„Es ist langsam so gewachsen“
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Frau Knapp, das Phänomen, dass man irgendwo Gesichter sieht, wo keine sind, weil das menschliche Hirn danach sucht, nennt man Pareidolie. Wenn einem das einmal passiert, dann passiert es gerne wieder. Hat es für „Verwurzelt & Versteinert – Gsichtergschichtn“ bei Ihnen als Initialzündung einGesicht gegeben, das Sie als erstes angesprochen hat?
Brigitte Knapp: Nein, mir passiert das beim Spazierengehen dauernd. Und nicht nur beim Gehen, auch wenn ich mir Kunstwerke anschaue. Also, wann da die Initialzündung war, kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Ich habe das Projekt, dass man dazu eigentlich Geschichten schreiben könnte, schon lange im Kopf gehabt und vor drei Jahren angefangen, es umzusetzen. Aber wann es angefangen hat mit den „Gesichtern zu sehen“, kann ich wirklich nicht sagen.
Mit Fotografie, Geschichten und Musik ist es ein sehr intermediales Projekt. Wurde es in einem so gedacht oder wie ist es gewachsen?
Knapp: Es ist langsam so gewachsen. Zunächst habe ich Fotos wirklich nur mit dem Handy gemacht, nur um mich daran erinnern und wieder darauf Bezug nehmen zu können. Ich kann mir das Foto einfach vor Augen halten und schauen: Was erzählt mir das? Welche Emotionen ruft es in mir hervor? Was glaube ich darin zu erkennen, welche Situation oder welche Emotionen vielleicht? Dann hatte ich den Eindruck, dass wenn ich diese Gesichter als Inspirationsquelle genutzt habe, es auch für den Leser interessant ist, das Gesicht zu sehen. Also mussten die Bilder irgendwie mit ins Buch. Dass es dann dazu gekommen ist, dass auch Lieder entstanden sind, war einfach deshalb, weil ich mich in den letzten Jahren mehr mit Gesang und Liederschreiben beschäftigt habe. Ich wollte mich bei dem Projekt einfach auch nicht einschränken und liebe es, wenn meine verschiedenen Tätigkeitsfelder ineinander fließen. Meine Begeisterung ist da immer mehr gewachsen, mit jedem Element, das dazu gekommen ist, auch als ich den Schritt auf Daniel zugemacht habe, um ihn zu fragen, ob er Lust hätte.
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Herr Faranna, wie gingen Sie das an? Ließen sie sich mehr vom Gesicht oder von der Geschichte inspirieren?
David Faranna: Die Arbeit beginnt damit, dass ich von Brigitte schon eine fertige Melodie eingesungen bekomme. Sie schickt mir dann noch die Texte und die Bilder dazu, aber mein erster „Hook“ war dabei die Musik. Ich lasse erst einmal jene Bilder entstehen, die sie durch ihre Musik in meinem Kopf erzeugt und gleiche das dann mit dem ab, was gekommen ist. Die Musik entsteht dann in einem zweiten Moment, nachdem ich ihr Empfinden dann nochmal verarbeitet aufnehme. Dann fange ich an, damit zu arbeiten. Für mich ist das ja schon ein Kunstwerk und für mich ist es dann auch interessant zu sehen, ob dieses dann meiner Vorstellung in etwa entspricht. Oder ob es ganz anders ist – das eröffnet auch neue Möglichkeiten und neue Sichtweisen, mit denen man dann weitermachen kann.
Zum Format in der Dekadenz: Wie passt der Begriff „Kabarett“ zum Abend?
Knapp: Kabarett ist im Grunde ein sehr weiter Begriff. Man denkt dabei aber leider vor allem sehr schnell an Comedy. Aber Kabarett geht da noch viel weiter und ich versuche es zu präzisieren, indem ich das Wort „GschichtnKabarett gewählt habe. Kabarett ist eine Plattform, in der Geschichten erzählt werden, Geschichten aus dem Leben. Diese sind eben manchmal komisch, manchmal auch ein wenig traurig und manchmal regen sie auch an, weiterzudenken oder in sich selbst zu schauen. Ich habe auch gerne den Begriff „Kaleidoskop“ verwendet, wenn ich beschrieben habe, was das für Geschichten sind. Es ist ein Kaleidoskop an menschlichen Geschichten, eine Spiegelung der Gesellschaft, im Grunde.
