer auf Rom ausredet“, meinte Dachverbands-Vorsitzender Klauspeter Dissinger. Obwohl sein Verband diesbezüglich auch nicht mit Kritik an der Landesregierung spart, richtet sich der Rekurs selbst gegen die Untätigkeit des technischen Komitees, das in Rom bereits im Jahr 2013 eingerichtet wurden, um Maßnahmen gegen die NO2-Grenzwertüberschreitung in Südtirol zu ergreifen. Vorgegangen war dieser Einsetzung laut der Rekonstruktion von Dachverband-Anwalt Alex Telser eine offizielle Feststellung der Überschreitungen durch die Südtiroler Landesregierung im Jahr 2011. „Damals war von einem Überschreitungsgebiet von 99 Quadratkilometer und von 40.000 betroffenen Südtirolerinnen und Südtirolern die Rede“, sagt Telser. Als Hauptverursacher der Überschreitungen sei der Verkehr auf der A22 bezeichnet worden – und zwar sowohl von der Landesregierung als auch vom Umweltministerium, das von Bozen im Anschluss an die Feststellung aufgefordert worden war, in der Causa tätig zu werden.

Letzter Ausweg 

Doch abgesehen von der Einsetzung des gesetzlich vorgesehenen technischen Komitees ist in Rom bis dato so gut wie nichts passiert, kritisierten die Umweltschützer und ihr Anwalt. Und das obwohl dem Komitee bereits 2014 von der Südtiroler Umweltagentur konkrete Maßnahmen unterbreitet worden waren, um der anhaltenden Überschreitungen Herr zu werden – darunter Mautanpassungen, mit denen gut ein Drittel der jährlich rund 2,2 Millionen LKW auf der A22 vermieden werden könnte, die einen Umweg über die Brennerroute in Kauf nehmen, weil die Maut hier so viel günstiger als in der Schweiz ist. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen wurden laut Anwalt Telser auch von der ISPRA, dem höchsten nationalen Umweltinstitut als sehr empfehlenswert und umsetzbar beurteilt.

Nachdem laut den Dachverbands-Vertretern zuletzt auch noch das Projekt BrennerLEC, mit dem auf einzelnen A22-Abschnitten nun noch bis 2021 die längst erwiesene Wirksamkeit von Geschwindigkeitsbeschränkungen auf NO2 -Emissionen getestet werden soll, als Ausrede für die eigene Untätigkeit genommen worden sei, sei nur mehr der Rechtsweg geblieben. Konkret erhofft sich der Dachverband davon eine gerichtliche Feststellung des Handlungsbedarfs durch den Staat und eine gerichtliche Verurteilung, die Rom zwingt, die vorgeschlagenen Maßnahmen innerhalb einer bestimmten Frist umzusetzen.

Ein Weg, mit dem sich die Umweltschützer in Italien noch auf relatives Neuland bewegen. Europaweit gäbe es mehrere Beispiele für ähnliche Klagen, erklärte Telser. In Italien sei vor allem ein Fall aus der Lombardei bekannt, der dann allerdings laut dem Anwalt mit der freiwilligen Anpassung des Luftreinhalteplans durch die Region geendet sei. Ob Südtirol in der Frage neue italienische Rechtsstandards setzt, wird aber auch davon abhängen, ob das Verwaltungsgericht Latium das Klagerecht des Umweltverbandes anerkennt. „Der Europäischen Gerichtshof hat ein solches Klagerecht von Einzelpersonen und Vereinigungen, die von Grenzwert-Überschreitungen betroffen sind, mittlerweile bestätigt“, sagt Alex Telser. Italiens Gerichte würden dieser Interpretation bisher allerdings noch nachhinken. Nun wird es spannend zu sehen, ob das auch für das TAR Latium gilt. Bis zum Frühjahr erhofft sich Anwalt Telser eine Antwort auf diese Frage. Die derzeit wohl die größte Hoffnung ist, im Klimaland Südtirol doch noch mittelfristig längst geltende europaweite Emissionsgrenzwerte einzuhalten.