Gesellschaft | Glücksspiel

Reinhard Haller: "80 Prozent der Spielsüchtigen haben einen Suizidversuch hinter sich"

Reinhard Haller, bekannter Psychiater und Neurologe aus Vorarlberg sagt im salto.bz-Interview: Restriktion ist die einzige Handhabe gegen die Spielsucht.

Im Gespräch mit salto.bz Reinhard Haller, Psychiater und Neurologe aus Vorarlberg. Sowie Helmuth Zingerle, Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart.

Herr Haller, inwieweit hängen Narzismus und Glücksspiel zusammen?
Haller: Da gibt es sehr viele Zusammenhänge, beide - Narzismus und Glücksspiel - haben in heutiger Zeit extrem zugenommen. Das Ich steht im Mittelpunkt unserer Gesellschaft. Der Ich-Wahn ist allgegenwärtig, alles dreht sich um die Verwirklichung des Ichs. Und so ist es auch beim Spiel. Da geht es um nichts anderes: Ich will spielen, ich will gewinnen. Minderwertigkeitskomplexe sind ein weiterer Aspekt, den narzistische Menschen und Spielsüchtige aufweisen. Sie brauchen das Spiel, um etwas zu kompensieren.

Die Persönlichkeit eines Menschen ist also entscheidend, ob er im Glücksspiel etwas wiederfindet, das ihn anzieht?
Zingerle: Wenn ich als Mensch ständig einen Reizhunger habe, einen Nervenkitzel brauche, damit es mir gut geht, dann kann mich das Spiel ansprechen. Wenn ich als Mensch gerne schnell mach und den Kick brauch, das sind sicher Veranlagungen, die eine Spielsucht fördern. So jemand wird zum Beispiel nicht tablettenabhängig.
Haller: Der kurze Spannungsaufbau, der sich rasch auflöst, ist typisch für die Automatenspieler. Innerhalb von wenigen Sekunden weiß ich: verloren oder gewonnen.

Sie plädieren ja beide dafür, das Glücksspiel einzuschränken, restriktiver vorzugehen.
Haller: Auf alle Fälle. In früherer Zeit war das Glücksspiel ja verboten. Alle Weltreligionen lehnen das Glücksspiel ab. Heute ist es salon- und gesellschaftsfähig. Gespielt wird ja immer und überall. Ohne Einschränkungen einerseits und Präventionsarbeit andererseits wird sich an dem enormen Zuwachs der Spielsüchtigen nichts ändern. Und ohne Regulierungsmaßnahmen schädigen Spielsüchtige weiter. Nicht nur sich, sondern ihre ganze Umgebung. Und da muss ich sagen, hab ich in Brixen sehr viele positive Sachen gehört, die in Südtirol gemacht werden.
Zingerle: Ich muss sagen, die Politik in Südtirol geht den richtigen Weg. Und ich hoffe, sie lässt sich nicht beirren. Arno Kompatschers Aussagen, dass er das Wohl der Familien und der Kinder in den Mittelpunkt stellen will, stimmen mich sehr zuversichtlich. Diese Haltung muss beibehalten werden. Aktuell haben wir es hierzulande mit 5.000 bis 6.000 Spielsüchtigen zu tun. Da kann man ruhig einige Arbeitsplätze riskieren, den das war ja die Klage der Barbesitzer, dass Barbesitzer ohne Automaten bald zusperren müssten.