Etwas anderes, woran man bei Kabarett auch denken könnte – neben Comedy – ist Aktualität und ein politischer Bezug. Wie aktuell sind die Geschichten für Sie, oder sind sie eher zeitlos?
Knapp: Wahrscheinlich leider sowohl zeitlos und aktuell. Ich habe schon versucht, das aufzugreifen, was um uns herum und um die Gesellschaft inSchwingung ist, sowie in jedem Einzelnen von uns. Es ist dabei ein sehr persönlicher, oder sagen wir mal, ein individueller Zugang. Ich habe mich etwa gefragt, wie wirkt das auf uns, was macht der Klimawandel mit der oder dem Einzelnen? Wie versuchen wir dem zu begegnen? Da ist der Krieg vor der Haustür und gleichzeitig auch jene Leute auf der Straße, an denen wir meist gleich vorbeigehen, denen wir manchmal aber auch begegnen. Diese aktuellen Themen sind drin, es ist aber leider wohl auch zeitlos, weil den Krieg im Nachbarsland hat es schon gegeben und es wird ihn wahrscheinlichauch weiterhin geben. Es verarbeitet alle Themen, die uns andauernd unter den Nägeln brennen.
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Wir kennen das so auch vom Kindchen-Schema, wenn wir etwas sehen, das Kindern ähnlich sieht, dass das instinktiv unsere Empathie aktiviert. Ermöglichen diese Wurzelgesichter mehr Empathie mit der Natur?
Knapp: Ja, aber nicht nur mit der Natur, sondern auch mit dem Gegenüber. Es ist ein Umweg. Ich könnte vielleicht genauso gut in einem Café sitzen, im öffentlichen Raum, und vorbei spazierende Menschen fotografieren. Das ist natürlich nicht erlaubt und für mich wäre es eine Frechheit, mir dannanzumaßen, zu einem Foto von einem echten Menschen eine Geschichte zu erfinden. So ist es ein Gesicht, das ich in der Natur entdecke. Für mich sind es irgendwo auch in der Natur abgedruckte Antlitze der Gesellschaft und es sind im Grunde die Leute auf der Straße, an denen ich jeden Tag vorbeigehe. Die Natur hat sie irgendwie zu sich geholt und sich die Gesichter einbrennen lassen.
Abschließende Frage an sie beide: Wann lohnt sich für Sie ein Umweg? Was macht seine Strecke oder die Zeit wertvoll?
Knapp: Es ist ein indirekter Art, um zu den Leuten zu kommen, über Wurzelgesichter. Ich glaube, dass oft Umwege das sind, was uns erst richtig ans Ziel bringt. Man meint oft, der direkte Weg sei immer der schnellste, der erfolgreichste, der effektivste, der beste. Aber gerade in der musikalischen Arbeit, in der Zusammenarbeit, haben wir uns oft gefragt, ob man etwas tun kann oder zwei Klänge kombinieren kann. Dann mussten wir uns, pfeift drauf, jetzt tun wir einfach mal.
Faranna: Ich glaube, man kann das ein bisschen umdrehen. Wir gehen ja einen Umweg und das Ziel davon ist am Ende die Leute zu erreichen. Es ist ja oft auch nicht unbedingt so, dass man sagt, man will jemandem ganz zwingend etwas sagen, sondern wir haben das Gefühl, das aussprechen zu müssen. Jede und jeder rezipiert das dann sowieso anders. Es geht da ja viel um den Prozess. Als Künstler macht man sich oft einfach auf den Weg und sieht, was kommt. Dann ist es nicht immer so, dass da ein Umweg geplant war, aber man stößt dabei vielleicht auf neue Möglichkeiten. Das ist in der kreativen Arbeit oft das, was einen am effektivsten ans Ziel bringt, nur kann man es sich nicht immer vorher auskalkulieren, wie es am Ende sein soll.
Knapp: Ich finde, das kann man eins zu eins aufs Leben überschreiben. Die Umwege im Leben führen oft an viel interessantere Ziele, als die, die man sich vorher überlegt hat.
TerminVerwurzelt & Versteinert – GsichterGchichtn ist am Freitagabend, ab 20 Uhr in der Dekadenz Brixen zu sehen.