Arno Kompatschers Aussagen, dass er das Wohl der Familien und der Kinder in den Mittelpunkt stellen will, stimmen mich sehr zuversichtlich. Diese Haltung muss beibehalten werden. (Helmuth Zingerle)

Gibt es Altersgruppen, die besonders gefährdet sind für die Spielsucht?
Zingerle: Ich seh in Bad Bachgart vor allem männliche Spieler zwischen 30 und 50 Jahren. Auslöser ihrer Sucht ist oft nicht ein großes Problem, am Anfang steht meist die Langeweile. Ich bin in einer Bar, krieg ein Rubbellos und schon fängt die Geschichte an. Wenn ich das nur ab und zu mache, ist das kein Thema. Zur Sucht wird das Ganze, wenn ich ohne zu spielen nicht mehr leben kann. Diese ständige Verfügbarkeit des Spiels in unserem Alltag ist uns teilweise gar nicht mehr bewusst. Es ist ja kein Problem zu spielen. Rubbellose gibt es in jeder Trafik, Automaten in vielen Bars.
Haller: Was wir europaweit beobachtet haben, ist, dass das Glücksspiel zunehmend alle Altersgruppen betrifft, auch ältere Menschen, Jugendliche. Durch das Spiel kann ich der Realität entrücken. Die Langeweile ist ein wichtiges Einstiegsmotiv. Doch irgendwann will ich meiner Einsamkeit, meiner Depression, meinen Ängsten entfliehen. Das Spiel wird zur Selbstheilung.

Was wir europaweit beobachtet haben ist, dass das Glücksspiel zunehmend alle Altersgruppen betrifft, auch ältere Menschen. Jugendliche. (Reinhard Haller)

Ohne Spiel scheint alles sinnlos, genauso wie bei jeder Sucht?
Haller: Das Glückspiel hat alle Elemente einer Sucht. Wenn das Spiel für mich zur Lust wird, wenn ich immer häufiger spielen muss, Entzugserscheinungen bekomme, dann ist die Sucht schon weit fort geschritten. Der Spieler will in einer sorgenfreien Welt leben, wenn auch nur für wenige Momente. Irgendwann braucht er den Kick, den ihm das Spiel gibt. Es geht um Macht, um den Reiz, siegen zu können. Besser zu sein. Zu gewinnen.

Irgendwann brauch er diesen Kick, den ihm das Spiel gibt. Es geht um Macht, um den den Reiz siegen zu können. Besser zu sein. Zu gewinnen. (Reinhard Haller)

Zingerle: Die Raserei, die Besessenheit spielen zu wollen, zu müssen, das ist vergleichbar mit einem Jagdfieber. Deshalb auch der Titel der Tagung in Brixen „furor  ludi.“ Der Spieler wird im Laufe seiner Sucht immer verrückter nach dem Spiel. Es ist wie eine Droge. Der Spieler sieht nur noch das. Unterwirft alle Lebensinteressen dem Spiel. Für ihn gibt es nichts Wichtigers. Seine Gesundheit wird unwichtig, die Familie, die Kinder, der Beruf, die Freunde. Das ganze Leben verändert sich.

Spielen an und für sich ist aber doch nicht schlecht?
Haller: Ich will das Spiel nicht verteufeln, das Spiel ist sehr wichtig für den Menschen, auch um zu lernen. Diese Glücksspiele aber entfernen die Menschen von der Realität. Bei Internetspielen etwa gibt es Spieler, die Tag und Nacht vor dem Computer hängen. Und irgendwann nicht mehr können. Total erschöpft sind. Einen Kollaps erleiden, der totale Zusammenbruch.

Aber die Automatensucht steht doch im Vordergrund bei den Spielsüchtigen?
Zingerle: Ja, das ist die Hauptklientel unserer Spielsüchtigen. Doch auch da gibt es Unterschiede. Es gibt die Spieler, die ein gewisses Ambiente mögen. Ins Casino gehen, zu ihrem Automaten. Mit dem sie auch eine Beziehung aufbauen. Das ist wie ein Partner. Sie gehen nur zu dem Automat, es muss immer der gleiche sein. Er muss zum Beispiel klingen, hat bestimmte Farben. Das gehört für den Spieler dieser Couleur dazu. Beim Roulett steht vielleicht noch die Geselligkeit beim Spielen im Vordergrund. Die Automaten sind die Schlimmsten, aber auch die Rubbellose.

Das ist wie ein Partner. Sie gehen nur zu dem Automat, es muss immer der gleiche sein. Er muss zum Beispiel klingen, hat bestimmte Farben. Das gehört für den Spieler dieser Couleur dazu. (Helmuth Zingerle)

Haller: Diese Glücksspiele sind auch deswegen so gefährlich, weil zwischen der Handlung und dem Ergebnis nur so eine kurze Zeitspanne liegt. Ich werfe die Münze in den Automaten und weiß in wenigen Sekunden, hab ich gewonnen oder nicht. Dann der Begriff Glück, der ja auch relativ ist, denn schnell kippt das Glück in Unglück. Es gibt für den Spieler nur diese zwei Faktoren, eine Schwarz-Weiß-Malerei: Glück oder Unglück.

Herr Zingerle, Sie vergleichen Spielsüchtige mit Junkies. Kann man das wirklich?  
Zingerle: Absolut. Wie beim Alkohol oder bei einer Drogensucht, hilft mir auch das Spiel geselliger zu werden, es betäubt mich. Lässt mich in eine Scheinwelt flüchten.
Haller: Im Laufe der Zeit, wenn das Spiel zur Sucht wird, weicht der Süchtige jeder Schwierigkeit im Leben aus. Bei den kleinsten Problemen wird gespielt.  

Was ist das Schlimmste an der Spielsucht?
Zingerle: Eindeutig die Verzweiflung der Betroffenen. Irgendwann sagen sie sich, bei dem ganzen Geld, das ich verspielt habe, kann ich mich nur noch umbringen. Das schaff ich nicht mehr, da raus zu kommen. In diesem Zusammenhang sprechen wir von einem sozioökonomischen Suizid. Die Süchtigen verändern ihre psychische Verfassung, die ständige Erregbarkeit schüttet körpereigene Opiate aus. Das verändert nachhaltig das Gehirn des Spielers. Wie bei einem Junkie eben. Sie verändern sich optisch, leben nicht mehr in dieser Welt.
Haller: 80 Prozent der Spielsüchtigen haben schon einmal einen Suizidversuch unternommen. Und vergessen wir nicht die Kriminalität, die das Glücksspiel erzeugt. Illegale Automanten werden aufgestellt, die Spieler versuchen diese Automaten wieder zu manipulieren, es gibt Verbrechen gegen die Casinobesucher, die Beschaffungskriminalität.

80 Prozent der Spielsüchtigen haben schon einmal einen Suizidversuch unternommen. Und vergessen wir nicht die Kriminalität. (Reinhard Haller)

Das Spiel weckt also das Böse in uns?
Haller: Böse Taten haben oft ja einen spielerischen Charakter. Ich tu etwas „Böses“, aber die Tragweite ist mir nicht bewusst. Zuerst geht es mir um meine Machtausübung. So wie im Spiel. Und sowohl das eine wie das andere kann im bösen Erwachen enden.

Ohne therapeutische Hilfe geht gar nichts?
Haller: Spielsüchtige müssen viele Sache ganz neu lernen. Wie gestalte ich meine Freizeit? Wie geh ich mit Geld um? Wie kann ich Kontakte knüpfen? Sie müssen lernen nein zu sagen, den eigenen Körper zu respektieren, es geht um den Abbau von Ängsten. Es ist ein ganzes Paket, aber es ist die einzige Möglichkeit, um aus der Sucht heraus zu kommen.
Zingerle: Therapie ist das Um und Auf. Und das geht nicht von heute auf morgen. Zwei Jahre müssen investiert werden, damit jemand nachhaltig entwöhnt wird. Nicht anders als beim Alkohol oder der Drogensucht. Es ist eine harte Arbeit.

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Edo Plane Fr., 14.02.2014 - 14:10

Eine provokante Frage: geht es wirklich ums Spielen?

Im Grunde ist es doch eine Geld-/Gewinnsucht. Nicht um des Spieles wegen wird gezockt, sondern nur, um reich zu werden und damit ein sorgenfreies Leben zu haben.

Fr., 14.02.2014 - 14:10 Permalink